Das Wasser geht aus
Israels Gaza-Blockade: Wenn jeder Tropfen zählt
Der Süden des Gazastreifens wird von Stunde zu Stunde voller - und lebensfeindlicher. Hunderttausende Menschen flüchteten in den vergangenen Tagen aus dem Norden. Betroffene und Hilfsorganisationen berichten von einer lebensbedrohlichen Notlage vor Ort.
Abu Ahmed ist mit seiner Familie vor drei Tagen im Rafah-Flüchtlingslager im Süden des Gazastreifens angekommen. „Die Situation ist schlecht und verschlimmert sich noch. Zwei Leute teilen sich ein Bett, und es gibt nur wenige Decken“, sagte der 60-Jährige am Montag, der sonst in der Nähe von Beit Lahia im nördlichen Teil des Küstengebietes lebt.
Ein Laib Brot - für jeden
Am Tag ihrer Ankunft habe das Palästinenserhilfswerk UNRWA der Vereinten Nationen jedem einen Laib Brot gegeben, eine Box mit Fleisch für zwei Personen und ein Kilo Datteln für zehn Personen. Jetzt sei er auf der Suche nach Brot. Ahmed ist mit fünf seiner Kinder, deren Frauen und 17 seiner Enkel geflohen.
Der Palästinenser ist einer von rund einer Million Menschen, die laut den Vereinten Nationen dem Aufruf Israels zur Evakuierung des nördlichen Gazastreifens gefolgt sind. Für viele war es eine gefährliche Flucht in die Obdachlosigkeit.
Der Klang des Krieges
Imad Saidam und seine Familie schlafen derzeit auf dem Boden vor einer überfüllten Schule der UNRWA. Immer wieder wandern die Blicke der Menschen nach oben. Denn die Gefahr kommt in diesen Tagen aus dem Himmel. Israel bombardiert den gesamten Gazastreifen seit der Hamas-Attacke am 7. Oktober - und zwar durchgehend. Einstürzende Gebäude, explodierende Bomben, panische Schreie. Für die Menschen vor Ort sind es mittlerweile alltägliche Geräusche.
Die Fotografin Samar Abu Elouf berichtet aus dem Gazastreifen für die „New York Times“. Sie erzählt: Viele Kinder könnten sagen, was für ein Flugzeug über ihnen fliegt oder welche Bombe gerade explodiert ist. Es seien „allzu vertraute Kriegsgeräusche“. Und die Situation werde immer unerträglicher. Die UN teilten mit, dass vor Ort die Leichensäcke knapp werden.
Wir sind dem Tod entkommen, aber wo wir jetzt sind, gibt es auch kein Leben.
Imad Saidam
Die hygienischen Bedingungen seien ebenfalls schlecht, berichtet Saidam. Es gebe etwa kein Wasser, um nach dem Gang zur Toilette zu spülen. „Wir haben alles zurückgelassen, das Haus und die Erinnerungen“, sagt der Palästinenser. „Wir sind dem Tod entkommen, aber wo wir jetzt sind, gibt es auch kein Leben.“ Die Menschen trinken Brackwasser aus landwirtschaftlichen Brunnen, was Anlass zur Sorge über die Verbreitung von Krankheiten gibt.
Kein Wasser, kein Strom, kein Überleben
Nach dem Hamas-Massaker an israelischen Zivilisten hat Israel den gesamten Gazastreifen vom Rest der Welt abgeschnitten. Aus den Leitungen kommt kein Wasser mehr und aus den Steckdosen kein Strom. Auf der ägyptischen Seite des Grenzüberganges Rafah stehen Trucks voller Hilfsgüter bereit, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Doch die Tore blieben bisher geschlossen.
Der Grenzübergang Rafah ist der einzige, der nicht von Israel kontrolliert wird. Inhaber ausländischer Pässe warteten am Montag den dritten Tag in Folge vergeblich auf Durchlass.
Der Nahe Osten stehe „am Rande des Abgrunds“, warnte UN-Generalsekretär António Guterres am Sonntag. Frankreich und Ägypten forderten indes die Öffnung des Grenzübergangs, um Hilfslieferungen in den Gazastreifen und die Ausreise von Ausländern aus dem Palästinensergebiet zu ermöglichen. „Diejenigen, die Gaza verlassen wollen, müssen dies tun können“, sagte die französische Außenministerin Catherine Colonna am Montag bei einem Besuch in Kairo.
Michael Capponi, der Leiter der Hilfsorganisation Global Empowerment Mission, die auf der ägyptischen Seite der Grenze Hilfsgüter gelagert hat, sagte am Montagmorgen, der Grenzübergang werde „höchstwahrscheinlich in den nächsten Tagen“ geöffnet werden. Das hätten ihm die Behörden versichert. Erst solle sichergestellt werden, dass die Lastwagen ordnungsgemäß kontrolliert werden, damit keine Waffen an die Hamas gelangen. „Ich denke, das ist das Hauptproblem.“
Krankenhäusern geht Treibstoff aus
Doch die Zeit läuft. Vor allem die Situation in den Krankenhäusern scheint aussichtslos. Die Treibstoffreserven aller Krankenhäuser im Gazastreifen werden voraussichtlich nur noch etwa 24 Stunden reichen, teilte das Amt für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen (OCHA) am Montag mit. Die Angaben lassen sich jedoch nicht überprüfen.
Das einzige Kraftwerk im Gazastreifen wurde wegen Treibstoffmangels abgeschaltet. CNN berichtet, dass aus Israel kommend fünf Treibstoff-Trucks in den Süden des Gazastreifens gefahren seien. Bestätigt ist das aber nicht.
Feststeht: Das Leben Tausender Patienten steht auf dem Spiel. Hussam Abu Safiya, Leiter einer Kinderklinik im Norden des Gazastreifens, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, dass es unmöglich wäre, nach Süden zu ziehen. Auf der Intensivstation befänden sich sieben Neugeborene, die an Beatmungsgeräte angeschlossen seien. Eine Evakuierung würde „für sie und andere Patienten unter unserer Obhut den Tod bedeuten“.
Währenddessen kratzen die Menschen im Süden des Gazastreifens alles zusammen, was sie finden können, um zu überleben. In Rafah formen sich langen Schlangen vor den Bäckereien und vor den Toiletten der Hilfszentren der Vereinten Nationen sowie der Moscheen. Hunderte sitzen auf den Gehwegen der Hauptstraßen und starren auf ihre Telefone, auf der Suche nach Informationen über ihre Familien und ihre Häuser, die sie verlassen haben.
Israels Energieminister Israel Katz kündigte am Sonntag zwar an, Israel werde die Wasserversorgung im Süden des Gazastreifens wiederherstellen. Bis Montagnachmittag kam nach Angaben des Innenministeriums in Gaza allerdings kein Wasser aus den Leitungen.
Der Preis für eine Flasche Wasser hat sich Anrainern zufolge aufgrund der Knappheit bereits verdoppelt. Mittlerweile zählt jeder Tropfen.
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