Jedes dritte Kind in Bulgarien ist armutsgefährdet. Das Land bildet damit das Schlusslicht der EU. Politische Instabilität, Vorurteile und Desinformation bremsen Fortschritte im bulgarischen Sozialsystem. Die 25-jährige Biljana etwa hat fünf Kinder, wohnt mit ihnen in einem undichten Lkw-Container. Sie bekommt vom Staat pro Monat 200 Euro.
Es sind vor allem Roma, die von Armut betroffen sind. 46,5 Prozent der armen Kinder in Bulgarien gehören laut UNO-Kinderhilfswerk UNICEF der Minderheit an, obwohl Roma keine zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Ein großer Teil lebt in Zuständen, die manche in der EU nicht für möglich halten würden: in Baracken ohne Anschluss an Fließwasser, Strom, Kanal oder Müllabfuhr.
Kreislauf des Elends
Kinder, die in großer Armut aufwachsen, haben ohne Hilfe wenig Chance, den Kreislauf des Elends zu durchbrechen. Von 47 Roma-Schulkindern, die sie betreuen, könnten es vielleicht 15 schaffen, sagt Jordanka Iwanowa, die Leiterin des Concordia-Tageszentrums „Malki Iskar“ in einem kleinen Dorf etwa 55 Kilometer von Sofia entfernt. Iwanowa zählt die Roma-Familie von Biljana zu den Hoffnungsträgern.
Die 25-jährige Biljana hat fünf Kinder. Drei davon besuchen täglich nach der Schule das Zentrum, das Kindern und Müttern pädagogische, gesundheitliche, psychologische, soziale Unterstützung sowie Essen und Duschen anbietet.
WC und Dusche gibt es nicht
Biljana wohnt mit ihrem Mann, einem Forstarbeiter, und den fünf Kindern in einer abgelegenen Siedlung. Die siebenköpfige Familie haust in einem undichten, kaum mehr als zehn Quadratmeter großen früheren Lkw-Container, und schläft in nur drei Betten. Über WC oder Dusche verfügen sie nicht. Wasser müssen sie von der einzigen Wasserstelle der Siedlung holen.
Wenn es regnet, versinkt der Weg im Schlamm
Der Kühlschrank und die SAT-Schüssel funktionieren mit Strom, den sie sich von einer Leitung abgezweigt haben. Vor den löchrigen Baracken quillt der Müll. Wenn es regnet, versinkt der Weg im Schlamm. Drei von Biljanas Kindern besuchen trotz dieser Umstände jeden Tag die Schule. „Ja, sie gehen gerne und fehlen nie“, erzählt die junge Mutter stolz.
Für fünf Kinder 200 Euro pro Monat vom Staat
Trotz Schulpflicht bis zum 16. Lebensjahr gibt es in Bulgarien jedoch Kinder, die nicht zur Schule gehen. Wie viele es sind, ist nicht bekannt. Bis zur siebenten Schulstufe seien Schulbücher und öffentlicher Verkehr zwar gratis, aber danach zu bezahlen - für kinderreiche Familien wie Biljanas, die nur rund 200 Euro pro Monat an staatlicher Unterstützung bekommen, unerschwinglich.
Bogy zum Beispiel ist erst spät ins Schulsystem eingestiegen. „Meine Eltern ließen mich nicht in die Schule gehen.“ Bogy berichtet, dass „etwas Schlimmes“ passiert sei, sodass sie und ihre zwei Schwestern von zu Hause davonliefen. Sie suchten Hilfe und fanden sie nach eigenen Angaben im Tageszentrum. Mittlerweile lernt sie in einer WG mit ihren Schwestern im Selbststudium - auch wenn das sehr „schwierig“ sei, wie sie zugibt.
Instabilität zeichnet die Politik Bulgariens aus, wo in den vergangenen zwei Jahren bereits fünf Parlamentswahlen stattfanden. Nach den Kommunalwahlen vom Oktober gibt es nun viele neue Bürgermeister. Hätte die sozialistische Bürgermeisterkandidatin für Sofia, Wanja Grigorowa, gewonnen, hätte das auch Auswirkungen auf die Sozialarbeit gehabt. Grigorowa, die selbst in der Roma-Siedlung Christo Botew geboren und aufgewachsen ist, hatte im Wahlkampf gegen „schmutzige NGOs“ gewettert. Grigorowa wollte Hilfsorganisationen auflösen und die Aufgaben den Gemeinden übertragen.
Propaganda- und Desinformationskampagnen
Vorurteile gegenüber dem Schulsystem und Hilfsorganisationen sind teils auch das Resultat von Propaganda- und Desinformationskampagnen, erklärt Georgi Bogdanow. Der Vorsitzende des Nationalen Kindernetzwerks verdächtigt Akteure aus Russland und ultrakonservativen US-amerikanischen Kreisen, Lügen zu verbreiten. Hilfsorganisationen wurden von diesen Kreisen beschuldigt, Kinder aus den Schulen zu entführen und etwa nach Norwegen zu schicken, wo sie von Homosexuellen adoptiert würden. „Eltern wurden verunsichert und nahmen ihre Kinder aus der Schule“, erzählt er.
In bulgarischen Regierungskreisen blickt man anders auf die Situation. Roma hätten jeden Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge, nutzten diesen nur nicht, hieß es in Sofia. Auch die Existenz von Roma-Schulen wird offiziell verneint. Im Gegenteil: Schulen in Gegenden mit Roma-Mehrheit seien finanziell sogar besser ausgestattet als andere.
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