Dass Beschwerden des Bewegungsapparates mit dem Luftholen zusammenhängen können, erklärt ein spezialisierter Physiotherapeut aus Wien. Wer hätte gedacht, dass damit sogar der Beckenboden oder ein „Waschbärbauch“ zu tun haben können? Plus einfache Übungen aus der Atemtherapie zum Nachmachen.
Der Titel klingt vielversprechend: Wer möchte Schmerzen nicht einfach wegatmen können? Ist das tatsächlich möglich und welche Probleme sind damit genau gemeint? Wir haben mit Florian Pichler, einem Physiotherapeuten mit Spezialgebiet Atemtherapie, gesprochen. „Die Atemtherapie kam ursprünglich bei Lungenerkrankungen und in der Intensivmedizin zum Einsatz. Damit wurden und werden etwa Asthma und COPD behandelt“, klärt der Experte auf.
Die Atemtherapie kam ursprünglich bei Lungenerkrankungen und in der Intensivmedizin zum Einsatz. Damit wurden und werden etwa Asthma und COPD behandelt“
Florian Pichler, Physiotherapeut und Osteopath
Bild: Florian Pichler
Aber auch Menschen mit psychischen Belastungen, wie etwa Depressionen und Panikattacken, profitieren davon. „Mittlerweile hat sich die Therapie darüber hinaus bei orthopädischen Leiden, allen voran beim sogenannten Zervikalsyndrom (Beschwerden, die von der Halswirbelsäule ausgehen), Beschwerden an der Brustwirbelsäule, Kribbeln in Armen und Beinen sowie nach Bandscheibenvorfällen bewährt.“
Sucht man aufgrund von orthopädischen Problemen einen Physiotherapeuten auf, achtet dieser auf Kräftigung und Dehnung bestimmter Muskeln sowie die richtige Atmung: „Der Therapeut untersucht etwa, ob eine Atemmusterdysfunktion vorliegt, also eine Abweichung von der Norm. Dafür muss sich der Patient auch bewusst werden, wie, wie oft und wo Atembewegungen stattfinden, also z. B. nur im Brustkorb oder auch im Bauch“, berichtet Florian Pichler.
So stellt man selbst fest, ob man an einer Atemdysfunktion leidet: Hinsetzen oder -legen. Eine Hand befindet sich am Brustkorb, die andere am Nabel. Nun eine Minute lang die Ein- oder Ausatembewegungen zählen. Liegt die Atemfrequenz über 15 Atemzügen, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Dysfunktion bzw. in diesem Fall eine sogenannte Überatmung groß.
Der Therapeut untersucht etwa, ob eine Atemmusterdysfunktion vorliegt, also eine Abweichung von der Norm. Dafür muss sich der Patient auch bewusst werden, wie, wie oft und wo Atembewegungen stattfinden, also z. B. nur im Brustkorb oder auch im Bauch.
Florian Pichler, Physiotherapeut und Osteopath
Bild: Florian Pichler
So funktioniert der Atemanhaltetest
Eine andere Möglichkeit ist der Atemanhaltetest: Fünf Minuten entspannt sitzen. Dann einmal bewusst ein- und ausatmen. Ist die Luft ganz draußen, Stoppuhr einstellen, um zu ermitteln, wie lange man es aushält, bis man wieder Luft holen muss. Mindestens 20 Sekunden sollten in Ruhe schaffbar sein (also nicht nach dem Essen, Laufen etc. ausprobieren).
Drei Atemtherapie-Übungen zum Nachmachen
Übung 1: Im Sitzen eine Hand über dem Schlüsselbein seitlich an den Hals legen. Dann den Kopf zur Gegenseite ziehen. Nun die Luft durch die Nase in die gedehnte Nackenregion einströmen lassen. Beim Ausatmen Schulter und Arm immer weiter hängen lassen. 5-10 Atemzüge in dieser Position bleiben, danach die Seite wechseln.
Übung 2: Beide Ellenbogen auf den Oberschenkeln ablegen. Bewusst durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmen. Lassen Sie die Luft in den Rücken einströmen. Nach einigen Atemzügen können Sie versuchen, Ihren Rücken noch stärker zu krümmen, um mit Hilfe der Atemzüge, den Raum zwischen den Schulterblättern zu weiten.
Übung 3: Hände neben dem Körper abstützen. Brustbein anheben, indem Sie die Wirbelsäule strecken und den Blick leicht nach oben richten. Beobachten Sie, wie sich der Brustkorb bei der Einatmung weitet. In dieser Streckung bleiben, während die Luft wieder entweicht. 5-10 Atemzüge in dieser Position verweilen, danach noch kurz entspannt sitzen bleiben.
Benützung von „Atemhilfsmuskeln“
Viele Schmerzgeplagte verwenden etwa auch fälschlicherweise sogenannte Atemhilfsmuskeln, statt ihr Zwerchfell (trennt Bauch- und Brustraum muskulär voneinander) gut zu nützen. Dazu zählen Nacken-, Hals-, Bauch- und Beckenbodenmuskeln. Diese verkrampfen und bewirken Bewegungseinschränkungen. Was darf man sich von der Atemtherapie erwarten?
„Eine bessere Beweglichkeit im Brust- und Nackenbereich zum Beispiel, weil man dann gelernt hat, nicht mehr die Nackenmuskeln als Atemhilfsmuskeln zu verwenden“, so der Physiotherapeut. Auch Schmerzen in der Lendenwirbelsäule können sich verringern: „Die Ursache dafür liegt nämlich gar nicht so selten in einem zu schwachen oder angespannten Beckenboden, auf den das Zwerchfell reagiert - ein Zwerchfellhochstand und damit einhergehend eine Atemmusterdysfunktion sind die Folgen, die LWS ist nicht mehr ausreichend beweglich. Das trifft übrigens auch auf Menschen mit einem ,Waschbärbauch’ und Schwangere zu“, erklärt Florian Pichler.
Atemtherapie kann beispielsweise zu einer besseren Beweglichkeit im Brust- und Nackenbereich führen, weil man dann gelernt hat, nicht mehr die Nackenmuskeln als Atemhilfsmuskeln zu verwenden.
Florian Pichler, Physiotherapeut und Osteopath
Bild: Florian Pichler
Die orthopädischen Atemtherapie-Übungen helfen also, mit bewussten Körperbewegungen und dem Fokus auf die Ein- und Ausatmung sowie auf die Tiefe und den Rhythmus der Atmung, den Bewegungsapparat und das Nervensystem zu entspannen. Auch die Ergebnisse der beiden Tests sollten dann allmählich besser werden. Die Therapie kann jeder niedergelassene Arzt verschreiben. Der Patient sucht sich dann einen Physiotherapeuten mit Spezialgebiet Atemtherapie. Im Rahmen von Wirbelsäulen-Präventionsprogrammen von SOS-Körper wird die Atemtherapie auch Betrieben zugänglich gemacht.
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