Theater an der Wien

Böhmische Rarität: Dudeln als Fehlleistung

Kultur
16.11.2023 16:10

Regisseur Tobias Kratzer inspiriert sich mit der selten gespielten Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ an Arthur Schnitzler. Am Samstag feiert die Opernrarität im Theater an der Wien im MQ Premiere. Die „Krone“ sprach mit Tobias Kratzer über seinen Zugang zum märchenhaft volkstümlichen Opernstoff.

Nach der Uraufführung 1927 in Prag war Jaromír Weinbergers Oper ein Welthit. Heute ist es nur noch selten zu erleben, wie Dudelsackpfeifer Schwanda und seine Frau Dorota vom Räuber Babinsky heimgesucht werden. Babinsky versucht zunächst Dorota zu verführen, um dann mit Schwanda auf wilde Abenteuertour zu gehen. Wobei Schwandas Dudelsackspiel, Zauberflöten gleich, ihn immer wieder aus brenzligen Situationen rettet. Von der Oper, die in etwa so klingt, als hätte Alexander von Zemlinsky die „Verkaufte Braut“ von Bedřich Smetana weiterkomponieren wollen, während ihm Emmerich Kálmán über die Schulter schaut, steht höchstens die sehr ausführliche Ouvertüre als Konzertstück manchmal auf dem Programm.

Kronenzeitung: Was macht man mit zehn Minuten Ouvertüre?
Tobias Kratzer:
Spielen, sich freuen, und zwei Minuten vor dem Ende geht der Vorhang hoch. Das ist eine saubere Sache. Ich bebildere Ouvertüren oft, es muss aber auch passen, ich bin da unideologisch. Es ist bei jedem Stück eine eigenständige ästhetische Entscheidung.

Ist die Musik stark genug?
Ja, in der Ouvertüre auf jeden Fall, danach hilft mitunter die szenische Komponente. „Schwanda“ war kurz nach der Uraufführung ein paar Jahre das meistgespielte Stück, öfter noch als die „Zauberflöte“. Es ist total unterhaltsam, geht richtig ins Ohr, auch dem unvorbelasteten Ersthörer. Es besitzt Vergnügungspotential.

Führt Regie: Tobias Kratzer (Bild: Julian Baumann)
Führt Regie: Tobias Kratzer

Böhmische Naivität trifft Moderne
Es ist ein Amalgam, aus dem, was quasi im „k.k.-Darmstadt“, also in der Avantgarde der Zeit vorgeht, und einem gewissen tschechischen Volkston. Eine merkwürdige Mischung, weil zwei Stränge hier aufeinanderprallen, einer, der noch aus dem 19. Jahrhundert kommt und zu einer neuen Naivität führt und ein neuer. Das finde ich ein musikhistorisch interessantes Konstrukt.

Wie würden sie die Musik beschreiben?
Manchmal klingt es ziemlich nach Schreker und Zemlinsky, manchmal besitzt es einen pseudo-naiven Touch. Eine spannende Doppellagigkeit.

Oper Explizit: Schwanda, der Dudelsackpfeifer (Bild: Matthias Baus)
Oper Explizit: Schwanda, der Dudelsackpfeifer
Film und Oper: Schwanda, der Dudelsackpfeifer (Bild: Matthias Baus)
Film und Oper: Schwanda, der Dudelsackpfeifer

Nachdem es in der jüngeren Rezeption mehr als Familien- und Märchenoper an seiner böhmischen Oberfläche entlang inszeniert wurde, denken wir eher daran, die Schicht von Schreker und Zemlinksy abzugreifen. Das Stück hat in den letzten Jahren eine kleine Renaissance etwa in Berlin, Dresden oder Graz erlebt. Es muss daher nicht mehr unbedingt neu entdeckt werden, sondern ist reif für einen zweiten Interpretationsschritt.

Wie sieht dieser zweite Schritt bei Ihnen aus?
Für mich ist relevant und signifikant, dass das Werk ein Jahr nach Schnitzlers „Traumnovelle“ herauskam. Es gibt spannende motivische Ähnlichkeiten, vor allem die Beziehung des Paares, Schwanda und Dorota, in die plötzlich Babinsky, in tradierter Räubergestalt, dringt. Aber er tritt mehr als eine Wunschprojektion von Dorota oder eine dunkle Spiegelfigur von Schwanda auf. Er stellt das Beziehungsverhältnis der beiden massiv infrage, durch diese Aventuren, auf die er zuerst Dorota im Kleinen und dann Schwanda durch die große Welt mitnimmt.

Sie verschränken in dieser Inszenierung wieder Film und Bühnengeschehen. Wie stark sehen Sie das Ganze auch sexuell konnotiert?
Total. Das ganze Stück ist voller Freud’scher Fehlleistungen.

Es gibt relativ explizite Szenen, die wir größtenteils mit Komparsen vorgedreht haben. Es gibt ein kurzes Live-Video und sehr ausführliche, im Vorfeld mit Vera-Lotte Boecker, Pavol Bresslik und Andrè Schuen gefilmte Szenen.

Erinnerungen an Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ (Bild: Matthias Baus)
Erinnerungen an Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“
Schwanda und seine Frau Dorata (Bild: Matthias Baus)
Schwanda und seine Frau Dorata

Dorata scheint im Libretto ein wenig eindimensional belichtet. Wie zeigen Sie diesen Charakter?
Ich versuche die Figur der Dorota sehr konkret zu nehmen. Sie versucht, mit Schwanda eine moderne Beziehung zu führen, denn sie merkt, dass e
in über die eheliche Monogamie hinausgehendes Begehren bei Mann und Frau selbst in den liberalsten Beziehungskonzepten nicht ganz einzudämmen ist. Das ist, was ich mit der Traumnovelle meine. Die beschreibt ein zu seiner Zeit höchst progressiver Paar, wo die Frau ihre sexuellen Traumvorstellungen zwar nicht auslebt, aber mit dem Mann teilt. Das führt zu dieser Verwirrung einer Nacht. Das ist hier ähnlich.

Hollywood wird zitiert
Ich zitiere an einer Stelle auch den Film „Eyes Wide Shut“. Stanley Kubricks filmische Überschreibung der Novelle ist als Zwischenschritt mitzudenken, weil die Traumnovelle an sich keinerlei Bildinformationen für das Publikum bietet. Aber es gibt Bilder, die man mit „Eyes Wide Shut“ verbindet - und dann ist die Linie klar.

Wie bringt Weinberger den Dudelsack von Schwanda ins Spiel?
Paradox ist auch, dass der Dudelsack kein einziges Mal spielt. Es ist nichts für Dudelsack komponiert. Doch was noch mysteriöser ist: Wenn Dudelmusik erklingen sollte, macht es sich Weinberger - ob bewusst oder unbewusst - gar nicht zur Aufgabe, gewisse Eigenarten, wie das Leiernde, zumindest fürs Orchester zu komponieren. Wir hören stattdessen einmal eine Polka, einmal einen tschechischen Tanz. Und dann wird es völlig absurd - eine Fuge, die für einen Dudelsack per se gar nicht spielbar ist.

Szene aus Schwanda, der Dudelsackpfeifer (Bild: Matthias Baus)
Szene aus Schwanda, der Dudelsackpfeifer

Eine Fuge statt Dudelsack
Man hört aber eine Orchesterfuge im Stile Max Regers, der Wienbergers Lehrer war, anstelle eines Dudelsackimitats. Das ist aberwitzig, weil der Dudelsack damit eine Art „Red Hering“ wie bei Hitchcock wird. Also zu etwas, das ständig aufgerufen und angekündigt, aber letztgültig vom Stück nie eingelöst wird. Diese nicht Einlösung des permanent aufgerufenen Erlösungsmittels finde ich hochinteressant. Insofern ist der Dudelsack wohl die größte Fehlleistung in diesem Stück.

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