Foren-Knigge

Gruppenpolarisierung: Diskussion verstärkt Meinung

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20.11.2023 11:29

Im aktuellsten Teil unserer Foren-Knigge widmen wir uns dem Begriff der Gruppenpolarisierung oder Gruppenpolarisation. Dieser beschreibt die Tendenz von Menschen, ihre Meinungen und Ansichten zu extremisieren, nachdem sie in einer Gruppe diskutiert haben. Das trifft ebenso auf Offline-, wie Online-Diskussionen zu und kann sowohl positive, als auch negative Auswirkungen haben. 

Extremisierung der Meinung
Der Begriff Gruppenpolarisation stammt aus der Psychologie und existiert bereits seit 1969. Damals machten die Sozialpsychologen Serge Moscovici und Marisa Zavalloni im Rahmen eines Experiments die Beobachtung, dass die Ansichten von Individuen nach einer Diskussion oft extremer sind als zuvor. Das bedeutet, dass es zu einer Verstärkung von positiven oder negativen Bewertungen zu bestimmten Themen kommt, je nachdem, zu welchen Ansichten man in der Gruppe eher tendiert. Ein Beispiel: Wenn eine Gruppe von Menschen, die alle Fußball gegenüber negativ eingestellt sind, über diesen Sport spricht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die einzelnen Gesprächsteilnehmer:innen nach der Diskussion eine noch größere Abneigung und Verachtung dafür empfinden. 

Entscheidend für dieses Phänomen sind beispielsweise folgende Faktoren:

  • Gruppengröße: Je größer die Gruppe ist, desto stärker ist die Polarisation, da in größeren Gruppen mehr Argumente für die vorherrschende Meinung ausgetauscht werden, die die Gruppenmitglieder überzeugen und bestätigen. Zugleich kann auch der soziale Vergleich mit hineinspielen: So wollen Menschen sich oft positiv von der Gruppe abheben, indem sie extremere Positionen einnehmen.
  • Gruppenzusammensetzung: Je unterschiedlicher die Gruppenmitglieder, desto schwächer ist die Polarisation. Das liegt daran, dass in heterogenen Gruppen eine größere Vielfalt an Perspektiven, Erfahrungen und Argumenten in die Diskussion einfließt. So kommt es eher zu einer kritischen und differenzierten Meinungsbildung. Durch eine größere Zahl an Identifikationsfiguren innerhalb der Gruppe können zudem auch Konflikte und Provokationen abgeschwächt werden. 
  • Kommunikationsstruktur: Hier geht es um die Häufigkeit, die Dauer, die Richtung und die Qualität der Kommunikation. Wird etwa häufig und lange zu einem Thema diskutiert, kann das die Gruppenpolarisierung verstärken. Genauso verstärkend wirkt es sich aus, wenn nur wenige Mitglieder einer Gruppe („Wortführer“) sich am Gespräch beteiligen, da so die Vielfalt der Meinungen nicht gegeben ist. Die Wichtigkeit einer offenen, konstruktiven und respektvollen Diskussionskultur sei an dieser Stelle auch erwähnt und kann die Gruppenpolarisierung abschwächen.
  • Soziale Normen: Das sind die Regeln, die das Verhalten und die Erwartungen der Gruppenmitglieder bestimmen. Darunter fallen solche der Konformität, der Abweichung, der Innovation oder der Kreativität. Beispielsweise kann die Norm der Innovation den Grad der Polarisierung verringern, da originelle, neue Ideen in der Gruppe durch sie eher angenommen werden. 
(Bild: thinkstockphotos.de)

Gruppenpolarisierung im Online-Bereich
Gerade in Online-Foren ist dieser Prozess durch besondere Problemfelder noch verstärkt und gewisse Faktoren spielen eine noch größere Rolle, als es offline der Fall ist. 

  • SelektivitätMan entscheidet sich im Netz oft nur für die Foren, die den persönlichen Interessen, Werten oder Ideologien entsprechen. Dadurch verliert man das Gesamtspektrum aus den Augen. Beiträge, die nicht mit der eigenen Sichtweise übereinstimmen, werden ignoriert oder abgelehnt. In letzter Instanz führt das zu einer starken Homogenität der Gruppe. Die Gruppenmitglieder bestätigen und verstärken sich nur noch gegenseitig.
  • Anonymität: Sie ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es gut, dass wir alle uns durch sie eher trauen, Meinungen frei und offen zu äußern, da wir keine Angst vor sozialen Sanktionen oder Konsequenzen haben müssen. Andererseits bewirkt genau das aber eine Reduktion der sozialen Hemmungen, der Selbstkontrolle und der Verantwortlichkeit. Man fühlt sich dadurch dazu befähigt, extremer, aggressiver und provokanter zu sein, als man es je offline wäre. 
  • Argumentation: Besonders im Netz tun viele alles, um ihre Positionen mit Beweisen, Fakten oder Logik zu untermauern, um andere zu überzeugen oder zu widerlegen. Das resultiert in einer Hervorhebung überzeugender Argumente, die die eigenen Ansichten stützen oder die gegnerischen Ansichten schwächen. Diese müssen dabei nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Zugleich kommt es zu einer Ignoranz gegenüber entgegengesetzten Argumenten, welche die eigenen Ansichten in Frage stellen und dadurch „bedrohen“.
  • Sozialer Vergleich: Als Nutzer oder Nutzerin sozialer Medien, Foren und ähnlichem neigt man dazu, sich mit anderen User:innen zu vergleichen, um die eigene Identität, den Status oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu definieren oder zu verbessern. Man möchte sich von anderen differenzieren und sich überlegen fühlen. Gleichzeitig tut man alles, um innerhalb der eigenen Gruppe Anerkennung und Akzeptanz zu erfahren. 
(Bild: Andreas Graf)

Problematische Lagerbildung
Eines der großen Probleme der Gruppenpolarisierung ist die stärkere Identifikation mit der eigenen Gruppe bei gleichzeitig geringerer Toleranz anderen Gruppen gegenüber. Es kommt zu einer Art Lagerbildung und man neigt dazu, sein Lager auch nicht mehr zu verlassen. Letztendlich kann das zu einer Verzerrung der Wahrnehmung der Realität führen; man akzeptiert nur noch das als wahr und richtig, was man ohnehin schon glaubt. Das bringt uns wieder zu „Confirmation Bias“ und Filterblasen

Weitere negative Auswirkungen sind unter anderem:

  • die Verstärkung von extremen oder radikalen Meinungen: Das geht oft einher mit einer geringeren Bereitschaft zum Kompromiss und zum Dialog. In weiterer Folge kann das die gesellschaftliche Spaltung, Konflikte und Gewalt verschärfen. 
  • die Verzerrung der Wahrnehmung: Man nimmt die Realität nicht mehr richtig wahr, wird dadurch anfälliger für selektive oder falsche Informationen, und ist nicht mehr zur Objektivität oder Kritik fähig. Das erhöht naturgemäß auch die Anfälligkeit für Manipulation oder Propaganda. 

  • die Reduktion der Vielfalt, der Toleranz oder der Empathie: Dadurch verlernt man, andere Meinungen oder Perspektiven anzuerkennen und wertzuschätzen. Auch das verstärkt eine Spaltung und bietet Konfliktpotential. 

Der Gruppenpolarisierung ein Schnippchen schlagen
Diskussionen in kleineren und größeren Gruppen finden immer wieder statt. Die einen diskutieren bei der Familienfeier beim Essen plötzlich über Vegetarismus, die anderen finden sich in Online-Foren zur hitzigen Debatte über die Politik in Österreich zusammen. Solange man gegenteilige Meinungen zulassen und auf einer sachlichen Ebene und konstruktiv bleiben kann, ist dagegen nichts zu sagen, im Gegenteil. Kritisch wird es eben dann, wenn nur noch die eigene Ansicht zählt und man sich auf diese so versteift, dass man völlig den Fokus für andere Sichtweisen und womöglich sogar die Fakten verliert. Halten Sie sich bei der nächsten Gruppendiskussion unseren nachfolgenden kleinen Leitfaden vor Augen, dann sind Sie dafür gut gerüstet!

  • Suchen Sie bewusst auch Foren auf, die Ihre Meinungen herausfordern oder erweitern könnten. So bleiben Sie nicht in Ihrer eigenen „Blase“ gefangen, sondern können verschiedene Sichtweisen kennenlernen.
  • Seien Sie selbstkritisch und offen, wenn Sie mit Ihren Mitmenschen diskutieren. Haben Sie auch die Größe, sich Fehler einzugestehen und Ihre Ansichten zu ändern, wenn Sie erkennen, dass Sie auf dem Holzweg sind.
  • Verhalten Sie sich respektvoll und konstruktiv, wenn Sie mit anderen interagieren. Vermeiden Sie auf jeden Fall persönliche Angriffe oder Hassreden, und anerkennen und wertschätzen Sie die Gefühle und die Meinung Ihres Gegenübers, auch wenn Sie vielleicht nicht viel mit ihr anfangen können. 
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