Vier Jahre nach einem gemeinsamen Live-Album ist das Duo Wiener Blond nun für ein richtiges Werk mit dem Original Wiener Salonensemble ins Studio gegangen. Daraus entstanden zehn Lieder voller Wiener Lokalkolorit, die sich nicht zu ernst nehmen und das Erzählte zwischen Realität und Fiktion ansiedeln. Verena Doublier und Sebastian Radon standen Rede und Antwort.
„Krone“: Verena, Sebastian - ihr wart für das neue Album „Sinfonien im Souterrain“ mit den Herren und Damen des Original Wiener Salonensembles gemeinsam im Studio, um das erste Mal neue Lieder einzuspielen. War das eine ganz neue Erfahrung?
Sebastian Radon: Die Kooperation zwischen uns besteht seit 2016 und 2019 haben wir ein gemeinsames Live-Album gemacht, das vom Salonensemble im Studio live eingespielt wurde. Es hatte etwas von Live-Charakter. Wir haben die Stimmen noch einmal extern aufgenommen.
Verena Doublier: Dieses Mal haben wir explizit Songs für die Kooperation geschrieben. Damals waren es unsere Lieder und das Ensemble spielte mit. Dieses Mal haben wir viele Lieder aufgenommen, bevor sie irgendjemand live zu hören bekam. Das war sehr spannend.
Wann habt ihr mit der Arbeit für dieses Projekt begonnen? Direkt nach eurem letzten Duo-Album „Bis in der Früh“ 2020?
Doublier: Teils teils. Manche Songs sind mir schon aus der Feder gerutscht, als wir am letzten Album gearbeitet haben. Ich hörte da mehr Streicher als Synthies raus und wir haben mit dem Ensemble geprobt. Wir hatten schnell wieder Lust, gemeinsam mit ihnen zu musizieren.
Radon: Die Songs, die wir während der Pandemie komponiert haben, haben darauf hingewiesen, dass Streicher dazu passen würden. Es gibt viele Gegensätze. Das Grundthema ist das Wohnzimmer, aber die Streicher bringen den Sound in den großen Salon.
Wenn man die Texte kurz subsumiert, könnte man meinen, die zwei Überthemen sind Kaffeehäuser und Wohnzimmer.
Doublier: Das stimmt schon. Irgendwann habe ich einen roten Faden für mich entdeckt und weitergesponnen. Am letzten Album ging es um das Nachtleben, das so extrovertiert ist. Dieses Album ist sehr introvertiert.
Radon: Es geht ein bisschen um die Einkehr. Das Kontemplieren und der Tag danach. Heute sind wir auch schon über 30 und nicht mehr über 20. Die Katerstimmung macht sich manchmal bemerkbar. (lacht) Für mich war in einem Lied die Herausforderung, wie man auf möglichst schönstem Wege raunzen kann. Das ist ja ein großes Klischee über die Wiener. Es gab schon ein paar schöne Aufgaben beim Komponieren.
Das Album ist eine Einkehr mit Nostalgie. In „Café Bräunerhof“ zählt ihr illustre Personen wie Hermann Nitsch oder Thomas Bernhard auf, die dort gerne verkehrten und ganz sie selbst waren.
Radon: Hermann Nitsch habe ich dort tatsächlich selbst gesehen. Er hielt ein Nickerchen. Im Lied habe ich das überhöht. Für den passenden Reim verliert er darin die Contenance.
Viele der darin besungenen Wiener sind absolute Exzentriker. Habt ihr ein Herz für diese Personen?
Radon: Wenn man ihnen persönlich begegnet, ist das eher schwierig. Wir sind aber zum Glück sehr tiefenentspannt.
Doublier: Im Lied geht es eher um den Mythos und die Geschichte. Exzentrische Personen finden immer einen cleveren Weg, ihren Mythos voranzutreiben und das ist ein dankbares Thema, um eine Geschichte daraus zu machen. Geschichten interessieren die Menschen. Man muss die handelnden Personen gar nicht beim Namen nennen, sondern kann ihre Geschichten auch verpacken als eine archaische Type der Wiener Kaffeehauskultur. (lacht) Diesen Archetyp gibt es noch immer. Er hat nur Instagram für sich entdeckt und ist heute mehr online als im Kaffeehaus.
Radon: Im Kaffeehaus wird auch viel gearbeitet. Wir lieben es, mit den Klischees zu spielen.
Wien ist ein Füllhorn voller Klischees, die man aufs Tablett bringen kann. Müsst ihr euch da manchmal mäßigen, weil euch zu viel dazu einfällt?
Radon: Mittlerweile hat Wien für fünf Alben gereicht. Schauen wir mal, wie viele sich noch ausgehen.
Doublier: Über manche Dinge lässt sich auch in Wien nicht scherzen, die lassen wir tunlichst aus. Themen wie die Kaffeehauskultur springen einen förmlich an und darüber singen wir.
Mit welchem Song oder welchen Gedanken startete bei euch die Reise zu diesem Album?
Doublier: Es gab erst einmal den Song „Panorama“, weil ich tatsächlich oft Nachrichten bekomme, wo man mir mitteilt, dass unsere Musik beim Wetterpanorama läuft. Ich habe das Thema umgedreht und mit dem Song einen Kreis geschlossen. Darin wird der Kaffee daheim im Pyjama genossen.
Radon: Das war die Hookline für das ganze Album. „Panorama“ ist ein sehr poppiger Song, aber auf dem Album ist auch Sehnsucht ein großes Thema. Wir hatten zum Beispiel Sehnsucht nach den Streichern. Manche werden kritisieren, dass wir wieder von Pop zu den Streichern springen, aber das ist das Schöne an unserer Unabhängigkeit - wir können uns das erlauben. Wir spielen auch nach wie vor und sicher wieder mehr mit Band, aber jetzt passt das Salonensemble sehr gut.
Gibt euch schon der textliche oder inhaltliche Rahmen vor, ob das Salonensemble dazu passt oder nicht?
Doublier: „Soda Zitron“ war schon eine Nummer, die deutlich zum Ensemble passte. Es ist immer die Frage, was der Song will und dieser wollte sich offensichtlich in Streicherklänge vertiefen. (lacht) Für das Ensemble schreibe ich textlich melodiöser und nicht so textlastig. Auf dem ersten Album schrieben wir sehr einfache Lieder mit nur einer Melodie für ein Instrument. Dann gab es vermehrt Lieder für Beatboxing oder auch Streicher. Wir singen unsere Walzer mit dem Salonensemble, aber wir haben auch Spaß, vor dem Stehpublikum mit Band zu spielen. Es ist aber alles Popmusik - nur in verschiedensten Gewändern. Im Pyjama wie im Abendkleid.
Ist der Song „Panorama“ ein Synonym für eine heile Welt, die man in Zeiten wie diesen sucht? So wie diese Fernsehsendung, wo die ganze Nacht die Straßenbahn fährt?
Doublier: Ein bisschen schon. Ich verkaufe solche Lieder immer als kontemplativen Lifestyle. Man muss beim Wetterpanorama nicht viel nachdenken und kann sich gut entspannen. Zudem ist es für mich eine massive Kindheitserinnerung.
Radon: In den 90er-Jahren gab es gefühlt nur das Wetterpanorama und „Baywatch“.
Steckt in euren Liedern auch immer eine Sehnsucht nach einer Nostalgie, die ihr aufgrund eures jungen Alters gar nicht selbst erlebt habt?
Doublier: Das ist intrinsisch und angeboren. Nostalgiegefühle hat jeder. Völlig egal, wie alt man ist. Den Ausdruck „Heile Welt“ mag ich nicht so, ich habe eher die Sehnsucht nach Ruhe. Man braucht in dieser komplexen Welt manchmal eine Einfachheit. Das sehe ich auch gesamtgesellschaftlich sehr stark. Man muss sich zwingend davon trennen, dauernd 100.000 Eindrücke zu haben. Dafür steht das Wetterpanorama symbolisch, es ist einfacher und simpler. Es geht auch um die Sehnsucht nach einer gewissen Reduzierung.
Ist Wiener Blond für euch - mit oder ohne dem Salonensemble - ein Ventil, um selbst vor der dunklen und harschen Welt flüchten zu können?
Doublier: Das ist sicher so. Wiener Blond ist auch ein Teil der Welt. Wir treffen uns live mit unseren ca. 400 Fans und singen gemeinsam und haben eine schöne Zeit. Das ist unglaublich entspannend.
Radon: Der Livemoment ist durch keine Welt auf Social Media ersetzbar. Für einen Moment landen alle gemeinsam im Hier und Jetzt. Man feiert gemeinsam Musik.
Doublier: Irrigerweise fühlt sich das tatsächlich schon konservativ an. Man ist so gedrillt, digital und online zu sein, dass sich Livekonzerte manchmal an wie aus einem anderen Jahrhundert anfühlen. Deshalb ist uns so wichtig, uns als Liveband zu bezeichnen. Wir machen auch Platten, aber wir sind immer auf Tour.
Bei jungen Menschen rückt immer mehr Konservatismus zurück. Man arbeitet gerne mit den Händen und erschafft etwas. Man möchte wieder etwas Echtes erleben und spüren.
Doublier: In unserem Fall ist es die Sehnsucht nach dem Walzer. (lacht) Den „Abstandswalzer“ habe ich geschrieben, weil ich das Walzertanzen am Eis gelernt habe. Er ist inspiriert von den Rundtänzern am Eis. Das Rundtanzen am Eis ist ein UNESCO-Weltkulturerbe. Während der Corona-Pandemie haben sich die Tänzer etwas einfallen lassen und mit eineinhalb Meter langen Stöcken getanzt. Man möchte im guten alten Wien auch in den schwierigsten Situationen nicht auf das Walzertanzen vergessen und findet Mittel und Wege, um das durchzuziehen. (lacht) Ich fand das wirklich super, ein sehr kreativer Zugang. Die Lebensfreude bahnt sich immer einen Weg.
Der Song hat keine politische Botschaft auf einer Metaebene, dass man etwa Abstand zum Akademikerball halten sollte?
Doublier: (lacht) Bitte gerne, aber das war nicht unsere Intention. Es ging hier wirklich um einen Ort, an dem gefeiert wird. Dass man das Tanzen als etwas versteht, dass einem im Alltag die Lebensfreude erhält.
Ihr verwendet in den Songtitel und Texten auch wieder wahnsinnig viele Lebensmittel. Das Soda Zitron, der Rosmarin, Kaffee, die spanischen Radieschen …
Radon: Das war in der Bandgeschichte immer so. Wir waren schon immer eine kulinarische Band.
Doublier: Wir schreiben keine Liebeslieder und das nächste Thema dahinter dreht sich um Essen und Trinken. Wenn wir über die Liebe schreiben, dann über Radieschen, Rosmarin und Spritzwein. (lacht)
Warum schreibt ihr denn nicht über die Liebe?
Doublier: Für mich fühlt sich das Thema in unserem Kontext nicht stimmig an.
Radon: Es haben schon so viele Menschen die allerschönsten Liebeslieder komponiert. Es wäre schon eine Ansage, wenn man sich da einreihen möchte. Für mich wäre das etwas sehr Persönliches. Wir haben immer den Groove gefeiert und nach Themen abseits der Liebe gesucht. Es gibt schon Abermillionen Alben darüber, weshalb wir Alltagssituationen gesucht haben, die wir sonst nicht so leicht erkennen würden.
Doublier: Nur weil wir nicht über die Liebe schreiben, heißt das nicht, dass wir keine Liebeslieder haben. (lacht) Jack White hat in einem Interview einmal gesagt, er liebe es, zu zweit in einer Band zu sein. Diese Rücknahme und der Minimalismus würden einen dazu zwingen, kreativer zu sein. Das ist manchmal massiv anstrengend, aber man schöpft damit viel mehr aus, was man sonst nicht müsste. Wenn wir aber ständig über das Essen schreiben, sind wir vielleicht doch nicht so kreativ wie wir glauben. (lacht) Meist höre ich wo einen Satz und dann entsteht ein Lied.
Funktioniert eure Kreativität als ein Paarlauf auf zwei verschiedenen Bahnen? Ist jede Person gleich aktiv und kreativ?
Radon: Es ist wie ein Ballspiel. Wir werfen uns den Ball zu, der Paarlauf ist das falsche Bild. (lacht) Es motiviert einen schon sehr, wenn die andere Person mit einer Idee kommt. Dann startet der Motor sofort. Man schaut, was man dem hinzuzufügen hat oder wie man auf neue Sachen kommt.
Haben für euch „S‘ letzte Kaffeehaus“ und einer der vielen Starbucks in der Stadt denselben Wert?
Doublier: Ich fühle mich in den Starbucks nicht so wohl. Es sind zwei komplett verschiedene Prinzipien eines Gastronomiebetriebes. Der eine will gar nicht, dass du dich lange in ihm aufhältst. Es ist mehr ein „take your coffee and run“. (lacht) So ist er auch aufgebaut.
Radon: Der Starbucks passt ein bisschen zum digitalen Zeitalter. Du schnappst dir deinen Becher und bastelst die nächste Story für Instagram. Im klassischen Kaffeehaus sitze ich vier Stunden herum und schaue oft gar nicht aufs Handy.
Doublier: Das Kaffeehaus lädt dazu ein, nur eine Sache zu machen. Das andere Prinzip lädt dich dazu ein, mehrere Dinge gleichzeitig zu machen, was dann wieder zerstreut. Ich finde es gut, einen Ort zu haben, wo man sitzt und Kaffee trinkt und sonst passiert nichts.
Die Ruhe ist ein wichtiges Element des Albums. Sich zu entspannen, sich zurückzulehnen und einfach einmal alles um sich herum sein zu lassen.
Doublier: Ja, absolut. Ich brauche das zurzeit auch selbst sehr dringend. Dieses Album ist ein sehr angenehmer Kontrast zu dem, was wir zuvor besungen haben. Der ganzen Welt tut es gut, einmal ein bisschen Einkehr zu halten und durchzuatmen, bevor die nächste Party startet.
Warum kommt im Albumtitel das Souterrain vor? Einfach nur wegen des passenden Klangbilds?
Doublier: Wir haben dieses Programm im Souterrain des Musikvereins präsentiert. Meine Mama sagte dazu „im Keller“. (lacht) Aber in Wien redet man sich die Dinge gerne auf Französisch schön, deshalb Souterrain.
Geht der gemeine Wiener leichter mit Krisen und Rückschlägen um als sonst jemand?
Doublier: Eine interessante Frage.
Radon: Vielleicht nützt er seinen Zweckzynismus, aber vielleicht ist das auch wieder ein Klischee. Mit dem Sudern taucht man aber vielleicht etwas leichter durch die Krise. Ich selbst versuche das Sudern so gut wie möglich zu vermeiden. Sobald man anfängt, ist es schwer wieder aufzuhören und das färbt auf die Mitmenschen und den Alltag ab.
Doublier: Ich sudere leider sehr viel, aber Sebastian ist wahnsinnig geduldig mit mir. Das Sudern ist für mich etwas Körperliches. Man fühlt was, dann sudert man und man fühlt wieder was anderes. Das ist so ähnlich wie Sport oder Ausdruckstanz. (lacht)
Hat dein Sudern manchmal so einen Automatismus wie das Frühstück oder Atmen?
Doublier: Ich leugne manchmal gerne, wenn mir Dinge Spaß machen. (lacht) Ich bin unzufrieden, um der Unzufriedenheit willen. Ich mag das an mir selbst nicht, aber es ist wie ein Reflex. Bin ich selbst ein Wiener Klischee? In manchen Dingen vielleicht schon, in anderen dann aber gar nicht. Wien erfüllt manchmal seine Klischees, um aber im nächsten Moment zu zeigen, dass sich die Welt seit 1914 doch weitergedreht hat.
Müsst ihr euch manchmal am Riemen reißen und die Spitze oder Pointe im richtigen Moment stoppen, damit der Inhalt nicht zu garstig wird?
Radon: Wenn man sich selbst nicht zu ernst nimmt, kann man schon mal über das Ziel hinausschießen.
Doublier: Wir dürfen das, denn wir singen über uns selbst und sind selbstironisch. Wir singen außerdem so schön, dass sich keiner beleidigt fühlen kann. (lacht)
Ihr wärt eigentlich dafür prädestiniert, in einer großen Produktion mit Max Raabe und seinem Palastorchester auf Tour zu gehen.
Radon: Lustig, das habe ich auch schon von ganz anderen Seiten gehört. Ich würde mit ihm sofort ein schönes Trio singen, wenn es sich ergeben würde.
Doublier: Raabe ist Berliner. Das ist genauso eine Großstadt mit einer Geschichte, die sich, wie viel Großstädte, nach anderen Zeiten sehnt. Ich bin nicht zu 100 Prozent mit seinem Material vertraut, aber er schleppt sicher auch das Geschichtsbewusstsein eines Großstadtmenschen mit sich herum. Einen Kanister von Hunderten von Jahren Stadtgeschichte. Das prägt deinen Charakter, deine Musik und auch das, was die Leute hören wollen.
Warum wollen die Menschen so gerne Geschichten von damals hören? Oder zumindest einem gefühlten Damals?
Doublier: Grundsätzlich hören Menschen gerne Geschichten. Geschichten von damals implizieren, dass jeder schon mal eine Berührung damit hatte. Es gibt eine Art kollektives Gedächtnis, mit dem jeder räsoniert. Auch wenn dieses kollektive Gedächtnis vielleicht nur eine Vorstellung ist. Deshalb finden die Leute leichter einen Zugang dazu.
Radon: Unsere Texte sind aber aus dem Hier und Jetzt. Ich versuche beim Texten schon nach vorne zu denken, aber das musikalische Arrangement ist ein historisches Tool. Man kennt es und es geht gut uns Ohr. Das ist die Brücke zum Vergangenen.
Bringt ihr damit auch einem jüngeren Publikum die Salonmusik näher, die sie sonst niemals hören oder entdecken würden? Schwingt da ein bisschen ein Bildungsauftrag mit?
Doublier: Ich hoffe, dass es so ist. Bei unserem Konzert im Wiener Stadtsaal kommt eine Schulklasse aus Purkersdorf vorbei. Ich habe meine Liebe zur klassischen Musik mit 17 entdeckt und mir liegt sie sehr am Herzen. Das Konzertwesen in diesem Genre ist sehr eingeschlafen und teilweise auch viel zu touristisch. Es ist darauf ausgelegt, dass man die Klischees maximal erfüllt. Wenn wir als Band eine Stimme sein können, diesen Schatz an Musik jungen Leuten zugänglich machen zu können, wäre das wunderschön - ohne dass ich da jetzt einen pädagogischen Anspruch verfolge. Könnten wir dazu Türen öffnen, wäre das schön.
Ist es für euch beide immer einfach, so mühelos zwischen der klassischen Welt und der Pop-Welt hin- und herzuspringen?
Radon: Am Ende des Tages ist Musik einfach Musik. Es kommt immer aufs Arrangement an, aber wir versuchen mit den Streichern auch einen Beat hineinzubringen und die zwei Welten zu verschränken. Das macht für mich den Reiz der Sache heraus. Wir picken uns die Rosinen aus der Klassik und versuchen sie mit Pop zu vereinen.
Doublier: Der Weg dorthin ist ein langer. Man arbeitet bei klassischen Musikern mit Arrangements und mit Noten. Bei allen anderen Alben haben wir nichts in Noten gepackt, weil man mit den Ohren arbeitet - das ist im Pop so. In der Klassik natürlich nicht. Bis ein Song da ist, mussten wir erst einmal all die Noten schreiben und der ganze Zugang verläuft viel langsamer. Wenn man den Musikern aber die Noten hinlegt und sie dann losspielen, ist das von 0 auf 1000 Musik. Das ist jedes Mal ein magischer, perfekter, analoger Moment. Wir alle haben während Corona gesehen, dass Instagram-Konzerte nicht dasselbe waren. Und als Livemusikerin bin ich sehr froh, dass das alle verstanden haben.
Mit dem ganzen Ensemble zu arbeiten, ist aber schon auch ein wirtschaftliches Statement von euch.
Radon: In der ersten Instanz soll es immer um die Musik gehen und um das, was wir auf die Bühne bringen wollen. Früh genug kommen dann pragmatische Keulen daher, was natürlich schwierig ist. Aber wir sind unser eigenes Label, das ist extrem angenehm, weil uns da niemand reinredet. Wenn wir etwas machen wollen und dafür mehr zahlen müssen, dann tun wir das einfach.
Doublier: Zuerst die Musik, dann die Realität. (lacht) Natürlich bleibt zu zweit mehr Gage, aber wir lieben es, mit so tollen Musikern auf der Bühne zu stehen und die Kunst so vorzutragen. Wir würden es natürlich nicht machen, wenn wir unsere Musiker nicht ordentlich bezahlen könnten. Das haben wir uns über die Jahre erarbeitet und deshalb wollen wir es uns auch leisten. Das ist aber natürlich ein Privileg. Wenn man im Popbereich in den Gürtellokalen spielt, kann man nicht davon überleben. Das ist traurig, aber real. Unsere Realität ist, dass niemand reich wird, aber jeder am Ende des Tages eine vernünftige Gage am Teller liegen hat, die angemessen ist. Mehr geht sowieso immer.
Hat bei euch die Kreativität jemals unter finanziellen Sorgen gelitten?
Doublier: Ich hatte eine Zeit lang neben meinen zwei Bands drei Jobs und beschloss erst 2019, dass ich das hier hauptberuflich mache. Das war ein ziemliches Desaster.
Radon: Die Gegebenheiten ändern sich ständig. Wir haben in Wien ein Standing, dass die Gagen passen, aber dafür wird rundum immer alles teurer. Es geht sich superschön aus, dass wir leben können und das machen, was wir machen wollen. Das ist ein angenehmes Gefühl.
Doublier: Es ist der Preis der Freiheit. Wir sind seit den ersten Tagen eine Self-Made-Band. Wir haben kein Label und kein Management und machen fast alles selbst. Dass wir alles selbst entscheiden können, ist sehr angenehm, aber diese Freiheit kostet natürlich. Dass wir nach einer Techno-Single mit dem Salonensemble auftauchen, das ist schon eine ziemliche Rockstar-Ansage. (lacht)
Könnte eine Band mit dem Namen Wiener Blond auch Geschichten außerhalb von Wien erzählen?
Radon: Konzeptalbum Hamburg? (lacht) Grundsätzlich könnte ich mir schon vorstellen, thematisch auszuscheren.
Doublier: Alte Sagen aus Klagenfurt. (lacht) Unverschämterweise erzähle ich für gewöhnlich Geschichten aus meinem Leben. Geschichten aus anderen Ländern oder Städten zu erzählen würde implizieren, dass ich aus Wien wegmüsste. Länger als ein paar Wochen schaffe ich das aber nicht, weshalb das Vorhaben nicht realistisch ist. Ich bin hier ein bisschen picken geblieben. Es ist wichtig, dass man einen gewissen Eindruck über das hat, was man schreibt. Wir erzählen kaum von ersten Eindrücken, sondern haben eine starke, innere Perspektive. Wir sind klassische Songwriter, die gerne Geschichten erzählen. Es geht nicht einfach nur um die Hookline.
Am 11. und 12. Dezember spielt ihr zwei Konzerte im Wiener Stadtsaal. Ich nehme an, 2024 wird mit dem Salonensemble noch öfter aufgetreten werden?
Doublier: In Niederösterreich, Oberösterreich und Burgenland versuchen wir das, was mit 17 Personen auf der Bühne möglich ist, zu spielen. Wir bleiben aber prinzipiell schon in der Bubble von Wien und Umgebung.
Radon: Im April spielen wir auch noch zweimal im Stadtsaal. Dazu Perchtoldsdorf, Oberösterreich, beim Schrammelklang in Litschau und im burgenländischen Stadtschlaining. Wir sind prinzipiell immer auf Tour.
Doublier: Wir spielten auch schon mal in Kiel, Ungarn oder Rumänien. Das sind schon auch spannende Konzerte. Wir versuchen dann unseren Schmäh so zu erklären, dass ihn auch jemand versteht, der uns nicht kennt. Aber durch die Musik kann man sich immer verständigen.
Live zu sehen
Wiener Blond & das Original Wiener Salonensemble sind am 11. und 12. Dezember live im Wiener Stadtsaal zu sehen. Sollten die Karten (erwartungsgemäß) schon knapp werden, spielen sie auch am 14. und 15. April 2024 noch einmal am selben Ort. Unter www.oeticket.com kriegen Sie die Karten und finden alle weiteren Informationen zu den Events.
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