Italiens Fußball zittert vor einem neuen „Tsunami“. Doch dieses vom „Corriere della Sera“ heraufbeschworene Schreckensszenario hat ausnahmsweise nichts mit dem nationalen Trauma zweier verpasster WM-Turniere zu tun.
Denn obwohl die „Squadra Azzurra“ vor dem Klassiker gegen England in der Quali noch um das Ticket für die EM 2024 bangen muss, beschäftigen die Nation ganz andere Dinge. Ein Wettskandal erschüttert auch die Nationalmannschaft - und könnte sich noch ausweiten.
Nicht weniger als drei Jungstars der Azzurri stehen unter Verdacht, an illegalen Online-Sportwetten beteiligt gewesen zu sein. Am Dienstagabend kurz nach der Neuauflage des EM-Finales zwischen England und Italien im Wembley Stadium sollen die Namen weiterer Fußballer genannt werden, die in den Skandal verwickelt sind. Das kündigte der ehemalige Promi-Fotograf Fabrizio Corona an, der den Skandal ans Licht gebracht hatte. Der 49-Jährige wurde gerade erst aus sieben Jahren Haft entlassen, unter anderem wegen Erpressung. Mittlerweile betreibt er im Internet ein Portal namens Dillinger.
Nach Coronas jüngster Ankündigung ist nicht nur die Unruhe groß, die Erwartungen sind es auch. Denn die Angelegenheit erfüllt schon heute alle Bedingungen, um Italiens affärengeplagten Fußball nachhaltig zu erschüttern. Zentrale Figur des Wettskandals ist bisher Nicolo Fagioli, Mittelfeldspieler von Juventus Turin. Der 22-Jährige gilt als großes Talent, spielte auch schon einmal für die Nationalelf. Fagioli soll bei Sportwetten im Internet mehr als eine Million Euro verzockt haben. Angeblich wussten bei Juve mehrere Mitspieler über seine Probleme Bescheid.
Fagioli geständig
Italienischen Medienberichten zufolge ist Fagioli inzwischen geständig und kooperiert mit der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Turin, um für sich eine geringere Strafe zu erreichen. Er bestreitet aber, auf Spiele der eigenen Mannschaft gewettet zu haben. Glücksspiel ist in Italien grundsätzlich erlaubt, auf illegalen Online-Plattformen aber nicht. Spieler dürfen auch nicht in Sportarten wetten, in denen sie selbst aktiv sind. Werden sie erwischt, drohen neben Geldstrafen mindestens drei Jahre Sperre, international gültig.
Inzwischen hat die Affäre aber noch zwei andere Jungstars der Nationalmannschaft erfasst: Sandro Tonali (23) und Nicolo Zaniolo (24), beide in der englischen Premier League unter Vertrag. Tonali wechselte erst im Sommer von Milan für geschätzte 80 Millionen Euro zu Newcastle United, Zaniolo spielt bei Aston Villa.
Nachdem Corona ihre Namen vergangene Woche publik gemacht hatte, schickte der Verband sie aus dem Trainingslager für die EM-Qualifikation sofort nach Hause. Ermittler beschlagnahmten Handys und Tablets. Den 4:0-Sieg der Kollegen über Malta konnten sie sich dann aus der englischen Wahlheimat ansehen.
Tonali „am Boden zerstört“
Insbesondere der Fall Tonali wird nun intensiv verfolgt. Er galt für viele in Italien als möglicher Nachfolger des legendären Strategen Andrea Pirlo. Einem Bericht der Zeitung „La Repubblica“ zufolge ist Tonali nun ebenfalls geständig und bereit, mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten. Er sei „am Boden zerstört“, hieß es von seinen Anwälten. Auch für ihn geht es um die Dauer einer möglichen Sperre.
Sportlich kann Italien mit einem Erfolg gegen England nach der 1:2-Heimniederlage im März einen großen Schritt Richtung EM in Deutschland machen. Die Azzurri sind vor der punktgleichen Ukraine Tabellenzweiter, haben aber eine Partie weniger absolviert. Die ersten beiden Teams lösen das Ticket direkt, den mühsamen Umweg über die Play-offs wollen Neu-Nationalcoach Luciano Spalletti und sein Team unter allen Umständen vermeiden.
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