Fast eine Dekade ließen New Jersey Ziehsöhne von Bruce Springsteen, The Gaslight Anthem, verstreichen, bis sie mit „History Books“ endlich ihr Comebackalbum in die Welt schießen. Der „Boss“ selbst war zu einem sehr hohen Grad mitverantwortlich dafür, dass man für den frischen Herbst nun endlich auch den passenden Soundtrack hat.
Langsam zieht der Herbst nun auch in unseren Breitengraden ein. Man kann sich endlich wieder in die Filzpantoffel stopfen, den besten Earl Grey zubereiten und ohne schlechtes Gewissen das ganze Wochenende auf der Couch vergammeln, um entweder zwei Stramingportalserien durchzubingen oder Platten zu hören, die einen auf eine emotionale Reise mitnehmen. Kaum eine Combo vermag es besser, das Gefühl von weitläufiger USA-Prärie-Nostalgie mit melancholischer Entrücktheit zu vermengen wie The Gaslight Anthem. Neun Jahre nach dem letzten Album, acht Jahre nach dem temporären Ende und eineinhalb Jahre der großspurig angekündigten Wiedervereinigung und ein paar ersten Tourneen ist jetzt endlich neue Musik im Umlauf - der letzte, aber nicht zuletzt wichtigste Mosaikstein, um die Geschichte der Wiederkehr endlich komplettieren zu können.
Nahe am „Boss“
The Gaslight Anthem waren vor etwas mehr als zehn Jahren genau zur Hochzeit der diesigen Flanellhemden-Bands hoch im Kurs. Irgendwo zwischen 2008 und 2013, als neben ihnen auch noch Mumford & Sons oder die Lumineers mit Waldschrat- und Wiesenliebe-Texten den Nerv einer von der rasanten Digitalisierung überrundeten Generation trafen und eine in sanfte Töne gegossene Echtheit in die Welt brachten. Brian Fallon und Co. kamen aber immer ein bisschen spannender und nachhaltiger um die Ecke. Das lang einerseits daran, dass das New-Jersey-Kollektiv im Gegensatz zum Mitbewerb mit Punk groß wurde, andererseits an der offen geneigten Liebe zum berühmtesten Sohn der Stadt, Bruce Springsteen. Je mehr Alben The Gaslight Anthem veröffentlichten, umso näher rückte man dem „Boss“ musikalisch dran - freilich ohne die überbordende Genialität des Idols zu erreichen.
Frontmann Fallon, zeit seiner Karriere mit Depressionen und wankelmütigem Verhalten gezeichnet, hatte irgendwann genug vom Rest der Sippe und dem kompromissbehafteten Alltag einer Band und verzog sich für eine knappe Dekade und drei Alben in eine durchaus erfolgreiche Solokarriere. Der Rest der Band grummelte sich so durch und war freilich nicht böse darüber, dass es zuerst 2018 eine Jubiläumstour zum zehnjährigen Geburtstag des unerreichten Kultalbums „The ’59 Sound“ und dann Anfang 2022 die offizielle Wiedervereinigung gab. Die geschah vor allem deshalb, weil „Mini-Bruce“ Fallon tief in sich ging, von der Einsamkeit der Pandemie überschwemmt wurde und 2021 bei einem Treffen mit Springsteen von diesem überredet wurde, doch einmal vier Songs für ein Bandalbum zu schreiben und gleich eines für ein Duett mit ihm zu verpacken.
Pathosgeschwängert
Wenn der Chef ruft, lehnt man natürlich nicht ab. Enthusiasmiert von dieser Möglichkeit machte sich Fallon an die Arbeit, zeigte den alten Kumpels zaghaft erste Skizzen und wurde von Wohlwollen überrollt. Trotz schwieriger Jahre hatte Fallon mit „Positive Charge“ einen bewusst optimistischen Song als allererstes geschrieben. Mitunter auch, um der drohenden Düsternis für den Songwritingprozess nicht zu viel Platz einzuräumen. „Der Song sollte die Nachricht der Freude übermitteln. Für uns und für unsere Fans“, erklärte er in einem Interview zum neuen Album, „es geht darum, die Erlebnisse und Vorkommnisse zu analysieren und zu reflektieren, um mit einem offenen und reinen Herzen der Zukunft entgegenzuschreiten. Die besten Jahre liegen nicht hinter uns und das Gute, das in uns allen steckt, hat definitiv einen Wert.“ Hinter all dem Pathos steckte nicht zuletzt die Erkenntnis, dass das Leben für Streit und Misstöne doch zu kurz sei. Diese Erkenntnis erwuchs dem Sänger nicht zuletzt in der Einsamkeit der Pandemietage und nach dem Tod von Foo Fighters-Drummer Taylor Hawkins.
Auch wenn Fallon neben den Allzeit-Heroen Springsteen und Bob Dylan dieses Mal besonders die Foo Fighters, Pearl Jam und Nirvana als Inspirationsquelle dienten, läuft die Band zu keiner Sekunde Gefahr, sich zu weit von der erfolgreichen Vergangenheit zu entfernen. Der von Paul Katis zusammengeschusterte Sound erinnert an Lavendelduft im sonnenlichtdurchfluteten Oktober-Wohnzimmer und schmiegt sich so kuschelig an die Seele wie der Lieblingspulli an den Leib. Gerade in den ruhigeren Momenten wie etwa in „Empires“ oder dem passend betitelten „Autumn“ zeigen The Gaslight Anthem eindrucksvoll, dass sie immer noch am stärksten sind, wenn sie ihre losen Punk-Wurzeln möglichst ganz ad acta legen und sich im bewusst austrabenden Kleister ergießen. Die Hauptmessage des Werkes sei Empathie, wie Fallon betonte. „Wir alle stecken in dieser Welt zusammen mit drin. Es ist okay, auch wenn es nicht immer leicht ist.“
Ehrlich und behaglich
Den Lebensratgeber mimen The Gaslight Anthem auch im zweiten Karrierefrühling noch sehr gut, doch ein bisschen mehr Ecken und Kanten hätte „History Books“ am Ende doch vertragen. Springsteens Auftritt findet übrigens am Titeltrack statt, der - überraschend - einer der durchschnittlichsten und beliebigsten Songs auf einem ansonsten gutklassigen Album ist. The Gaslight Anthem erschaffen nicht mehr die zwingende Dringlichkeit, die sich auf den ersten Alben manifestierte, haben sich für ihre Wiederkehr aber auch ausreichend Mühe gegeben, um nicht als eine sanft belächelte „War einmal“-Band belächelt zu werden. Fallon und seine Kollegen hätten gerne einen positiven Einfluss auf die Menschen. Das gelingt durch die Ehrlichkeit und Behaglichkeit der einzelnen Songs. Action gibt es rundum eh schon genug.
Live in Wien
Am 2. Juli kommen The Gaslight Anthem für eine exklusive Österreich-Show aufs Open-Air-Gelände der Wiener Arena. Unter www.oeticket.com gibt es ab Freitag, 3. November, Karten und auch alle weiteren Infos für das Sommerhighlight!
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