Das europäische Gewissen der Türkisen bricht mit seiner Partei. Othmar Karas tritt nicht mit einer eigenen Liste bei der EU-Wahl an. „Alles Weitere wird man sehen.“
Tag der Abrechnung. Im 15. Stock eines Mediatowers im 2. Bezirk. Im „Juwel“, Ort für Events. Gastgeber Othmar Karas gestaltete die Veranstaltung kompromisslos. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine solche Rede halten müsste.“ Eine Beziehung ist zerbrochen. Jene des Europapolitikers Othmar Karas zu seiner ÖVP.
„Nach 25 Jahren im EU-Parlament werde ich nicht mehr bei den Wahlen kandidieren. Es tut weh. Aber den Weg, den meine Partei geht, kann ich nicht mehr mitgehen“, sprach der 65-jährige Erste Vizepräsident des EU-Parlaments vor Dutzenden Reportern und TV-Teams.
Persönliche Enttäuschung eines „Saboteurs“
Die Entfremdung von Türkis habe schleichend stattgefunden. Die ÖVP sei nicht mehr die Kraft der Mitte, die sie sein sollte. Das Verhältnis zur FPÖ und das Anbiedern an Ränder schade immens. „Dennoch haben manche nicht verstanden, welchen Schaden sie damit anrichten.“ Auch persönlich zeigt sich Karas enttäuscht. Keine Gesprächsbasis mit Parteigranden. Schlechter Stil. „Wenn mir Generalsekretär Stocker ausrichtet, ich sei ein Saboteur, oder ich als Linker tituliert werde, weil ich gegen das Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer eintrete, dann schmerzt das sehr.“
Das gelte auch für Österreichs Rolle in Europa: „Wir sind zu Bremsern verkommen.“
ÖVP bleibt gelassen: Ein interner Kritiker ist weg
Die ÖVP nahm die Entscheidung des Abtrünnigen gelassen „zur Kenntnis.“ Karas habe viele Jahre die Politik in der EU mitgestaltet, ließ General Stocker aussenden. Es sei nichts Neues, dass sich die Positionen der Partei und jene von Karas immer weiter voneinander entfernten. Was heißt das offenbar unausweichliche Ende einer Beziehung für die ÖVP?
„Positiv für die Partei: Sie hat einen unangenehmen internen Kritiker weg“, sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. Generell sei die EU-Politik zweitrangig – als Ersatzkandidatin wird Europaministerin Karoline Edtstadler favorisiert. Doch Karas liebäugelt mit einer eigenen Liste – bei der Nationalratswahl 2024: „Ich habe jetzt einmal einen Schritt gesetzt. Alles Weitere wird man sehen.“
Im Hintergrund wird seit Monaten abgewogen. Sollte tatsächlich eine Art Bewegung der Mitte kandidieren, „dann würde das der ÖVP wehtun“, sagt Stainer-Hämmerle. Karas könnte sich als christlich-sozialer Kandidat der Mitte präsentieren.
Eine Gefahr für alle Parteien
Eine Bürgerbewegung hätte generell gute Chancen. „Die Politikerverdrossenheit ist groß wie nie.“ Eine Gefahr für alle Parteien. SPÖ-Kandidat Andreas Babler ist nicht wenigen zu links, die FPÖ stürmt rechts außen und sammelt Proteststimmen ein. Dies könnte eine gemäßigte Liste ebenso. Es soll auch frustrierte Grüne geben.
Und die NEOS? Die hätten ihn am liebsten selbst an Bord. „Leider ist er bei der ÖVP“, sagte Chefin Beate Meinl-Reisinger neulich. Am Donnerstag zollte sie Karas „Respekt“ für seine Entscheidung. Sollte eine neue Bewegung folgen, könnte aus Respekt Unbehagen werden.
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