Der israelische Sänger und Musiker Asaf Avidan kommt im Zuge seiner „Ichnology“-Tour ins Wiener Konzerthaus. Sein künstlerisches Schaffen ist geprägt von Introspektive und Relexion. Im „Krone“-Interview zieht der 43-Jährige immer wieder Parallelen zwischen dem Mikro- und Makrokosmos des Lebens.
Nur wenige Künstler haben einen so einzigartigen, wie speziellen Karriereweg hinter sich wie der israelische Multiinstrumentalist und Sänger Asif Avidan. Der Sohn einer Diplomatenfamilie wuchs in Jamaika auf, verliebte sich als Teenager auf einem Metallica-Konzert ins Schlagzeug, wechselte auf die E-Gitarre und wurde dann durch seine verpflichtende Einberufung in den israelischen Militärdienst wieder davon weggedreht. Er studierte Film und Animation und ist in Israel 13 Jahre lang Synchronsprecher für „Die Schlümpfe“. Erst die schmerzhafte Trennung von seiner langjährigen Freundin motiviert den mittlerweile 26-Jährigen 2006 dazu, das Instrument noch einmal zu entstauben. Die Break-Up-EP „Now That You’re Leaving“ wird zu einem Überraschungserfolg, mit seiner daraufhin zusammengestellten Band The Mojos nimmt er 2008 das Debütalbum „The Reckoning“ auf und heimst damit eine MTV-Award-Nominierung ein.
Überraschende Karrierewende
Avidan und seine Band sind keine Kinder von Traurigkeit und keiner Party abgeneigt. Man schreibt und tourt unentwegt und lässt keine Chance aus, mit der einzigartigen Mischung aus seiner an Robert Plant erinnernden Stimme mit dem Singer/Songwriter- und Pop-Gestus seiner Band neue Ufer anzusteuern. Während Avidan & The Mojos die Bühne mit The Who, Morrissey oder Bob Dylan teilen, schreibt das Mastermind interessante Konzeptalben über einen Jungen, der mit einem Loch statt eines Herzens geboren wird oder einen Kapitän, der auf der Suche nach Unsterblichkeit mit seiner Crew ins Reich der Götter steuert. Nachdem Avidan die Mojos 2011 langsam auflöst, kommt 2012 die entscheidendste Karrierewende. Der deutsche DJ Wankelmut nimmt sich des „Reckoning Songs“ an, remixt „One Day“ dazu und erobert damit in Mittel- und Südeuropa die Charts im Sturm.
Der damals noch nicht so entspannte Avidan freut sich zwar über die Tantiemen und den steigenden Bekanntheitsgrad, mokiert sich aber gleichzeitig über den mangelnden künstlerischen Anspruch des Songs. Musik sei nicht dazu da, um an Strandbars oder in Aufzügen gespielt zu werden, gibt er in Interviews kund. Kantige Ehrlichkeit koaliert mit überraschender Entrüstung. Avidan agiert im echten Leben so kantig und facettenreich wie in der Musik. Um glattgebügelt und langweilig zu sein, erscheint ihm das Leben zu kurz. „Über die Jahre habe ich gelernt, meinen Kontrollwahn zurückstellen und die Dinge loszulassen“, erzählt uns im „Krone“-Interview, „für mich passiert die Kunst, wenn ich sie mache. Für den Hörer, wenn er sie hört. Das endlich zu verstehen, hat mich zu einem glücklicheren und geduldigeren Menschen gemacht.“
Suche nach Ausbruch
Mehr als zehn Jahre ist Avidan mittlerweile als Solokünstler unterwegs. Er veröffentlicht einige, von der Kritik hochgelobte Alben, hat ein stabiles Familienlieben mit Freundin und seinen zwei Hunden und richtet sich irgendwo auf der Welt immer wieder ein neues Studio ein. Sesshaftigkeit ist ihm nicht angeboren. „Mit meinem Lebensstil mitzuhalten ist nicht so einfach, aber meine bessere Hälfte macht das zum Glück mit. Als Diplomatensohn mit jüdischen Wurzeln und meiner selbstgewählten Karriere bin ich immer rastlos. Etwa ein Prozent in mir überlegt sich, sich irgendwo zu verwurzeln, aber der andere, wesentlich größere Teil schreit nach Aufbruch. So bin ich gestrickt.“ Sein letztes Studioalbum „Anagnorisis“ veröffentlichte Avidan mitten in den Wirren des zweiten und langen Winter-Lockdowns. Während die ganze Welt mehr oder weniger zur Selbstreflexion gezwungen war, fand dieser Prozess beim Sänger schon früher statt.
„Ich war damals 39 und ungefähr zehn Jahre lang auf Tour. Mit 100 bis 150 Konzerten pro Jahr. Die Midlife-Crisis klopfte mit beiden Händen und ich musste dringend eine Pause machen. Ich habe tief in mich hineingehört und überlegt, ob und wie ich weitermachen soll. Alle Songs, die ich schrieb, waren Wiederholungen oder unzureichend und ich begann mich zusehends selbst zu hassen. Ich recherchierte und lernte, dass die Grundessenz des Menschen chaotisch und nebulös ist. Das ist das Gegenteil von meiner strukturierten Organisation, die ich als Musiker verfolge. Würde ich mich also nicht dieser menschlichen Grundbeschaffenheit stellen, würde ich niemals zufrieden sein. Das hat mir die Augen geöffnet und mich in die Musik zurückgeholt.“ Avidan ist sich ob der Tragik und der vielen Verluste während der Pandemie bewusst, hat die Zeit aber anders erlebt, als die meisten.
Der Sinn des Lebens
„Ich fand es prinzipiell gut, dass die ganze Menschheit einmal einen Moment der inneren Einkehr erlebte und sich die Welt kurz restrukturieren konnte. Jeder kam aus dem Hamsterrad des Alltags und hinterfragte sich, sein Tun und den Sinn des Lebens. Die Menschen suchen nach den simplen Dingen im Leben. Deshalb stoßen leider auch wieder faschistische Kräfte an die Oberfläche, weil das Schreien nach einer starken Hand schneller geht, als Gesellschaftsformen wie Demokratie, Kapitalismus oder Liberalismus anzunehmen. Jede Phase unseres Lebens ist von Schwierigkeiten und Herausforderungen geprägt. Ich bin ein Mann der Wissenschaft, aber ich glaube auch fest daran, dass man im Leben einen Zweck und ein Ziel braucht, weil man sich sonst darin verliert.“
Mit Esoterik und Klangschalen-Hippietum hat Avidan nichts am Hut, seine Suche nach etwas Göttlichem oder Übernatürlichem ist darin begründet, Zufriedenheit, Glück und Vollkommenheit im Leben möglichst potenzieren und ausweiten zu können. „Mir geht es beim Musikmachen wie den meisten Menschen. Es gibt wundervolle Momente des Glücks und des Triumphs, aber etwas in deinem Hinterkopf sagt dir immer, dass diese Momente temporär und flüchtig sind. Irgendwann hat alles ein Ende. Wir werden sterben, die Erde geht in der Sonne auf und diese wird von einem großen schwarzen Loch verschluckt. Verlust fasziniert mich so sehr, weil er fundamental ehrlich ist. Jede Form des Glücks beinhaltet auch eine Form der Verzweiflung und Unsicherheit.“ Avidan versucht in seinen Songs trotz allem, Melancholie und Schwere niemals überhandnehmen zu lassen. „Ich will das angesprochene Glück nicht überstrapazieren.“
Grenzen durchbrechen
Mit seinem gediegenen Folk-Rock samt Singer/Songwriter-Attitüde stellt sich Avidan die wichtigen Fragen des Lebens. Er ist gleichermaßen Anpacker wie auch Melancholiker und vermengt seine Gefühle und Emotionen immer noch so gut wie möglich in der Musik, die ihm eine andere Form des persönlichen Öffnens bietet. „In allen Bereichen des Lebens geht es mir darum, die Grenzen einzureißen. Nicht nur in der Musik. Ich bin gerne in Museen und ärgere mich immer, wenn die Leute von Kubismus oder deutschen Expressionismus reden. Alles wird in Nischen eingeteilt, dabei wird alles von allem inspiriert und bedingt. All die Freuden, Ängste und Hoffnungen, die tief in dir schlummern, spüren anderswo Menschen, die nicht aussehen wie du und nicht sind wie du. Die Idee, dass ich mich in einem festgelegten musikalischen Genre aufhalten sollte, mutet seltsam an. Ich will immer in die große Werkzeugkiste greifen und mir meine Welt so malen, wie ich sie im jeweiligen Moment gerade für richtig halte.“
Live im Konzerthaus
Nach einem gefeierten Auftritt im Sommer 2022 im Flex kommt Avidan nun am 12. November wieder nach Österreich. Er spielt im bereits restlos ausverkauften Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses solo im Zuge seiner „Ichnology“-Tour. Ein Abend voller großer Emotionen und musikalischen Wendungen. Mit seiner Auffassung von Kunst und Musik bleibt Avidan auch weiterhin ein Solo-Boot auf dem großen Meer des Klangs.
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