Ein großer Irrtum wäre es, zu glauben, Volkskultur ändere sich nicht! Bräuche wandeln sich über die Generationen, und die Erforschung derselben macht Fortschritte. Was unseren Alltag begleitet, ist auch Thema der ethnologischen Forschung - Trachten, Stoffmasken, Liebesschlösser und mehr.
„Als nach dem Zweiten Weltkrieg das Land brachlag, formierten sich volkskulturelle Vereine, die in der NS-Zeit verboten gewesen waren, neu. In den 50ern wurden die Heimatwerke aktiv und sorgten für eine Trachtenerneuerung: Anhand musealer Stücke und mit neuen Ideen“, erinnert Ethnologe Heimo Schinnerl. Allein wegen der neuen Lebenswirklichkeiten sei neue Mode notwendig gewesen: Kaum jemand lenkte noch Kutschen, Bewegungsfreiheit garantierende Falten im Sakko waren also unnötig geworden. Doch Spangen im Rücken mussten tiefer gesetzt werden, um beim Autofahren nicht zu drücken.
„In den 60ern und 70ern entstanden Heimatmuseen, ab Ende der 70er kam es zu einem Paradigmenwechsel: Nicht nur die Erhaltung war das Ziel, sondern auch, Innovationen zu übernehmen„, so Schinnerl. Jeans zum Trachtenjanker seien mittlerweile eine anerkannte Kombination.
Neue Erkenntnisse konnten auch durch neue Forschungsmethoden gewonnen werden: Mittels Dendrochronologie, also der Holzalterbestimmung, konnte im Jahr 2019 das Bodnerhaus im Freilichtmuseum in Maria Saal als ältestes in Blockbauweise errichtetes Gebäude Österreichs erkannt werden. „1469 und früher wurden die Fichten und Lärchen für das Haus gefällt“, so Schinnerl. 1470 wurde es erbaut. Das Bodnerhaus stand also schon in Kärnten, bevor Amerika entdeckt wurde!
„Neue Medien wie E-Mail und digitale Fotos, die man gleich versenden kann, haben für ein europäisches Denken gesorgt. Der Austausch mit Kollegen aus anderen Ländern ist einfacher und schneller geworden. Kulturelle Strömungen können viel besser über Tausende Kilometer verfolgt werden", freut sich der Wissenschafter, der eine Anfrage einer finnischen Kollegin zu den Heiliggeisttauben erhalten hat. Erst durch diese Zusammenarbeit wurde klar, dass die geschnitzten, vermeintlich alpenländischen Tauben ab den 1940ern über russische Soldaten zu uns gekommen waren.
Das gab es noch nie! - Irrtum!
Erforscht werden auch (vermeintlich) junge Bräuche, beispielsweise liebevolle Schlüsselerlebnisse: Als Liebesschlösser, Love Padlocks oder lucchetti dell’amore bezeugen Vorhängeschlösser ja auf Brücken in aller Herren Länder die Liebe zweier Menschen zueinander - wie einst Schnitzereien in Baumrinden. Doch schon nach den Weltkriegen sei es, so Schinnerl, üblich gewesen, Spindschlösser oder jene der Trosssäcke bei der Heimkehr an eine Brücke oder Laterne zu hängen.
Nähanleitungen und Coronastoffmasken werden künftigen Generationen von einer uns noch nahen Vergangenheit erzählen, denn auch das war Alltagskultur.
Museumsprogramme auch für Beeinträchtigte und Demente
Nicht nur Wissen, auch Erlebnisse werden heutzutage in Museen vermittelt: Bunte Methoden vom chinesischen Korb bis zur Führung im historischen Kostüm kommen zur Anwendung.
Durch Sammlungen in Museen gab es immer schon Führungen. „Aber ab den 1970ern, mit der Reformpädagogik, wurde darauf geachtet, das Wissen spannend zu vermitteln, mit technischen Hilfsmitteln und Workshops“, weiß Roland Bäck, der die Abteilung Vermittlung im Kärnten Museum (km, vormals Landesmuseum) leitet. „Die Vermittler sind die Schnittstelle zwischen Besuchern und Wissenschaft“, so der Historiker.
Ob man einen Kinder- garten, die Feuerwehr oder die Pfarre führt, ist ein großer Unterschied: Zielgruppen- orientiert soll es sein.
Roland Bäck, Historiker, Leiter der Vermittlung km
Bild: Christina Natascha Kogler
„In Kärnten haben drei Personen früh mit zielgruppenorientierte Vermittlung angefangen: Der Spittaler Volkskundler Hartmut Prasch hat Kinderprogramme angeboten, Erich Wappis hat am Magdalensberg geführt und im Landesmuseum die Museumspädagogikabteilung aufgebaut, Kulturpädagogin Heiderose Hildebrand hat den Chinesischen Korb eingeführt.“ Dieser Korb bietet Gegenstände, die als assoziative Brücke zwischen dem Alltag der Museumsbesucher und den Ausstellungstücken stehen sollen.
„Vermittlung ist wie ein Eisberg: Die Führung durch die Ausstellung ist die sichtbare Spitze, verborgen ist die Vorarbeit: Konzept erarbeiten, Unterlagen erstellen, Workshops ausprobieren, Materialien herrichten, beispielsweise zum Korbflechten oder Palmbuchenbinden Weiden zur richtigen Zeit schneiden und lagern, Kostüme für szenische Führungen herstellen, waschen, reparieren“, erzählt Bäck aus dem Alltag der Vermittler.
Ins Museum mit Dementen
Relativ jung ist auch in der Vermittlung die Inklusion: Barrierefreie Ausstellungsräume für körperlich Beeinträchtigte sind üblich. „Für Blinde müssen wir viel Haptisches bieten, viele Requisiten zum Angreifen bereithalten. Für Gehörlose braucht es meist einen Dolmetsch. Vermehrt führen wir Demente. Da geht es vorrangig darum, ein Erlebnis zu vermitteln, bildhaft zu arbeiten und flexibel zu sein. Der Museumsbund unterstützt dabei, damit sich die Museen allen Gruppen öffnen.“
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