Mit dem heuer nur sehr langsam ins Land ziehenden Herbst kommt Englands kumpelhafter Schmusebarde Ed Sheeran das zweite Mal innerhalb von fünf Monaten mit einem neuen Album um die Ecke. „Autumn Variations“ wäre gerne Indie-Folk, ist aber zuweilen nach KI müffelnder Mainstream. Der 32-Jährige plätschert langsam, aber sicher in die kompositorische Beliebigkeit.
Zwölf Jahre lang hat der allseits beliebte britische Schmusebarde Ed Sheeran dafür gesorgt, dass wir seine bekömmlich-erfolgreiche Mainstream-Musik unweigerlich mit Albträumen aus der Schulzeit verbinden. Seine Alben benannte er nämlich nach mathematischen Symbolen, was bestimmt so manchen nostalgisch-ängstliche Schweißperlen auf die Stirn zauberte. Mit diesem System wurde er aber immerhin zum erfolgreichsten Solokünstler der Welt, der mit seiner Mischung aus natürlichem Bubi-Charme, teddybärhafter Tollpatschigkeit und dem richtigen Gespür für die ganz großen Hits zum globalen Stadionkünstler mutierte. Das Ende der Fahnenstange ist dabei noch lange nicht erreicht, dafür ist Sheeran nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich viel zu populär. Allein sein im Mai erschienenes Album „Subtract“ landete in nicht weniger als 42 Ländern auf Platz eins der Charts.
Der Mainstream-Folk-Verwandler
Dieses Werk war aber nicht nur der endgültige Schlusspunkt seiner Formel- und Zeichensammlung, sondern zeigte Sheeran auch von seiner dunklen und reumütigen Seite. Diverse Schicksalsschläge, Unsicherheiten und daraus resultierende Depressionen machen eben auch nicht Halt vor steinreichen Erfolgsmenschen. Sheeran verarbeitete diese düsteren Lebenspfeiler in besonders fragile Songs, die - natürlich - von The Nationals Aaron Dessner produziert wurden. Der stülpte schließlich auch schon Sheerans bester Freundin Taylor Swift ein waldiges Flanellhemd über den trainierten Körper, damit die Pop-Queen nach ihrer Country-Adoleszenz und der Liebe zum Mainstreampop auch einmal in für sie fremde Indie-Gefilde schnuppern konnte.
Was bei Swift aber irgendwie immer noch authentisch und passend wirkte, geht bei Sheeran nicht so einfach durch. Wie man es auch drehen und wenden mag - der 32-Jährige kann nicht einmal mit tatkräftiger Hilfe von außen aus seinem klanglichen Mainstreamkorsett ausbrechen. Ob er das denn überhaupt möchte, hat er nie klar deklariert, die Lieder auf seinem bereits zweiten Album in diesem Jahr, „Autumn Variations“, lassen aber darauf schließen, dass er langsam in eine Lebensphase kommt, wo er vielleicht auch gerne künstlerisch ernst genommen werden möchte. Hier bleibt aber nur wieder der hehre Wunsch Vater des Gedankens, denn aus einem opulenten Mercedes lässt sich eben nicht einfach so ein authentischer Seat Ibiza formen. Dessner, der Sheeran auch schon auf „Subtract“ ins Wald- und Wiesengenre bugsieren half, ist mittlerweile selbst schon stärker in der Welt der Formatradios angekommen, als seine Günstlinge am Planeten Indie-Folk-Pop.
Prinzipiell wohlüberlegt
Zum zweiten Studioalbum innerhalb von nur fünf Monaten wurde Sheeran durch seinen Vater inspiriert, der ihm den britischen Komponisten Elgar näherbrachte. Elgar komponierte Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Banner „Enigma Variations“ 14 Stücke, die sich um Geschichten und Erlebnisse seiner Freunde drehten. Dieser Ansatz führte wiederum Sheeran dazu, nach dem persönlichen Seelen-Striptease auf „Subtract“ ein weiteres Mal in den Akustikgitarren-beladenen Schmalztopf zu greifen, um - in ebenfalls 14 Liedkapitel - die Gefühlswelten seines Umfelds zu ergründen. Der Veröffentlichungszeitpunkt, das kindlich-nette Albumcover und die herbstliche Grundatmosphäre des Albums waren prinzipiell wohlüberlegt. Vor zwei Monaten konnte ja auch noch keiner damit rechnen, dass wir noch nicht zu den Maroni greifen, sondern lieber versuchen, die Freibäder zur Saisonverlängerung zu überreden.
Von dieser meteorologischen Paradigmenverschiebung abgesehen liefert uns Sheeran das, was wir uns (spätestens seit „Subtract“) von ihm erwarten. Zwanglose und meist bewusst fragil gehaltene Songs, die aber nicht an den Hit-Charakter seiner Glanzzeiten heranreichen und so ereignislos dahinplätschern wie perfekt zusammengestückelte Musik einer halbwegs intellektuellen KI. Gerade bei Nummern wie „Amazing“ oder dem mit stockenden Rap-Zitaten versehenen „That’s On Me“ ist der Sound dermaßen glattgebügelt, dass eine durchschnittliche Max-Martin-Produktion im Vergleich dazu wie schrumpeliger Suicidal Black Metal klingt. Die technische Perfektion lag Sheerans Songs natürlich schon immer anheim, doch auf „Autumn Variations“ wirkt das komplette Fehlen jeglicher Ecken und Kanten fast schon nervig. Wie sehr würde man zwischendurch auch einmal gerne hören, was er als Person vorgibt: unverfälschte Zugänglichkeit und eine legere, manchmal sprunghafte Gemütlichkeit.
Indie-Folk als Tarnung
Textlich streckt sich der Liebling aller Einser-Schüler und Formatradiohörer in alle Richtungen aus. „England“ sollte als Liebeserklärung an seine oft so schwer kritisierte Heimat dienen und die schönen Aspekte des Landes aufzeigen. In „Plastic Bag“ referiert er über die zwanglosen Zeiten des britischen Nachtlebens und „American Town“ befasst sich mit der Zeit, als seine damalige Freundin und heutige Ehefrau in New York lebte und man damals mit Nudeln aus der Box das ungezwungene Sitcom-Leben á la „Friends“ lebte. „Autumn Variations“ tarnt sich als folkloristisch angehauchtes Herbstwerk, ist im Endeffekt aber nur eine mit Balladenüberhang zusammengestoppelte Sammlung ähnlich klingender Pop-Songs, die zuweilen in erschreckende Beliebigkeit rutschen. Das Freimachen von Sorgen und Nöten sei ihm natürlich vergönnt - ein bisschen Pause bis zum nächsten Album wäre aus kreativer Sicht aber dringend nötig.
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