Live im Konzerthaus

Helge Schneider: Der König des obskuren Humors

Wien
25.10.2023 00:31

Dieser Tage ist „die singende Herrentorte“, Helge Schneider, zweimal im ausverkauften Wiener Konzerthaus zu Gast. In seiner „Der letzte Torero“-Tour verpackt er dadaistischen Anarcho-Humor mit seiner Liebe zu Jazz und entspannten Lounge-Klängen. Ein Festschmaus für jene, deren Humorverständnis spitz und verwinkelt ist.

Ich will diesen Text mit einer persönlichen Erinnerung beginnen. Irgendwann, tief in den 90er-Jahren, brachte in der Hauptschule ein Höherklassiger Helge Schneider aufs Tablett. Mit meinen 13 Jahren war ich nicht nur offen für Neues, sondern biederte mich gerne an Ältere an und wollte auf jeden Fall mitreden können. Auf VHS-Kassette (!) kursierte damals sein Spielfilm „Praxis Dr. Hasenbein“, der bei uns für ein paar Tage alle zum Lachen brachte. Eben so lange, bis der nächste heiße Scheiß um die Ecke kam. Ich lachte mit. Auch bei den Vorgängerfilmen „00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter“ und „Texas - Doc Snyder hält die Welt in Atem“. Ich lachte mit, weil ich nicht als dumm entlarvt werden wollte, denn verstanden habe ich relativ wenig. Ein kruder Typ in seltsamen Verkleidungen verstellt seine Ruhrpott-Stimme und agiert reichlich obskur. Erst Jahre später verstand ich, dass damals auch sonst niemand viel verstand und alle lachten, weil eben alle lachten.

Humorist aus Leidenschaft
Doch Helge Schneider ist bei weitem kein witzloses Phänomen. Sein Humor mäandert zwischen Dadaismus und Anarchie, zwischen Brechstange und philosophischer Meta-Ebene. Was für Erwachsene schon nicht immer so leicht zu erfassen ist, funktioniert bei 13-Jährigen mit Lemmingsverhalten erst recht nicht. Hinter dem vordergründigen Nonsens seiner kabarettistischen Konzertaufführungen stecken nicht immer, aber oft tiefgründigere Botschaften, die sich durchaus mit aktuellen Umtrieben der Gesellschaft befassen. Helge Schneider ist ein Humorist aus Leidenschaft, kann diese Rolle aber auch sehr schnell ablegen. Etwa in den vielen Interviews, in denen er auch nicht davor zurückschreckt, anzuecken (wie unlängst zum Thema „kulturelle Aneignung“) oder wenn er sich tief in seine große Liebe Jazz vergräbt, wo der am Piano gerne Stunden das Songbuch der großen Idole rezitiert oder eigene Songs schreibt.

(Bild: Wiener Konzerthaus / Carlos Suarez)

Auf seiner losen „Der letzte Torero - The Big L.A. Show“-Tour ist Schneider auch wieder in Wien zu Gast. Dass dem nihilistisch veranlagten Komiker die ehrwürdigen Hallen des Wiener Konzerthauses nicht heilig sind, beweist er mit gekonnt gesetzten Spitzen. Die opulenten Kronleuchter habe man nur für seine beiden Konzertabende aufgehängt, wenn „Vicky“ kommt (Vicky Leandros am 26. Oktober - Anm.), dann müssen sie natürlich runter. Fasziniert zeigt er sich auch vom völlig aus Holz bestehenden Bühnenboden. „Da haben die CellistInnen wieder Löcher reingehackt, während sie Haydn, Händel und auch Gretel spielten“. Das Publikum changiert zwischen Szenenapplaus und prustenden Lachanfällen. Wie jeder eigenständige Humor polarisiert auch jener Schneiders. Die einen finden seinen extravagant und gespielt debilen Zugang grenzgenial, andere drehen sich schon weg, wenn sie die Erwähnung seines bloßen Namens vernehmen.

Eine bunte Schar voller Exzentriker
Die Gemengelage aus Musik und Humor ist nicht vollständig ausgewogen. Seine über alle Zweifel erhabene Band kommt angesichts des Witz-Stakkatos viel zu selten richtig zum Zug. Der italienische Gitarrist Sandro Giampietro begeistert mit passgenauem Spiel und eindringlichen Soli, Schlagzeuger Willy Ketzer hält das Gebilde als Rhythmusfundament und Percussionist gut zusammen und der 78-jährige Kontrabass-Spieler Reinhard Glöder sorgt als langjähriger Wegbegleiter Schneiders für Zusatzhumor, wenn er die Position des „vertrottelten“ Bandmitglieds einnimmt oder die Melodika für Slapstick heranzieht. Der an den bärtigen Toto-Bassist Leland Sklar erinnernde Sergej Gleithmann darf auf dem Springpferd reiten und Judo-Rollen auf der Yoga-Matte ausführen. Diesen kruden Zirkus hält Schneider mit Gesang und Piano zusammen, Trompete, Saxofon und Ukulele gibt es auch zu bestaunen, die Panflöte wird nur für eine tiefe Zote zu Hildegard Knef herangezogen.

(Bild: Wiener Konzerthaus / Carlos Suarez)

Bei den wenigen Songs vermischt sich Neues mit Altem. Songs wie „L.O.T.C. (Love On The Couch)“, „Horses“ oder „American Bypass“ von seiner aktuellen „Torero“-Platte drehen sich vornehmlich um die Unterschiedlichkeiten missglückter Liebe, dazu garniert er sein Set mit Klassikern wie „Texas“, „Wurstfachverkäuferin“ oder „Telefonmann“. In den humoristischen Passagen setzt er auf Wiederholungen und nimmt zahlreiche Kollegen amüsant ins Kreuzfeuer. Sir Elton John attestiert er, seine Hallen leerzuspielen, Vicky Leandros und Vico Torriani kriegen ihr Fett für den zweideutigen Vornamen weg und Howard Carpendale persifliert er im Ganzen. Zu Schneiders besten Freunden würden Karel Gott, der Papst und Gott persönlich zählen, während eine imaginäre Berliner Begegnung des einst 17-jährigen mit Jazz-Heroe Duke Ellington richtungsweisend für seine Laufbahn gewesen wäre. Dazwischen immer wieder Sätze für die Ewigkeit. „Man kann auch als erwachsener Mann noch im hohen Alter Spaß haben - am Steckenpferd“. „Überall war ich gewesen, mit dem Fernseher. Selber reisen? Unbequem“. Oder zum anstehenden Leandros-Auftritt: „Wer das gerne sieht, der soll dann da sein“.

Heute geht es weiter
Schneider ist nicht nur ein Meister der Improvisation, sondern auch des Moments. So verschenkt er zu Konzertbeginn alte Batterien im Publikum, lässt dieses mit viel Augenzwinkern wissen, welch Glück es heute mit ihm und seiner Band hätte und dilettiert auf sympathische Art und Weise auf seinen diversen Instrumenten. Am Ende des Tages ist die - netto - zweistündige Vorstellung eine kurzweilige Revue des Unbequemen. Der Hauptprotagonist schreckt nicht davor zurück, sich über das hohe Lastenradaufkommen der Stadtbobos zu beschweren oder dem Auditorium ein galantes „für mich ist der schönste Tag im Leben von euch“ entgegenzuwerfen. Der Mülheimer ist ein Genie der Mehrdeutigkeit und sticht mit seinem nur vermeintlichen Nonsens gerne in die Wunden der Gesellschaft. Heute Abend übrigens noch einmal im Wiener Konzerthaus - die Show ist leider schon restlos ausverkauft.

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