Bundesheer-Experte:
„Der Gazastreifen ist ein Druckkochtopf“
Die palästinensische Terrororganisation Hamas habe mit ihrem Schlag gegen Israel mehr erreicht als sie eigentlich geplant hatte. Die Bevölkerung des von Palästinensern bewohnten Gazastreifens werde dafür einen hohen Blutzoll zahlen. Die „Krone“ hat mit Oberst Berthold Sandtner, Forscher am Institut für Höhere Militärische Führung an der Landesverteidigungsakademie in Wien, die Lage analysiert.
„Der Gazastreifen, der zwischen dem Mittelmeer, Israel und Ägypten liegt, ist ein Druckkochtopf. Die über zwei Millionen Bewohner sind eingeschlossen, sie sind abhängig von Israel, etwa bei der Wasser-, Nahrungsmittel- und Energieversorgung. Es gibt dort keine Zukunftschancen, das ist der Nährboden für Extremismus und Terrorismus“, so Sandtner.
Seit 2007 regiert die Hamas
Der Gazastreifen ist mit 365 Quadratkilometern kleiner als Wien (414 Quadratkilometer). 2005 hat sich die israelische Armee zurückgezogen und seit 2007 regiert dort die Hamas. Sie hat das Gebiet militärisch ausgebaut, beispielsweise mit Bunkern und Tunneln sowie tausende Kämpfer ausgebildet.
Welche Ziele die Hamas mit dem jüngsten Angriff verfolgt, erklärt Sandtner so: „Es ist schwierig einer Organisation wie der Hamas operative Zielsetzungen zuzuordnen. Das strategische Ziel der Hamas ist wohl die Auslöschung Israels. Im Zuge der Terrorangriffe der letzten Tage wollte sie Angst und Schrecken verbreiten und sicherlich möglichst viele Menschen töten. Es war auch ein klares Zeichen an jene (arabischen) Staaten, die in letzter Zeit eine Annäherungspolitik mit Israel betrieben haben.“
„Hamas hat selbst nicht mit diesem ,Erfolg‘ gerechnet“
Warum der israelische Geheimdienst, der als einer der besten der Welt gilt, den Anschlag nicht verhindert hat, begründet Sandtner damit, dass er sich in letzter Zeit offensichtlich mehr auf das Westjordanland konzentriert hat. „Und ich denke, dass die Hamas selbst mit ihren ‚Erfolg‘ nicht gerechnet hat. Das zeigt sich daran, dass die Terroristen sogar Kasernen eingenommen haben, aber die Panzer dort stehen gelassen haben. Die Hamas hat mehr erreicht als sie erwartet hat.“
In Israel gab es seit dem jüdischen Neujahrsfest am 15. September eine Serie von Feiertagen, die mit dem Laubhüttenfest ihren Höhepunkt fand. Viele Israelis waren zum Zeitpunkt des Angriffs auf Urlaub. Die Alarmbereitschaft der Einsatzorganisationen, auch des Militärs war deutlich reduziert. „Zusammenfassend muss man aber feststellen, dass es sich um ein multiples Organversagen innerhalb der gesamten israelischen Sicherheitsarchitektur gehandelt hat.“
Innere Krisen machten Israel verwundbar
„Hinzukommt, dass der Staat Israel seit Längerem ständig mit sich selbst beschäftig ist. Regierungskrisen und der geplante Justizumbau haben zu massiven Protesten in der Bevölkerung geführt. Israel sei außerdem nicht unbedingt von Freunden umgeben, es fehlt die strategische Tiefe, ähnlich wie bei den Staaten im Baltikum. “Israel ist zwischen vier arabischen Staaten und dem Mittelmeer eingeschlossen und das erklärt auch den wehrhaften Charakter des Landes", so Sandtner.
Die Gefahr eines Krieges auf mehreren Fronten sieht Sandtner als gegeben an. „Das kann durch die Hisbollah aus dem Süden des Libanons und Schläge von den Palästinensern im Westjordanland zusätzlich zu den Anschlägen aus Gaza passieren. Noch ist es sowohl an der Grenze zum Libanon als auch im Westjordanland relativ ruhig. Die schiitische Terrormiliz Hisbollah hat vorerst nur wenige Raketen auf Israel gefeuert.“
Zivilbevölkerung ist eingeschlossen
Israel hat angekündigt die Hamas im Gazastreifen „auszurotten“. „Das wird ein massives militärisches Einschreiten dort bedeuten, mit sehr vielen Opfern. Die Frage ist, wie lange die arabischen Staaten akzeptieren, dass die Israelis mit aller Härte offensiv vorgehen. Derzeit gibt es aber noch keinen Indikator für einen unmittelbaren Flächenbrand.“ Die Zivilbevölkerung ist praktisch eingeschlossen. Israel hat eine völlige Blockade des Gazastreifens angekündigt.
Konflikt könnte auch Ukraine schwächen
Was bedeutet dieser neu entflammte Konflikt für die Ukraine? „Für die Ukraine bedeutet er, dass Waffen und Munition möglicherweise nicht in der Ukraine, sondern bei den Israelis landen. Und er bedeutet, dass die Ukraine derzeit aus dem Fokus der Öffentlichkeit fast gänzlich verschwunden ist, unter anderem auch deshalb weil viele der durch die Hamas entführten oder getöteten Israelis Doppelstaatsbürger sind.“
Bundesheer beobachtet die Lage
Das Heeresnachrichtenamt des Bundesheeres beobachtet „wie schon bei der treffsicheren militärstrategischen Beurteilung im Rahmen des Ukrainekrieges auch die Entwicklungen in Israel genau, um Entscheidungsträgern in Österreich rechtzeitig entsprechende Informationen zur Verfügung stellen zu können“.
„Im Hinblick auf die Bundesheerentwicklung ist zu sagen, dass der eigenschlagene Weg der Mission Vorwärts und des Aufbauplanes ÖBH 2032 wohl genau die richtige Richtungsentscheidung war. Nehmen sie beispielsweise das Projekt Sky Shield: Die Schläge auf die kritische Infrastruktur der Ukraine während des letzten Winters haben gezeigt wir verletzlich moderne Gesellschaften gegenüber Bedrohungen aus der Luft sind, und auch jetzt in Israel waren es wieder Tausende Raketen der Hamas die viele Opfer in Israel gefordert haben“, so Sandtner.
Kommentare
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.