Ein Mann muss einmal im Leben einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut und ein Kind gezeugt haben, heißt es in Anlehnung an Reformator Martin Luther. Im Fall von Benzingeschwistern kommt noch etwas dazu: einmal durch die Grüne Hölle rauschen. Um dort, auf der Nordschleife des Nürburgrings, nicht direkt ins Fegefeuer abzufliegen, braucht es aber mehr als einen starken Glauben.
Wehrseifen, Hatzenbach, Kesselchen, Döttinger Höhe, Bergwerk - all das sind sozusagen Kathedralen im gelobten Land der Autoenthusiasten. Hierher pilgern sie aus aller Herren Länder, um ihr Glaubensbekenntnis in den Asphalt zu brennen. Und das Paradies zu erleben.
Klar, jeder kann im Rahmen der sogenannten Touristenfahrten um 30 Euro ein Ticket ziehen. Aber Achtung: Der liebe Herrgott verzeiht viel, die Nordschleife nichts. Ein Fehler wird oft schneller bestraft, als man „heilige Sch...“ ausrufen kann. Allerdings nicht per Verweis aus dem Garten Eden, sondern zumindest mit Blech- oder gar Totalschaden. Nachzusehen in unzähligen Crash Compilations auf YouTube. Besser man gönnt sich die Gnade eines Instruktors, etwa im Rahmen des Sportauto-Perfektionstrainings oder bei einer anderen Fahrveranstaltung - das kostet zwar, zahlt sich aber in Sachen Spaß aus und ist allemal billiger, als sich in der Werkstatt die Leviten lesen zu lassen. Und es tut nicht weh.
Ein Perfektionstraining ist vor allem eines: perfekt
Vor mir fährt Timo Kluck, er in einem Porsche 911 GT3, ich in einem Porsche 718 Cayman GT4 RS, mit dem fast identischen Motor (hier geht’s zum Fahrbericht!). Timo ist nicht nur Entwicklungsfahrer bei Porsche und ein erfahrener Instruktor, sondern tatsächlich am Nürburgring zu Hause, in einem Nachbarort ganz in der Nähe. Manchmal glaube ich, die Leitplanken funkeln ihm zum Gruß zu. Auf den ersten Runden sagt er mir über Funk nicht nur Gasgeben, Bremsen und Einlenken an, sondern auch die Namen der Streckenabschnitte, die wir durchfahren. Flugplatz, Schwedenkreuz, Fuchsröhre usw. Zwar verstehe ich nur die Hälfte, weil der Vierliter-Boxer hinter mir und die Airbox direkt neben meinen Ohren brüllen wie ein Orkan beim Jüngsten Gericht, aber wenigstens bekomme ich rechtzeitig mit, ob es nach der nächsten Kuppe links oder rechts weiter geht.
Gott sei Dank muss ich mich nicht um irgendwelche Sperenzchen des Autos kümmern - der Porsche macht genau das, was man ihm sagt und gibt mir über die Lenkung das Gefühl, jederzeit genau zu wissen, was in der Kommunikation zwischen Auto und Fahrbahn gerade vor sich geht. So traue ich mich schon bald, die Strecke voll auszunutzen. Zum Beispiel auch am Metzgesfeld, wo Timo ausdrücklich davor warnt, beim Anbremsen rechts auf das feuchte Gras zu kommen - ein böser Abflug könnte die Folge sein. Aber der Cayman zahlt das in ihn gesetzte Vertrauen immer und immer wieder zurück.
Die Regeln des Erfolges
Zuerst muss man aber sich selbst vertrauen können, im Sinne von: Nicht übermütig werden! „Man darf nie den Respekt verlieren und muss jederzeit konzentriert bleiben“, mahnt Timo Kluck. Der „Rennpfarrer“ hat zwar nicht zehn Gebote aufgestellt, aber doch ein paar, die man verinnerlichen sollte. Dazu gehört auch, verhalten zu beginnen und das Tempo langsam zu steigern. Also erst die richtige Linie lernen, dann schneller werden. „Wer es umgekehrt versucht, der schwingt schnell den Hammer. Aber nicht, weil er so gut ist, sondern weil er das Blech ausbeulen muss.“
Noch etwas gibt er in einer Pause zu bedenken: „Die Leute werden mit der Zahl der Runden besser, aber Bremsen und Reifen lassen nach, dann fängt man oft an, das Auto zu überfahren. Da muss man sich zurücknehmen.“ Irgendwann überfährt man dann sein Auto und überfordert das Material.
Im Fall des Porsche Cayman GT4 RS ist da bei unserem Tempo zwar noch keine Gefahr, aber ich zwinge mich zu einer Extraportion Geduld, auch wenn ich mir im Lauf der 25 Runden, die wir im Formationsflug über die Nordschleife brettern, irgendwann denke, ich könnte eigentlich schneller. Das mag an vielen Stellen gelten, aber hier hat eine Runde knapp 21 Kilometer, 33 Links- sowie 40 Rechtskurven und hinter dem einen oder anderen der 290 Höhenmeter weiß zwar Timo, wie es weiter geht, aber mein Schutzengel noch nicht. Eine normale Rennstrecke, die fünf oder sechs Kilometer lang ist, „dermerkt“ man sich schneller.
Der Mensch lernt über Nacht
Wie gut, dass das Perfektionstraining über zwei Tage angesetzt ist! Am Abend des ersten habe ich, nassgeschwitzt und glücklich, erst gemerkt, dass rund 500 Kilometer konzentriertes Nordschleifenfahren dann doch auf Kondition und Konzentration gehen. Danke, Timo, fürs Einbremsen.
Am Morgen von Tag zwei sind das Auto und ich gleichermaßen frisch. Über Nacht hat mein Hirn offenbar verinnerlicht, was ich gelernt habe, die Strecke wirkt sofort vertraut. Das ist gut so, denn als besonderes Schmankerl befahren wir heute den kompletten Nürburgring, also die Nordschleife plus die Grand-Prix-Strecke, am Stück. Das sind dann also insgesamt 26 Kilometer und weitere gut fünf Kilometer, die es zu lernen gibt. Ein Erlebnis, das nicht vielen beschert ist. Die Gesamtstrecke steht selten zur Verfügung.
Nach dem Mittagessen gehe ich allein auf die Strecke. Wieder fange ich zurückhaltend an, schließlich muss ich jetzt Linie, Brems- und Einlenkpunkte selber finden. Und noch immer gilt: Ich kann mich ganz aufs Fahren konzentrieren, das Auto liegt satt wie ein Brett, bremst stabil wie ein Anker und lenkt genau auf der Linie ein, die ich mir vorstelle, ohne Untersteuern. Und zwar so exakt und bei einem derartigen Tempo, dass ich immer wieder überrascht bin, wie viel mehr da noch gehen würde.
Ich gewinne an Sicherheit, weiß langsam, wie die Strecke läuft. Ich genieße es, in Breidscheid am Gas zu stehen und mich gegen die rechte Seite des Carbonschalensitzes pressen zu lassen. Das Bergwerk richtig anzufahren, um dann durch das Kesselchen stehen zu lassen, Gas und Lenkung, nicht sehend, aber wissend, wo es weitergeht.
„Nur nicht übermütig werden“, höre ich Timo Kluck sagen. Die Nordschleife hat es in sich. Die Anlage ist so weitläufig, dass man unerwartet auf nasser Strecke unterwegs sein kann, weil es plötzlich regnet. Typische Eifel-Wetter. Außerdem halten viele Rennfahrer sie für gefährlicher, seit ihr die Buckelpiste ausgetrieben wurde. Abgesehen von Caracciola-Karussell & Co.
Wie schnell ich war? Keine Ahnung. Definitiv langsamer als Werksfahrer Jörg Bergmeister, der auf seiner Rekordfahrt mit diesem Auto nur 7:09,300 Minuten für die 20,832 Kilometer gebraucht hat. Beim nächsten Mal komme ich ihm jedenfalls wieder ein Stückchen näher.
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