Album & Tour

Strolz & Razelli: Musik aus einer anderen Sphäre

Musik
11.10.2023 09:00

Politiker, Unternehmer, Autor, Social-Media-Aktivist - nun ist Matthias Strolz wieder Musiker und hat sich ein zweites Mal mit Beatbastler und Produzent Kurt Razelli zusammengetan. Fünf Jahre nach ihrem Debütalbum „Lost In Space“ sind die beiden nun „Back To Earth“ und gehen damit erstmals auf Tour. Ein Gespräch über die Leiden des Krieges, Bewusstseinsforschung, Rammstein und Salz als Symbol der Freiheit.

(Bild: kmm)

„Krone“: Matthias, Kurt - „Back To Earth“ ist euer zweites gemeinsames Album. War es wieder so, dass Matthias die Texte an unterschiedlichen Orten schrieb und Kurt seine Beats dazu bastelte?
Matthias Strolz:
 Mir kommen die Worte zu 90 Prozent im Ausland. Dort bin ich meist frei von familiären und unternehmerischen Verpflichtungen. Der Kopf wird frei, die Seele beginnt zu baumeln und mir schießt eine kreative Wucht ein, die mich beutelt. Der ergebe ich mich und daraus entstanden die Texte - gewissermaßen aus einer anderen Sphäre, wo man mit dem Kopf nicht so recht hinkommt. Ich bin nachts im Dunkeln noch kreativer. Mitternachts spreche ich alles ein und schicke es Kurt durch. Kurt hat tolle Vibes, Beats und eine große Präzision. Das ist für mich erstaunlich und berührend, weil er immer ins Schwarze traf. Wir kommen ja von unserer Genese und dem Lebensweg her von unterschiedlichen Sternen und hängen nicht jeden Tag zusammen ab.

Ein schönes Zeichen in einer Welt, die an Diskurs und Gemeinschaft verliert, wenn zwei Typen wie ihr, die aus unterschiedlichen Welten stammen, dennoch etwas zusammen erschaffen können.
Strolz:
 Mehr als das. Es ist eine Art der Co-Kreation, die für uns beide und hoffentlich auch andere schön ist. Es ist mehr als die Summe der Teile. Eins und eins wird mehr als zwei - das ist das Magische am künstlerischen Schöpfungsakt. Ich bin in dieser Welt ein Lehrling, Kurt kennt sie schon viel länger. Ich habe als Autor schon Bücher mit anderen geschrieben, aber das ist nicht direkt vergleichbar. Es riecht nach Fügung, dass wir uns erwischt haben und gemeinsam unterwegs sind. Wir wären auch nicht aufeinander gekommen, wenn man ganz theoretisch eine Kooperation überlegen würde.
Kurt Razelli: Bei unserer ersten Begegnung habe ich mir Matthias als zurückgetretenen Politiker ausgesucht. Vor fünf Jahren machten wir „Lost In Space“. Das Album hat Spaß gemacht und war gut. Hätte Matthias nach einem zweiten gefragt, ich hätte immer sofort Ja gesagt dazu. Letztes Jahr im Sommer schrieb er mich dann an.
Strolz: Wir haben uns dreieinhalb Jahre nicht mehr gesehen, aber es war innerhalb von Minuten klar, dass die Zeit für ein neues Album reif war. Bei mir hat es auch mit einer gewissen Sprachlosigkeit zu tun, die mich nach dem Ukraine-Krieg befallen hat. Ich versuchte Gastbeiträge dazu bei deutschen Medien unterzubringen, aber es hat niemanden interessiert, weil ich in der Polarisierung nicht die Pole bediene. Ich habe äußersten Respekt vor dem unendlichen Mut der Ukrainer. Gleichzeitig müssen wir aber immer nach Frieden Ausschau halten. Das ist der Spannungsbogen im Song „Brothers Of Regression“, der unser erster war. Ein Amalgam aus Krieg, Fake News und Aggression, das uns derzeit so piesackt. Wir wollten aber auch in das Licht, die Hoffnung und in die Liebe gehen, aber davor muss man den Status Quo akzeptieren und anerkennen. Der Krieg ist eine menschliche Entscheidung und kein Schicksal. Man kann also entscheiden, dass er aufhört. Was man füttert, wird groß. Gewissermaßen feiern wir das Menschsein und so sollen auch die Konzertabende sein. Es wird kein klassisches Konzert, dazu fehlt mir die Gesangskunst, es sollen fette Feierabende des Menschseins werden.

Die Titel der beiden Alben verraten es bereits - es geht von „Lost In Space“ zu „Back To Earth“.
Strolz:
 Genau, wir kommen zurück auf die Erde. Deshalb heißt der Eröffnungssong auch „Universe You Are“. Das sind die Eindrücke, die wir als galaktische Reisende gesammelt haben. Dann kommen wir an, es ist Krieg und wir sind geschockt. Wenn du von außen auf diesem Planeten ankommst, dann fragst du dich doch, ob die Spezies Mensch einen Huscher hat. Wir haben versucht, das in Worten und Tönen einzufangen. Es ist gefährlich, den Krieg so beiseite zu schieben, als wäre er einfach ein Alltagsphänomen. Wir dürfen ihn nie verleugnen und uns an ihn gewöhnen, wir dürfen uns aber auch nicht täglich von ihm fressen lassen. Wir wollen weg von der Angst an den Ort der Hoffnung. So verläuft das Album.

Gerade die Texte in der ersten Albumhälfte sind sehr dunkel und teilweise dystopisch. Hast du sie trotzdem in Momenten und Zuständen des persönlichen Friedens und der inneren Ruhe geschrieben?
Strolz:
 Bei „Ich muss siegen!“ war ich sicher in einer aggressiven Ladung der Hilflosigkeit. „Brothers Of Regression“ hat eine gewisse Form von Zynismus. Bei den 15 schlimmsten Tragödien der Menschheitsgeschichte steckten immer Männer dahinter - toxische Männlichkeit pur. Sie betreiben Sandkastenspiele weiter, allerdings nicht mit Bagger und Schaufel, sondern mit gefährlichen Waffen. Männliche Aggressivität gab es immer, entlud sich aber anders. Früher hat jemand den Nachbar oder ein Familienmitglied erschlagen. Heute, mit den verfügbaren Mitteln, einen halben Kontinent.

Das ganze Album ist ein Aufruf, dass wir uns als Spezies neu begreifen. Wenn wir so weitermachen, werden wir uns selbst löschen. Mit Mühe und Not haben wir die Atombombe 70 Jahre lang stillgehalten, aber jetzt kommen drei andere, gleich große Hebel dazu, die das Potenzial haben, uns zu vernichten. Künstliche Intelligenz, der Klimakollaps und von Menschen geschaffene Viren. Können wir die Risikopotenziale die nächsten 300 Jahre halten? Ich glaube, da müssen wir bei uns ein Software-Update einspielen und im grundsätzlichen Verhalten etwas ändern. Die nächsten Jahrhunderte sind ein neues Spiel, das längst begonnen hat. Es ist ein sehr spiritueller, aber auch weltlicher Appell. Ich fragte mich, ob Kurt Razelli Balladen kann, aber auch das hat sich dann gefügt. Erst ein schwer einzuordnendes Album, weil es nicht Dieses oder Jenes ist, aber jede Nummer hat für sich eine Stimmigkeit gefunden.

Ein Vorteil ist sicher auch, dass ihr beide nicht dem Druck unterliegt, dass dieses Album dringend euren Lebensunterhalt finanzieren muss.
Razelli:
 Es ist kein klassisches Geldverdien-Album, um es so zu sagen. Wir sind eher nicht Ö3-Hitverdächtig. (lacht) Meine Grundfrage für dieses Album war immer, wohin ich die Texte musikalisch bringen kann. Matthias ist kein gelernter Sänger wie Austrofred, der viel Bühnenerfahrung hat. Rappen wird Matthias auch nicht, weil es nicht authentisch ist - also stellte sich die Frage, wo man ihn positionieren kann. Es ging dann Richtung Faithless und Poetry Slam. Botschaften überbringen zu elektronischer Musik. Das Elektronische und teilweise sehr Sphärische waren durch den Handlungsbogen gegeben, weil wir quasi zurück zur Erde kommen. Es sollte ein Universums-Sound mit Cyberpunk-Elementen beinhalten.

Man findet auf dem Album auch Rammstein, Kraftwerk, Nine Inch Nails oder Ministry, wenn man genau hinhört. Wolltest du eher harschen Industrial mit etwas Melancholie verknüpfen?
Razelli:
 „Brothers Of Regression“ war der Beginn und der klingt sehr nach Cyberpunk, also Zukunftsmusik. „Ich muss siegen!“ war aufgelegt für einen harten Rammstein-Sound. „A Place Called Hope“ muss breite Hoffnung tragen - so hantelte ich mich vor. Mir schwebte eine schöne Lichtshow für die Bühne vor und das kann man musikalisch vordenken. Was würden die Leute denken, wenn sie hören, Matthias Strolz singt? Gezwungener Austropop? Schlager? Genau das wollte ich eben nicht. Das Album ist sehr weit von diesen Gedanken entfernt.

Matthias, wer deinen Lebensweg verfolgt, erwartet sich doch per se das Unerwartete. Du hast in deiner beruflichen und privaten Laufbahn immer wilde Haken geschlagen. Hast du aus der Politik eine gewisse Form von Resilienz mitgenommen, wenn du immer wieder kritisiert wirst?
Strolz:
 Man ist irgendwann gut abgehärtet. Die Shitstorms der Politik oder in der Corona-Zeit als Bürger, wo ich mich in der Mitte der Pole positionierte, waren ungleich brutaler. Ich höre hinein und will wissen, was ist, aber ich lasse auch los und mich nicht davon auffressen. Ich bin gut Schlechtwetter-erfahren und freue mich, dass es in der Essenz auf das Album bislang positives Echo gab. Man schwankt anfangs ja immer zwischen dem Gedanken, ob das überhaupt jemand hören will oder ob es zum Welterfolg wird.
Razelli: Es war jedem von uns bewusst, dass wir mit der ersten Single „Ich muss siegen!“ für Aufregung sorgen werden. Viele haben das genau nicht erwartet. Eben kein singender Matthias, sondern einer, der in dieser Zeit brutal ausspricht, was gerade ist. Dementsprechend wurde das Video sehr blutig und martialisch und wir mussten es für YouTube ab 18 machen.

Hat dieses Lied durch die leidigen Diskussionen über Rammstein und Till Lindemann, die sich den ganzen Sommer durchgezogen haben, für noch mehr Kritik in der Öffentlichkeit gesorgt?
Strolz:
 Wir waren da schon damit durch, das war ein zeitlicher Glücksfall. Das Video war zwei Monate vor dem Aufkommen der Thematik raus und wir waren dadurch völlig entkoppelt. Rammstein steht künstlerisch für ein bestimmtes Genre, aber wir würden es jetzt vielleicht nicht mehr so machen. Es ist schwierig.
Razelli: Rammstein steht für rockige Gitarren mit Industrial-Sounds, sie haben damit ein eigenes Genre entworfen. Das wird es weiterhin geben, aber sobald man mit dem Sound in diese Richtung geht, wird man mit Rammstein, der Band verglichen. Ich höre sehr wenig Rammstein und kenne nur die großen Hits. Ich habe noch nie ein Album in einem durchgehört und nicht ihren Klang analysiert. Würde es Prodigy noch immer so geben und wir würden heute eine Art Jungle-Rave herausbringen, dann würden wir auch sofort direkt mit ihnen verglichen werden. 
Strolz: Von der Energie hat „Ich muss siegen!“ auch was von Rage Against The Machine. Dafür sind die Drums aber zu synthetisch, das ist mir schon klar. Auf einer Hochzeit haben wir unlängst um 2 Uhr morgens „Killing In The Name“ gehört. Da haben wir uns abgeschüttelt, weil es so viel Energie entfacht.

Matthias, kannst du dich im musikalischen Segment so offen ausdrücken wie noch nie zuvor? Gibt dir dieses Projekt eine besondere Form der Freiheit?
Strolz:
 Ich will und muss mich zu dem verhalten, was auf der Welt passiert. Um ruhig zu sein, habe ich einen zu politischen Anteil und bin zu stark interessiert am kollektiven Geschehen. Ich will aber nicht meine bisherigen Stimmen als Autor, Politiker oder Social-Media-Aktivist dafür verwenden. Kurz war ich sprachlos und das hat mich aus einem Bauchgefühl her in dieses gemeinsame Projekt geführt. Es ist für mich eine neue, aber auch angemessene und effektivste Sprache, um Antworten zu geben. Für „Lost In Space“ haben wir nur ein Konzert gespielt, aber das war ein solches Erlebnis, das uns nie mehr losgelassen hat. Das Flex war innerhalb von einer Woche ausverkauft und Booking-Agenturen wollten uns auf Tour schicken. Ich wollte aber für die Familie leiser treten. Man kann nicht aus der Politik rausgehen und direkt hier eintauchen. Zudem bin ich kein Künstler, sondern Rohstoff, der von Kurt Razelli veredelt wurde. Auch in den Rückmeldungen habe ich gemerkt, dass ich viele Menschen erreiche, die ich weder mit Reden, noch mit meinen Büchern erwischte.
Razelli: Die beiden Alben kann man überhaupt nicht vergleichen. Damals habe ich mich an den Reden von Matthias bedient und ein paar neue Tracks gemacht. Dieses Mal war die Zugangsweise komplett anders. Es gibt komplett neue Texte, Botschaften sind dahinter und wir hatten eine tolle, gemeinsame Studiozeit, wo wir mit jedem Song viel gespielt haben. Der Prozess war völlig anders als beim Debütalbum. Teilweise blieben Originalspuren von seinen Handyaufnahmen am Album.
Strolz: Der Handytrack musste sein. Manchmal gibt es eine Ergriffenheit in den spontanen Worten, die du im Studio kaum zusammenkriegst. Ungefiltert und unmittelbar.
Razelli: Das ist zusätzlich eine schöne Erinnerung für Matthias, weil er sich dann immer an diesen speziellen Moment erinnern kann und Bilder im Kopf hat.

In der Politik muss man alles zerdenken, überdenken und analysieren. Sich zurücknehmen und diplomatisch sein. All das brauchst du in der Musik nicht mehr zu machen. Das Ungefilterte und Spontane wird dadurch Usus. War das bei dir so?
Strolz:
 Ich mache einen Download von dem, was mich bewegt und was mir von irgendwo gegeben wird. Es ist einfach da und kommt raus. Allerdings vergehen dann einige Monate, bis die Musik auf den Markt kommt und das ist mühsam. Als Autor kenne ich das auch. Wenn ich ein Buch fertig geschrieben habe, bin ich damit durch und woanders, aber es kommt fünf Monate später auf den Markt und man muss sich energetisch und emotional wieder zurückspulen. Das wird auch bei der Tour so sein. Ich habe viel Respekt davor. Viel Vorfreude, aber auch ein bisschen Angst.
Razelli: Die Angst hatte er damals im Flex auch und wollte nur alle vier, fünf Nummern auf die Bühne kommen. Dann war er aber im Endeffekt durchgehend draußen. (lacht) 
Strolz: Es gibt immer noch ein paar Fragezeichen, aber auch die letzten Schritte werden uns gut gelingen. Ich bin sehr zuversichtlich, aber ein bisschen Anspannung gehört dazu.

Ist der Song „Me Version 3.0“ eine Selbstoptimierungshymne? Man darf nie stehenbleiben und ausharren, weil man nur mit Verbesserung und Veränderung in dieser Welt bestehen kann?
Strolz:
 Wir sind ja nie dieselben. Angenommen ich bin seit 15 Jahren Vater, dann habe ich die Erziehung vor fünf Jahren anders gemacht als jetzt. Die Welt dreht sich weiter und du drehst dich als Individuum immer weiter. Wer sich nicht selbst definiert, der wird definiert. Dann ist man die Geisel der Datenkraken. Es ist wichtig, sich durchzustrecken und sich der Welt gegenüber wach zu verhalten. Als Mensch bin ich ein schöpferisches Wesen und kann aktiv mitgestalten. Das Lied ist die Option, weder zu flüchten, noch zu kämpfen, sondern die dritte Option zu wählen: mein Ich und auch das Wir mitzugestalten. Im Endeffekt geht das auch bei der Gesellschaft. Wir sind keine Opfer, sondern Pilotinnen und Piloten unseres Lebens. Manchmal muss man Risiken nehmen.
Razelli: Für mich als Künstler geht es immer darum, nach etwas Neuem zu streben und sich neu zu erfinden. Es begann mit Videoschnipsel-Trash, dann mache ich ein Album mit einem Politiker, dann mit Philipp Hochmair und dann mit Austrofred - es ging immer weiter. Im Künstlerischen ist es spannend, in etwas hineinzukommen, wo man noch unerfahren ist. Es ist eine Herausforderung, solche Dinge anzunehmen. Ich habe ganz am Anfang nicht verstanden, wo mich Hochmair beim „Jedermann“ einordnen möchte. Wir haben dann Hochkultur auf Elektronisch gepimpt, das ist doch grandios.

„Life Is A Comma“ klingt so, als wäre das Leben und unsere Realität nur eine Zwischenstation. Wie schaut für euch selbst eine mögliche Nachwelt aus, sofern es überhaupt eine gäbe?
Strolz:
 Über die letzten Jahre habe ich die Einsicht gewonnen, dass wir als Menschen so etwas wie eine Seele haben. Wir sind Wesenheiten, die aus dem außer zeitlichen, nicht physischen Raum kommen. Für ein paar Jahrzehnte halten wir uns einen menschlichen Avatar. Wir kommen durch Raum und Zeit und in Fleisch und Blut, um ein menschliches Abenteuer zu erleben. Wir lernen und gehen dann zurück in die andere Sphäre. Die Leute schütteln dabei den Kopf und meinen, ich wäre durchgeknallt. Doch dann lese ich wieder die Todesanzeigen mit Sätzen wie „er ging zurück ins Licht“ oder „er ist wieder beim Vater“ - wo ist da der Unterschied? Mein Gott hat halt keinen Bart und ist ein bisschen abstrakter. 
Razelli: Das ist mir alles ein bisschen zu weit gegriffen. (lacht) Ich habe dazu keine direkte Meinung. Ich bin zu jung für den Tod und beschäftige mich erst später damit. 
Strolz: Die indische Mystik sagt, dass du im ersten Drittel des Lebens lernst, im zweiten baust und dich im dritten auf das Sterben vorbereitest. Bei mir riecht es schon nach letztem Drittel und Kurt ist noch im zweiten. (lacht) Ich versuche zu vermitteln, dass wir göttlicher Staub in mystischen Winden sind. 
Razelli: Wenn man das Universum betrachtet, ist sowieso alles unvorstellbar. Vielleicht sind wir einfach nur eine kleine Ameisensiedlung in einem Vorgarten oder ein Hologramm.
Strolz: Die moderne Bewusstseinsforschung sagt, die Menschheit wäre eine Illusion. Das wurde in Filmen wie „Matrix“ oder „Inception“ bereits ausgeführt und zu Ende gespielt. Ich weiß es auch nicht, niemand weiß es. Ich bin auf einer Reise vom katholischen Hochgebirgsministranten zur Wiener Stadtpflanze, mit etwas Welterfahrung.
Razelli: Wenn es so viele Sterne gibt wie Sandkörner am Strand, dann können wir niemals der Mittelpunkt der Welt sein.

Durch das Album zieht sich trotz allem die Hoffnung an das Gute im Menschen. Die Realität gibt dazu aber nicht immer so viel Anlass?
Strolz:
 Alle Alternativen changieren zwischen ungut und beschissen. Deshalb gibt es auch den Song „Mahatma“, der Mahatma Gandhi gewidmet ist. Er zog sich mit 76 engsten Mitstreitern 15 Jahre zurück, bevor er den finalen Ausritt gegen die Briten machte. Churchill spottete über ihn, weil sie vom Zweiten Weltkrieg heraus mit einer Weltmacht-Logik um die Ecke kamen. Gandhi wollte die Ketten von den Briten abschütteln, ohne einen Schuss abzusetzen. Er kam von einem inneren Ort. Das klingt natürlich sehr esoterisch, aber auch Wissenschafter sprechen davon. Nach 15 Jahren fühlte er sich reif, um ans Meer zu gehen, um das von den Briten so hoch besteuerte Salz als Symbol der Freiheit zu nehmen. Er wollte mit einem freien Indien zurückkommen oder sterben. Am Schluss geschah beides, aber all das erzählt eine Geschichte über Menschen. Die Liebe ist die größte Kraft der Welt. Auch unsere Konzerte soll eine Messfeier des Menschseins sein. Wir wollen die Hoffnung füttern, ohne zu verleugnen, dass in jedem von uns der Schatten wohnt. In jedem von uns wohnt ein kleiner Putin, dafür bekam ich einen bösen Shitstorm auf Twitter. Niemand kam als Ausgeburt des Bösen auf die Welt, aber viele haben lange das falsche gegessen und dabei hat sich die Welt mit verschluckt. Das können wir nicht brauchen. Wir müssen uns woandershin entwickeln.

Stichwort Massenvernichtungswaffen - über kurz oder lang sind das auch Social-Media-Plattformen. Zumindest wirken sie oft wie Portale, auf denen wir ständig aufrüsten und uns gegenseitig verbal vernichten.
Strolz:
 Wir verhalten uns dort wie im Wilden Westen. Als ich mit der Politik begonnen habe, haben wir das Internet gefeiert. Wir feierten die Demokratisierung und Transparenz der Information und das hat sich innerhalb von zehn Jahren pervertiert. Wenn wir uns so verhalten, schaffen wir aber auch eine andere Entwicklung ins Licht. Wenn wir im Moment so viele Waffen produzieren und kaufen wie noch nie in der Geschichte der Menschheit, dann können wir auch das Gegenteil schaffen. Innerhalb von sieben Jahren wurden im Silicon Valley die größten Unternehmen der Welt erschaffen. Alles geht immer schneller. ChatGPT hat einen Tag gebraucht, wofür Instagram viele Monate brauchte. Die Beschleunigung hält an. In den letzten Jahren haben Krankheiten wie Burn Outs epidemisch um sich gegriffen. Mehr noch als Corona-Opfer haben wir psychische Schäden und Ernährungsstörungen davongetragen. Die Zeiten sind bewegt, bremsen wir uns ein bisschen ein. Auf der Oberfläche können wir nicht mehr kratzen, mit den vorhandenen Bedrohungsszenarien. Wo Schatten, da aber auch Licht. Und dem spüren wir nach.

Ist dieses Projekt nun da, um endgültig zu bleiben? Oder sind dieses Album und die anstehende Tour ein weiteres Kapitel, bevor wieder lange nichts passiert?
Razelli:
 Ich glaube, dass es auf jeden Fall bleiben wird. Mal schauen, ob wir so weitermachen oder später einmal was Neues probieren. 
Strolz: Wir sind stark von der Intuition geleitet. Uns führt kein betriebswirtschaftliches Kalkül zusammen, auch wenn man die Kosten nicht ignorieren darf. Wenn du nicht Taylor Swift bist, kannst du auf Streamingplattformen nichts verdienen und mit der Tour können wir das Excel-Sheet Richtung „ausgeglichen“ führen. (lacht) 
Razelli: Mir ging es darum, etwas zu schaffen, das man auch in vielen Jahren noch hören kann. Es ist ein Lebensprojekt und das finde ich schön.
Strolz: Wenn uns unsere Herzen rufen, werden wir weitermachen. Wenn nicht, dann freuen wir uns darüber, was wir schon gemacht haben. Es ist jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass etwas nachkommt.

Tour durch Österreich
Mit ihrem zweiten gemeinsamen Album „Back To Earth“ gehen Tausendsassa Matthias Strolz und Beatbastler Kurt Razelli nun auch erstmals gemeinsam auf Tour. Sie spielen am 17. November im Innsbrucker Treibhaus, am 18. November im Conrad Sohm in Dornbirn, am 25. November im Grazer ppc, am 30. November in der Simm City in Wien und am 1. Dezember im K.U.L.T. in Hof bei Salzburg. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Infos zu den Konzertabenden, die sicher nicht der gängigen Norm entsprechen werden.

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