ORF und „Krone“ verfügen über geheime Tonbandaufzeichnungen, die für ein gewaltiges Politbeben im Land sorgen. Der einst mächtigste Justizbeamte, Christian Pilnacek, rechnet darin wenige Monate vor seinem Tod mit der ÖVP ab.
Es ist der 28. Juli 2023. In einem Nobellokal in der Wiener Innenstadt sitzt Christian Pilnacek mit guten Bekannten. Man redet über Politik. Über die ÖVP, zu der der einst mächtigste Justizbeamte der Republik ein Naheverhältnis gehabt haben soll. Was der wegen Chats Suspendierte jedoch an diesem Abend sagt, klingt, als habe der 60-Jährige mit der Partei gebrochen.
Das Gespräch des am 20. Oktober offiziell durch Suizid Verstorbenen wurde heimlich aufgezeichnet - über Umwege landeten Inhalte beim ORF, der „Krone“ und anderen Medien. Die Methodik ist abzulehnen. Die Inhalte jedoch bergen Zündstoff. Und werden umso relevanter seit Samstag, als die Witwe bei der Seelenmesse meinte, die Politik habe ihn umgebracht.
Pilnacek: „Das kann ich nicht, das mach’ ich nicht“
Pilnaceks Aussagen sind authentisch und geprüft. Es geht um mutmaßliche Versuche der Einflussnahme auf Verfahren durch Wichtige der ÖVP. Die habe verlangt, Ermittlungen einzustellen. „Das kann ich nicht, mach’ ich nicht“, sagt Pilnacek. Selbst als eine Hausdurchsuchung bei der ÖVP schon stattgefunden hatte, sei man zu ihm gekommen und habe gefragt, „warum drehe ich das nicht ab?“.
„Müssen froh sein, wenn ich nicht Dinge sage“
Er nennt unter anderem Wolfgang Sobotka, früher Innenminister, heute Nationalratspräsident. „In jedem Gespräch sagt Sobotka, ,du hast selber versagt, du hast es nie abgedreht’. Das geht nicht. Man lebt in einem Rechtsstaat.“ Er habe kein einziges Verfahren beeinflusst. „Die ÖVP hat mir das zum persönlichen Vorwurf gemacht und gesagt ,du lässt deine Staatsanwälte gegen uns arbeiten’.“
Er bringt eine Episode. Beim Telekomverfahren musste sich demnach Justizministerin Beatrix Karl im Parteivorstand rechtfertigen, erinnert sich der Topjurist. „Davor ist sie eine Stunde bei mir gesessen und ich habe ihr erklärt, ich kann nichts tun. Ist alles rechtswidrig.“ Sie sei dann angegriffen worden vom Vorstand und habe ihre Ämter verloren. Karl wollte eine illegale Aufnahme eines Toten nicht kommentieren.
ÖVP: „Du warst ja nie bei uns“
Pilnacek sagte Ende Juli, er lehne die ÖVP nur noch ab. „Als ich sagte, tut ihr auch was für meine Unterstützung? Dann kam als Antwort: Du warst ja nie bei uns. Das Zweite ist, dass sie gesagt haben, du hast ja nie verhindert, dass eine Hausdurchsuchung bei uns stattfindet.“ Nachsatz: „Die müssen froh sein, wenn ich nicht irgendwelche Dinge sage.“
Hier ergibt sich ein Widerspruch. Warum fragt er, ob die ÖVP auch etwas für ihn tun könne? Das impliziert, dass er vorher etwas für die Partei getan haben muss. Ex-Kanzler Sebastian Kurz holte sich am 19. Oktober juristischen Rat von Pilnacek für seinen Auftritt als Beschuldigter vor Gericht tags darauf. Am Tag, als Pilnacek tot aufgefunden wurde.
ÖVP-Generalsekretär: „Andenken an einen Toten wird missbraucht“
Die ÖVP kontert: „Nun wird das Andenken an einen Toten missbraucht und instrumentalisiert. Ich bin sprachlos, dass hier SPÖ und FPÖ die Skandalisierung vorantreiben“, so Generalsekretär Christian Stocker. Sobotka lässt Ähnliches verlauten. Er habe nie mit Pilnacek zu Verfahren, Ermittlungen etc. gesprochen. Man verweist auf Aussagen Pilnaceks vor dem U-Ausschuss. Unter Wahrheitspflicht habe er gesagt, dass es keinerlei Beeinflussungen gegeben habe.
Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden oder von Suizidgedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge unter der Telefonnummer 142. Weitere Krisentelefone und Notrufnummern finden Sie HIER.
Schon der Anfang vom Ende seiner Karriere wurde durch eine illegale Tonbandaufnahme besiegelt. Jetzt, wo er tot ist, holt ihn nochmals eine Aufnahme ein. Damals, im Jahr 2019, war Christian Pilnacek Generalsekretär im Justizministerium, als ihn die WKStA bei einer Dienstbesprechung zum Eurofighter-Verfahren aufnahm. Pilnaceks Formulierung „daschlogts es“ wurde ihm zum Verhängnis. Das Image, dass Pilnacek im Auftrag der ÖVP Verfahren „daschlogn“ würde, klebte seither an ihm. Ob der einst mächtige Sektionschef Verfahren daschlogn hat oder nicht, beantwortet er im Sommer 2023 unfreiwillig.
Zum zweiten Mal wird er illegal aufgenommen. Hörbar alkoholisiert spricht er nach 2,5 Jahren Suspendierung in einem Stadtlokal, in dem viele FPÖ-nahe Ex-Politiker zu Gast sind, dass er von der ÖVP fallen gelassen wurde.
Wenige Tage nach Pilnaceks Ableben landet das Tonband in der „Krone“-Redaktion. Wir entschließen uns, das Tonband erst nach eingehender Prüfung zu veröffentlichen. Es wirkt wie ein Lauschangriff auf einen Toten, den man mit dem Inhalt nicht mehr konfrontieren kann.
Der „Falter“ prescht vor, obwohl ihm nur ein Transkript vorliegt. „Krone“ und ORF hielten sich an die Sorgfaltspflicht und zogen nach. Es ist eine Aufnahme, die zeigt, wie tief das Niveau in der Politik gesunken ist. Ein Vorbote auf einen schmutzigen Wahlkampf 2024, wo es keine Grenzen des Anstands mehr gibt und wo Fairness zum Fremdwort werden wird.
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