Operation gelungen - Patient bleibt tot. Fürs Theater an der Wien vollbringt Regisseur Tobias Kratzer mit einem wirklich exzellenten Singschauspieler-Trio ein kleines Wunder: Jaromír Weinbergers für ein heutiges Publikum längst verlorene „Volksoper“ „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ als neue Geschichte ins Jetzt zu holen.
Liebe geht durch den Magen - oder so ähnlich. Zumindest wenn es nach Jaromìr Weinberger und Kafka-Mentor Max Brod geht. Letzterer hat eine durchaus freie, aber ungenießbar gewordene deutsche Libretto-Fassung des tschechischen Originals, einem märchenhaften Volksstück, erstellt, die auch jetzt im Museumquartier gespielt wird.
Bevor sich dort das junge Ehepaar Schwanda und Dorata nach wilden Turbulenzen endlich in die Arme fallen, wird von ihnen und dem Chor die herzhaft romantische Zeile „Auf unserem Hof daheim, hört man die Gänse schreien“ gejubelt. Dieser mehrmals geträllerte Schlüsselsatz (?) ist bei weitem nicht der einzige sprachliche Powidl, den man schlucken muss. Weinberger hat dazu einen schillernden, gerne eklektischen Mischmasch aus Schreker, Zemlinsky, Humperdincks „Hänsel und Gretel“-Finale, Fugen à la Max Reger, der Weinbergers Lehrer war, aus Operettenschwüle, Schlagergedöns wie „Ein Freund, ein guter Freund!“ oder Filmmusikgewölk komponiert.
Als heitere Sauce ist jede Menge böhmisches Volksmusik-Tralala darüber gegossen. Wenn Räuber und Verführer Babinsky Dorata den Hof macht, passen daher seine Worte „Dein Heimatlied mir durch die Seele zieht!“ wie der Deckel auf den Topf. Wobei sich ein Martiniganserl mit Knödel und Rotkraut gegen all das wie ein Diätessen anfühlt.
Trotzdem schaffen es Petr Popelka und die Wiener Symphoniker beeindruckend und in möglichst vielen Schattierungen hinreißend zu musizieren, was kaum zu retten ist. Auch Regisseur Tobias Kratzer hat sich sein eigenes Rezept gebraut. Sehr klug, gut aufgehend wie eine böhmische Buchtel, und wohl die einzige Strategie, diesen Musiktheatertopfen irgendwie locker und halbwegs genießbar zu bekommen. Er tritt die Flucht in den Traum an. Besser in Schnitzler „Traumnovelle“ samt Stanley Kubricks Verfilmung „Eyes Wide Shut“. Blendend spielt er seine drei Hauptdarsteller als Trümpfe aus.
Schwanda und Dorata werden intensiv vom mit elegantem Bariton trumpfenden Andrè Schuen und der mit kräftig strahlendem Sopran erfreuenden Vera-Lotte Boecker gesungen und gespielt. Sie sind das junge Ehepaar, das mit seinen nicht ausgelebten erotischen Fantasien durch eine wilde Nacht gejagt wird, in der sich Traum, Wunsch und Realität vermischen. Der Räuber Babinsky, den Pavol Breslik mit herzhaftem, höhenstarkem Tenor als sympathischen Verführer gibt, vergnügt sich schon zu Ouvertüre mit Dorata im Bett. Ebenso am Ende. Bis der sexuell erweckte Schwanda, der bis dahin das Spielen mit seinem Dudelsack verweigerte, zurückkommt und sein Instrument endlich startklar macht. Babinsky hat als erotische Projektion Doratas ausgedient und kann gehen.
Dazwischen muss Schwanda wilde Abenteuer bei einer Kutten-Party nach Kubrick, auf Taxifahrt und am Würstelstand in gut gemachten Videoclips, sowie im Swingerclub-Keller überstehen. Die übrigen Protagonisten sind Typen gerecht besetzt, der Arnold Schoenberg Chor absolviert seine Auftritte auf gewohnter Höhe. Warum so viel perfekte Zutaten für ein so absonderliches Opern-Gericht vermanscht werden, bleibt das Rätsel der seltsamen Traumsause. Vielleicht kann man den Musiktheater an der Wien-Programm-Köchen einen Kochkurs spendieren?
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