Albertina Wien

Gottfried Helnwein: Böse Mäuse, feurige Mangas

Kultur
24.10.2023 16:54

Die Albertina in Wien gratuliert Gottfried Helnwein zum 75. Geburtstag: in der großen, beeindruckenden Ausstellung „Realität und Fiktion“ versammelt sie Werke aus den letzten drei Jahrzehnten

Grinsen war selten so unheimlich. Wenn man in die Tiefen der Albertina per Rolltreppe hinab schwebt, kommt einem die böseste Micky Maus der Welt bedrohlich näher. Gemalt hat sie Gottfried Helnwein, dem zum 75er mit einer Ausstellung gratuliert wird. Galt ihm 2013 eine Retrospektive, liegt der beeindruckende Fokus jetzt auf dem Schaffen der letzten drei Dekaden.

Gottfried Helnwein, The Disasters of War 49, 2016 Öl und Acryl auf Leinwand (Bild: ALBERTINA, Wien © Dauerleihgabe von Gottfried und Renate Helnwein)
Gottfried Helnwein, The Disasters of War 49, 2016 Öl und Acryl auf Leinwand

„Ich will Dinge sichtbar machen, die die Menschen lieber verdrängen und unsichtbar lassen würden. Ich will sie dazu verführen, diese Dinge anzusehen“, lautet die ungemütliche Einladung Helnweins. Des Hyperrealisten, der die Realität überhöht, einen Dreh realer macht - und zugleich künstlerisch abfedert, dass sie konsumierbar bleibt, um uns unsere Ängste herauszukitzeln und an Tabuthemen lustvoll zu kratzen.

Gottfried Helnwein, The Disasters of War 76, 2020 Öl und Acryl auf Leinwand (Bild: Privatsammlung © Gottfried Helnwein | Bildrecht Wien, 2023)
Gottfried Helnwein, The Disasters of War 76, 2020 Öl und Acryl auf Leinwand

Etwa wenn Hitler, ganz gütiger Onkel, auf Micky herabschaut. Oder ein Donald Duck mit grotesk verlängertem Schnabel wie ein Alb ein schlafendes Mädchen bedrängt, dann verschränkt Helnwein die Comics-Welt mit der grausigsten Realität und konterkariert sie zugleich. In jüngeren Arbeiten setzt er sexy-süße Mangas in explodierende Kriegskulissen. In „Angel Sleeping“ berühren Präparate missgebildeter Kinderköpfe, während seine „Disasters of War“, in denen er Gewalt an Kindern, Kindersoldaten und von Kindern verursachte Schulmassaker thematisiert, beklemmend aktuell bleiben.

Gottfried Helnwein, The Visit 4, 2021-2023 Öl und Acryl auf Leinwand Privatsammlung (Bild: © Gottfried Helnwein / Bildrecht, Wien 2023)
Gottfried Helnwein, The Visit 4, 2021-2023 Öl und Acryl auf Leinwand Privatsammlung

Der Kunstschocker Gottfried Helnwein

  • Gottfried Helnwein wird am 8. Oktober 1948 in Wien geboren, er erreicht weltweit Bekanntheit durch seine hyperrealistischen Bilder von verwundeten und bandagierten Kindern.
  • In seinem gesamten Schaffen setzt er sich mit den Themen Schmerz, Verletzung und Gewalt auseinander, auch das Thema Nationalsozialismus wird in seinen Werken verarbeitet. Als zentrales Motiv dient ihm die Figur des verletzbaren und wehrlosen Kindes, das stellvertretend alle psychologischen und gesellschaftlichen Ängste verkörpert. Es gehört zu Helnweins künstlerischer Strategie, es dem Betrachter nicht zu ermöglichen, sich seinen Werken gegenüber neutral zu verhalten.
  • 1965 bis 1969: Helnwein verlässt die Schule und besucht die Höhere Graphische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt in Wien und studiert bis 1973 Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien in der Meisterklasse von Professor Rudolf Hausner
  • Ab 1970: Erste Ausstellungen in Wien lösen immer wieder heftige Proteste aus, Ausstellungen werden geschlossen und Arbeiten durch die Polizei beschlagnahmt. 1985: Die Mehrheit der Professorenschaft lehnt ihn als Nachfolger für die Leitung der Meisterklasse für Malerei ab - trotz Vorschlags durch Professor Rudolf Hausner; Helnwein übersiedelt mit seiner Familie nach Deutschland, wo er bis 1997 im Schloss Burgbrohl in der Eifel lebt und arbeitet. Er beginnt, Installationen im öffentlichen Raum in seine Arbeit miteinzubeziehen.
  • 1988: Zur Erinnerung an die Novemberpogrome in der Nacht des 9. November 1938 errichtet Helnwein in Köln die 4 Meter hohe und 100 Meter lange Installation Neunter November Nacht zwischen Museum Ludwig und dem Kölner Dom. Tausende Passanten waren gezwungen, täglich an der langen Reihe überlebensgroßer Kinderfotos vorbeizugehen, die wie bei einer Selektion nebeneinander aufgereiht waren. Die Reaktionen reichen von Betroffenheit bis hin zu Empörung. Eines Nachts werden die Bilder von Unbekannten mit Messern zerschnitten.
  • 1997: Umzug nach Irland in das Landhaus Castle Gurteen de la Poer, in der Grafschaft Waterford.
  • 2000 zeigt das San Francisco Museum of Modern Art das Helnwein-Gemälde einer monströsen, grinsenden Micky Maus (Mouse I) in der Ausstellung The Darker Side of Playland - Childhood Imagery from the Logan Collection.
  • 2002: Helnwein bezieht ein Atelier in Los Angeles ein, er lebt und arbeitet seitdem abwechselnd in Irland und in Los Angeles.
  • 2004 erhält er die irische Staatsbürgerschaft.
  • In Wien ist zurzeit der Ringturm verhüllt mit dem Helnwein-Plakat „My Sister“, das ein blutverschmiertes Mädchengesicht zeigt und sich mit dem Thema Gewalt an Frauen auseinandersetzt.  

Meister der (Kunst)Mäuse

Wer kennt sie nicht? Micky Maus - aber im gruseligen Kunstgewand von Gottfried Helnwein. Blendend versteht es der Künstler, sich unters Volk zu bringen. Seine großformatigen Gemälde erzielen auf dem Kunstmarkt Höchstpreise und hängen in den großen Museen auf der ganzen Welt. Doch seine Sujets, allen voran die herrlich böse „Mouse“, sind als Drucke in limitierten Editionen, natürlich vom Künstler signiert und in verschiedenen Formaten erhältlich - und somit auch für Durchschnittsverdiener erschwinglich. Und für die ganz Sparsamen grinst seine Maus, in Pink, kostengünstig vom Albertina-Ausstellungsplakat. Jedem sein Helnwein!

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