Wiener Regierungsviertel, Minoritenplatz 9. Der farblose Bürokomplex hat nichts vom imperialen Ambiente des Außenministeriums gleich nebenan, auf Nummer 7. "Ich mag es hier", sagt Sebastian Kurz, Staatssekretär für Integration im Innenministerium. Er sitzt lieber bei seinen Beamten als im Barockpalais. Und zählt zu jenen Männern, die bei der Begrüßung einer Frau noch einen Diener machen.
Ein Poster von New York dominiert sein Büro im sechsten Stock. Kurz ist ziemlich lang (1,86 Meter), trägt dunkelblauen Anzug, dazu ein hellblaues Hemd (das trägt er fast immer). Augen: sehr blau. Haare: zurückgegelt wie Niko Pelinka.
Auf dem riesengroßen Besprechungstisch hat er Unterlagen mit dem Text nach unten vor sich liegen. Er dreht die Blätter während des ganzen Gesprächs kein einziges Mal um. Auffallend seine gepflegten Hände, mit denen er oft über die weiße Papierfläche streicht. So, als wollte er ein heikles Thema vorsichtig ausbreiten, ganz offen auf den Tisch legen. In seinem Ressort mangelt es nicht an heiklen Themen.
"Krone": Herr Kurz, Ihre Forderung, Eltern von Schulschwänzern mit harten Strafen zu belegen, hat für großes Aufsehen gesorgt. Stehen Sie nach wie vor dazu?
Sebastian Kurz: Ja. Aber Achtung! Es geht nicht um Schulschwänzer oder Schüler, die zu spät in die Schule kommen. Es geht um Eltern, die ihre Kinder aus der Schule herausnehmen oder am Schulbesuch hindern. Also um massive Schulpflichtverletzungen, die von den Lehrern zwar angezeigt werden, wo dann aber nichts passiert.
"Krone": War es richtig oder war es ein Fehler, da sofort mit dem Finger auf die Familien mit Migrationshintergrund zu zeigen?
Kurz: Ich habe das nicht gemacht. Das Problem ist, dass wir ja gar nicht wissen, wie viel Prozent dieser Eltern Migranten sind. Wir wissen nur, dass bei Schulabbrechern vier Mal so oft Migranten betroffen sind. Österreichweit gibt es 75.000 junge Menschen, die weder in der Schule noch in irgendeiner Ausbildung sind, und das sollte ein Alarmsignal für uns alle sein. Denn das sind Menschen, die am Arbeitsmarkt keine Perspektive haben, die wahrscheinlich einmal nicht für sich selbst sorgen können. Es wäre fahrlässig, das unter den Teppich zu kehren.
"Krone": Aber was soll es bringen, wenn man von Eltern, die ohnehin kein Geld haben, 1.500 Euro verlangt?
Kurz: Mir geht es um ein Bündel an Maßnahmen. Erstens um den Mut, diese Zahlen endlich zu erheben. Zweitens um Motivforschung zur besseren Prävention. Drittens um verpflichtende Elterngespräche. Und viertens sehr wohl auch um höhere Strafen. Ich sehe nicht ein, dass man in Österreich 300 Euro zahlt, wenn man ohne Autobahn-Vignette angezeigt wird, und nur maximal 220 Euro, wenn man sich als Vater oder Mutter entscheidet, sein Kind nicht in die Schule zu schicken, obwohl in diesem Land seit Maria Theresia Schulpflicht herrscht. Mich interessiert auch: Geht's diesen Kindern gut? Sind sie vielleicht untergetaucht?
"Krone": 1.500 Euro werden's nicht werden. Ab wie viel wären Sie zufrieden?
Kurz: Ich glaube, dass eine Verdoppelung der jetzigen Strafhöhe schon ein eindeutiges Signal ist. Da bin ich Realist. In einer Koalition geht es immer auch darum, Kompromisse zu schließen.
"Krone": Wären Sie auch dafür, in solchen Fällen das Kindergeld zu kürzen?
Kurz: Nein. Ich glaube, dass die Strafe der richtige Weg ist. Was ich mir auch wünsche: Das Geld, das mit den Strafen für Schulpflichtverletzungen hereinkommt, soll zweckgewidmet werden, zum Beispiel für das letzte verpflichtende Kindergartenjahr.
"Krone": Ist es für Sie auch eine Schulpflichtverletzung, wenn Eltern mit ihren Kids außerhalb der Schulferien auf die Malediven fliegen?
Kurz: Na, wenn's unentschuldigt ist, natürlich! Aber so einen Fall kann man ja mit den Lehrern und dem Direktor besprechen. Es ist ein Unterschied, ob Eltern um freie Tage ansuchen oder ob ein Kind einfach plötzlich nicht mehr auftaucht.
"Krone": Sie haben für Ihren Vorstoß auch viel Schelte einstecken müssen. Verstehen Sie's?
Kurz: Wir haben in Österreich die Tendenz, gewisse Themen zu tabuisieren. Politiker, die ein Thema ehrlich ansprechen, werden gerne in ein Eck gedrängt. Ich habe es nie brutal angesprochen. Ich finde, man sollte die Dinge unemotional und ohne ideologische Absolut-Standpunkte angehen.
"Krone": Ist Ihnen das glatte Parkett, auf dem Sie sich da bewegen, bewusst?
Kurz: Es geht bei der Integration um sehr emotionale Themen… Ja.
"Krone": Das Wort "Ausländer" nehmen Sie erst gar nicht in den Mund, stimmt's?
Kurz: Ausländer sind alle, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Die Unterscheidung zwischen In- und Ausländern ist nur in wenigen rechtlichen Bereichen sinnvoll. Bei der Integration geht's sehr oft um Menschen, die zwar die Staatsbürgerschaft haben, aber vielleicht trotzdem noch nicht Deutsch sprechen.
"Krone": Einverstanden, wenn Sie ein paar heikle Fragen beantworten?
Kurz: Klar.
"Krone": Sollen Lehrerinnen in Österreich Kopftuch tragen dürfen?
Kurz: Wir haben derzeit keine Fälle, die problematisch sind. Die Antwort auf diese Frage wird das Dialogforum Islam geben.
"Krone": Alice Schwarzer sagt: Das Kopftuch ist die Flagge des Islamismus. Richtig?
Kurz: Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Wenn eine Frau ein Kopftuch freiwillig trägt, ist das etwas ganz anderes, als wenn sie von ihrem Mann dazu gezwungen wird.
"Krone": Es gibt Männer in Wien, die Ausbildungen in Terrorcamps absolviert haben. Glauben Sie, dass die Behörden das im Griff haben?
Kurz: Innenministerium, Polizei und Verfassungsschutz sind da in hohem Maße engagiert. Wir haben in Österreich absolut keinen Platz für Radikalisierungstendenzen.
"Krone": Es werden mitten in Wien auch junge Mädchen zwangsverheiratet.
Kurz: Das Gesetz dazu haben wir bereits geändert. Da gab es eine Lücke. Zwangsehe waren zwar verboten, aber da diese oft im Ausland geschlossen werden, war unser System nicht zuständig. Jetzt ist es auch im Ausland strafbar.
"Krone": Der Wiener Bürgermeister hat gesagt: Wer in Wien leben will, muss Deutsch können. Pflichten Sie dem bei?
Kurz: Ja. Deutsch ist die Basis für jede gelungene Integration. Leider Gottes haben wir dieses Thema jahrzehntelang vernachlässigt, weil es immer politische Strömungen gegeben hat, die Integration dem Zufall überlassen haben. So unter dem Motto: Das funktioniert eh ganz von allein, wenn wir alle miteinander tolerant genug sind.
"Krone": War es eine falsche Toleranz?
Kurz: Ich glaube, dass Toleranz sehr gut ist, aber die Basis für eine Integration sind Sprachkenntnisse, und wer Menschen vorgaukelt, dass sie in Österreich ohne Kenntnisse der deutschen Sprache ein selbstbestimmtes Leben werden führen und sich gesellschaftlich und im Arbeitsmarkt integrieren können, der reagiert fahrlässig.
"Krone": Es gibt auch UNO-Beamte, die hier leben und kein Deutsch können. Gilt das auch für sie?
Kurz: Es gibt ein Promille an Menschen, die in hochqualifizierten Berufen arbeiten, die nur einige Jahre in Österreich sind, die ihre Kinder auf elitäre internationale Privatschulen schicken. Bitte, machen wir nicht den Fehler zu denken, dass es deshalb für alle so funktioniert. Im Übrigen gilt auch für den UNO-Beamten: Wenn er Deutsch kann, wird er sich leichter tun, am gesellschaftlichen Leben in diesem Land teilzunehmen.
"Krone": Herr Kurz, Sie gelten ja ein bißchen als Star des schwarzen Koalitionspartners. Umfragen seheVP retten können?
Kurz: (lacht) Zeigen Sie mir einen Staatssekretär, der schon einmal eine Partei vernichtet oder gerettet hat. Ich kenne keinen. Ich bin Staatssekretär in dieser Regierung und ich bin Bundesobmann der jungen ÖVP. Beide Aufgaben versuche ich bestmöglich zu erfüllen. Es sind beides sehr entscheidende Aufgaben, aber ich bitte, ihnen die Bedeutung zu geben, die sie haben.
"Krone": Sie sollen sich mit Händen und Füßen gewehrt haben, Wiener ÖVP-Obmann zu werden. Stimmt das?
Kurz: Es gibt einen sehr guten Partei-Obmann der ÖVP Wien, den Manfred Juraczka. Ich unterstütze ihn in seinem Team.
"Krone": Das war aber nicht die Frage.
Kurz: (lacht) Ich glaube, dass man immer das machen sollte, was einen persönlich begeistert, wo man etwas bewegen kann. Aber man sollte auch immer nur das tun, was man selbst für richtig hält, und ich fühle mich mit meinen Aufgaben vollkommen ausgelastet.
"Krone": Also sind Sie gefragt worden und haben abgelehnt oder wurden Sie nicht gefragt und waren froh?
Kurz: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich als Landesparteiobmann der ÖVP Wien nicht zur Verfügung stehe.
"Krone": Sind Sie froh?
Kurz: Na froh… Ich habe immer gesagt, dass ich es nicht machen werde, und wie man sieht, ich habe es nicht gemacht. Das ist das einzig Entscheidende, glaube ich.
"Krone": Werden Sie manchmal auf Ihre Ähnlichkeit mit Niko Pelinka angesprochen?
Kurz: Nein, aber ich nehme es zur Kenntnis, dass Sie es mit der Frage tun.
"Krone": Hat es Ihnen leid getan, dass er mit seinen Ambitionen im ORF gescheitert ist?
Kurz: Ich sehe das differenziert. Ich glaube, dass es nicht gut ist, wenn politische Parteien auf Medien Einfluss in einem Ausmaß nehmen wollen, wie es ihnen nicht zusteht. Auf der anderen Seite finde ich es falsch, wenn Menschen aufgrund ihres Alters kritisiert werden. Wenn es sachliche Kritik ist, dann muss sich die jeder gefallen lassen, wenn es Kritik aufgrund des Alters ist, dann ist das falsch.
"Krone": Auch Sie mussten sich noch vor einem Jahr Bezeichnungen wie "Milchbubi" oder "Geilsbringer" gefallen lassen. Springt da noch etwas an in Ihnen?
Kurz: Ich muss schmunzeln. (Sein Blick wird gleich wieder ernst) Ich habe am Anfang sehr viel Gegenwind gehabt. Das ist jetzt besser geworden. Die Altersdiskussion war vor allem eine mediale Diskussion. Hier im Haus habe ich mich vom ersten Tag an großartig unterstützt gefühlt. Auch das Feedback der Migrantinnen und Migranten war durchwegs positiv.
"Krone": Was haben Sie im letzten Jahr über Politik gelernt?
Kurz: Dass ich mir die Ungeduld, die mich antreibt, und meinen unkonventionellen Zugang auf keinen Fall abgewöhnen möchte.
"Krone": Was wird in zehn Jahren sein?
Kurz: Ich bin kein Hellseher. Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich gerne in der Politik bin, ich möchte aber auch gerne noch einmal internationale Erfahrung sammeln und im Ausland tätig sein, vielleicht im Rahmen einer NGO, und ich möchte gerne noch einmal in der Wirtschaft arbeiten. Ich lasse es auf mich zukommen.
"Krone": Könnte es auch sein, dass Sie 2022 Minister oder ÖVP-Chef sind?
Kurz: Das glaube ich kaum.
"Krone": Ist Minister auf der Karriereleiter nicht die nächste Stufe?
Kurz: Ich stelle mir Karriere nicht als Leiter vor, eher als etwas, das sich am Boden abspielt. Das sind Wege, die ich gehe. Für mich ist Karriere überhaupt nicht mit Höhe verbunden. Ich klettere auch nicht. Deshalb brauch' ich auch keine Angst zu haben herunterzufallen (lacht).
"Krone": Welcher Spindoktor steht eigentlich hinter Ihren Themen?
Kurz: Mein Spindoktor ist der unabhängige Expertenrat für Integration.
"Krone": Kein Personal Coach?
Kurz: Ich hab' das beste Team, das man haben kann. Ich brauch' keinen Personal Coach.
Eine Polit-Reise, die mit dem Geil-o-Mobil begann…
Ein Steckbrief von Sebastian Kurz
Geboren am 27. August 1986 in Wien-Meidling. Mutter Lehrerin, Vater Techniker, keine Geschwister. Nach Matura mit Auszeichnung studiert er ab 2005 Jus (derzeit hat er das Studium ruhend gestellt, will es aber "irgendwann hundertprozentig" abschließen). Neben seinem Studium jobbt Kurz in einer Rechtsanwaltskanzlei, bei einer Versicherung und an der Österreichischen Botschaft in Washington. 2007 wird er Landesobmann der Jungen ÖVP Wien, ein Jahr später Bundesobmann, außerdem ist er als Landtagsabgeordneter und Gemeinderat in Wien tätig. Bekannt wird Kurz mit einer umstrittenen Werbekampagne ("Schwarz ist geil"), für die er mit einem "Hummer-Geil-o-Mobil" durchs Land fährt. Staatssekretär für Integration der Regierung Faymann/Spindelegger seit April 2011. Privat ist der 25-Jährige (Markenzeichen: Er trägt nur Krawatte, wenn er Österreich im Ausland vertritt) seit mehreren Jahren mit der Wirtschaftspädagogin Susanne zusammen.
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