Einer der schönsten Orte Niederösterreichs liegt im Weinviertel : Retz, die Weinstadt, die es sozusagen zweimal gibt.
Nein, es gibt keinen Nachbau in China (wie bei Hallstatt). Das Geheimnis lüftet Stadt- und Kellerführerin Maria Sikora: „Es existiert keine zweite Stadt dieses Namens, sondern zum oberirdischen Retz gibt es auch noch ein unterirdisches.“ Bleiben wir einmal über der Erde. Der Hauptplatz ist nicht nur einer der schönsten im Lande, sondern mit 12 Hektar auch einer der größten.
Viele prächtige Bürgerhäuser aus dem 16. Jahrhundert, darunter das Sgraffitohaus (1576) oder das Verderberhaus (um 1580) im venezianischen Renaissancestil bilden eine zauberhafte Kulisse. Unter der Stadt liegt der größte historische Weinkeller Österreichs, ja Mitteleuropas, wobei wir nun beim unterirdischen Retz angelangt wären.
Der Retzer Erlebniskeller ist ein ganzes System von Weinkellern, ein Labyrinth mit einer Länge von etwas über 20 Kilometern und somit dreimal so lang wie das Straßennetz an der Oberfläche. Bis zu 30 Meter tief liegen diese Gänge, deshalb herrscht auch das ganze Jahr eine konstante Temperatur von 10 bis 12 Grad, also optimal für den Wein.
SAND AUS DEM EGGENBURGER MEER
Der Keller wurde in den urzeitlichen Meersand gegraben, erfahren wir von Maria Sikora. Meer? Ja, hier war einst das Eggenburger Meer bzw. die Küste. Ebenso im nahen Thayatal, wo heute Wiesen, Bäume – und Knöpfe „wachsen“. Aus Perlmutt, einem edlen Naturmaterial, das seit Jahrhunderten zur Herstellung von Schmuckstücken, Knöpfen oder auch Gebrauchsgegenständen verwendet wird.
Wir besuchen in Felling Rainer Mattejka, der sich mit Perlmutt auskennt, wie kein anderer. Sein Familienbetrieb ist die letzte Perlmuttmanufaktur Österreichs, früher gab es 98 Betriebe. „Perlmutt ist faktisch unverwüstlich. Das liegt an den Muscheln, aus denen es gewonnen wird. Ihre Perlmuttschicht schützt die Muschel nämlich vor Fressfeinden.
Alles, was hier gefertigt wird, ist immer noch aus Muscheln, nichts ist künstlich. Bei uns gibt es nichts aus Kunststoff, alles wird wiederverwertet. Alles Handarbeit, das Handwerk ist noch das gleiche. Verändert hat sich nur die Menge von etwa 5000 auf 55.000 Knöpfe täglich.“
VOM SCHATZ DES MEERES ZU EINEM ANDEREN SCHATZ
Zurück in Retz besuchen wir die Gatterburg. In dem Schloss ist heute ein Fahrradmuseum zu finden. Fritz Hurtl hat in etwa 45 Jahren über 300 Fahrräder gesammelt. „Wir haben das Glück, Fahrrad-Geschichte vom Anfang an zu erzählen. Unsere ältesten Stücke sind circa aus 1820. Das Fahrrad war früher ein Luxusgut, nur für die oberen Zehntausend oder noch darüber. Es war nicht für jeden leistbar.“
ALLGEMEINE AUSKÜNFTE:
www.weinviertel.at
www.retzer-land.at
www.tourismus.niederoesterreich.at
EMPFEHLENSWERTE ADRESSEN & TIPPS:
DIE WINDMÜHLE AM STADTRAND
Das Wahrzeichen von Retz finden wir am Kalvarienberg: die Windmühle. Sie stammt aus 1853 und ist funktionsfähig. Rudolf Schuch ist der Mühlenwart, seine Frau Hermine hat sich Brotbacken als Pensionshobby auserkoren.
Sie versucht, den Menschen den Weg vom Korn zum Brot näherzubringen. An jedem letzten Samstag der Monate April bis Oktober oder nach Terminvereinbarung für Gruppen ab 8 Personen wird das Erlebnisbacken im Steinofen angeboten.
IM SCHNECKENTEMPO
„Reblaus Express“ nennt sich die nostalgische Erlebnisbahn, die gemächlich von den Retzer Weingärten zu den stillen Wäldern des Waldviertels pendelt. 40 Kilometer beträgt die Strecke von Retz nach Drosendorf. Es geht darum, die wunderschöne Landschaft ohne Hektik zu erleben. Gemächlichkeit ist Programm.
Übrigens gibt es in der Gegend etwas, was wirklich langsam ist: die Weinbergschneckenfarm von Jessica Wyschka. Drei Schneckenarten werden von ihr gezüchtet – alle drei sehr genügsam, was die Ressourcen angeht. Wasser, Futter, Platzbedarf. Um ein Kilo Rindfleisch herzustellen, braucht man 90 Prozent mehr Wasser im Vergleich zu einem Kilo Schneckenfleisch.
Ein nachhaltiges Lebensmittel und sogenanntes Futurefood. „Es gibt natürlich bei vielen Leuten noch den Ekelfaktor im Hintergrund, man muss täglich Überzeugungsarbeit leisten, dass man sich einmal drüber traut und kostet.“ Wer sein Kopfkino überwinden kann, wird feststellen: Schmeckt gut, vor allem frittiert mit einer Knoblauchmayonnaise.
UNBERÜHRTE NATUR UND ARTENVIELFALT
Drosendorf liegt am Rand des Nationalparks Thayatal. Über 25 Kilometer schlängelt sich die Thaya durch eine dichte Waldlandschaft, in der 40 Prozent aller heimischen Pflanzen wachsen. Robert Müllner ist hier der Ranger: „In Österreich gibt es etwa 3000 Pflanzen, im Nationalpark Thayatal findet man davon etwa 1290.“
Er interessiert sich besonders für die Vogelwelt, die Artenvielfalt ist großartig. Scheu und verborgen lebt in den Wäldern des Nationalparks etwa die Europäische Wildkatze. Sie ist gefährdet, wie Schwarzstorch und Edelkrebs, und lässt sich nur selten beobachten. Der Nationalpark im niederösterreichischen Grenzgebiet zu Tschechien bewahrt die unberührte Natur und schließt an den Národní park Podyjí an.
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