Kriegsgerät Ende nie
Ukraine will „Waffenlager der freien Welt“ werden
Der ukrainische Industrieminister Oleksander Kamyschin hat einen großen Auftrag: Er soll die Rüstungsindustrie des kriegsgebeutelten Landes wiederbeleben. Erst einmal auf den Geschmack gekommen, möchte er allem Anschein nach die Waffenproduktion nie mehr stoppen - auch nicht nach dem Krieg …
Seit 641 Tagen führt der Kreml den brutalen Angriffskrieg gegen das Nachbarland und frühere Brudervolk. Es ist mitunter ein Kampf der Systeme. Kiew strebt ein Plätzchen in der freien Welt an, während Moskau dem Land seine heutige diktatorische Staatsform aufzwingen will, wo jede kritische Stimme bestraft und auf Menschenrechte gepfiffen wird.
Industrieminister Kamyschin hat unterdessen große Träume. Da nun die Waffenproduktion des Landes in Schwung komme, solle sie in Zukunft ein ganzes „Arsenal der freien Welt“ schaffen und Waffen für den Export herstellen, berichtet die britische Tageszeitung „The Guardian“.
„In den nächsten Jahrzehnten sollte die Verteidigung der wichtigste Wirtschaftszweig der Ukraine sein“, kündigte der Politiker in einem Interview in seinem Büro im Kiewer Stadtzentrum an. „Nach dem Krieg sollte dies unser wichtigstes Exportprodukt werden“, empfiehlt er eindringlich.
Nicht als Dampfplauderer bekannt
Kamyschin hat in seiner Laufbahn bereits unter Beweis gestellt, dass er sehr große und ehrgeizige Projekte umsetzen kann. Als früherer Eisenbahnchef hatte er etwa eingefädelt, dass sein Team in den ersten Kriegstagen Millionen Flüchtlinge an die Westgrenzen beförderte.
Seit März ist er nun als Industrieminister im Amt. Seine Aufgabe ist es seither, gemeinsam mit der Armee, dem Verteidigungsministerium sowie mit 70 staatlichen Verteidigungsunternehmen der Ukraine sicherzustellen, dass die Armee mit allem Notwendigen ausgestattet ist. Es gab mitunter Beschwerden von verzweifelten Generälen, dass sie trotz der westlichen Waffenlieferungen mit einem chronischen Mangel an Waffen und Munition kämpfen würden. Ein absolutes No-Go beim Zurückdrängen der Russen, die jedoch bekanntlich selbst äußerst schlecht versorgt sind.
Zweig mit schlechtem Ruf
Vor Moskaus brutalem Überfall sei die Rüstungsindustrie in der Ukraine ein sehr intransparenter Sektor gewesen sein. Skandale und zweifelhafte Geschäfte rückten ihn demnach in ein besonders schlechtes Licht. Selbst die Einverleibung der Krim durch Russland und die schwierige Lage im Donbass hätten zu keinen großen Waffenvorräten geführt. Die Wende sei erst mit der Invasion gekommen.
Mit Kamyschin soll nun alles anders werden. Einerseits soll dieser Bereich auf staatlicher Ebene wiederbelebt werden. Andererseits sollen die zahlreichen kleinen Privatunternehmen gut koordiniert werden. In der Ukraine haben sich mittlerweile viele Firmen auf Waffen eingeschworen. Dies reiche von großen Unternehmen bis zu ganz kleinen, wo ein paar Leute etwas in einer Hütte basteln. Mehr als 200 Unternehmen stellen laut dem Minister mittlerweile Drohnen her, viele weitere hätten vielsagende Ideen parat.
Wir haben uns als Kornkammer Europas einen Namen gemacht, nun wollen wir auf das „Waffenlager der freien Welt“ ummodeln.
Oleksander Kamyschin
Auf lange Sicht möchte Kiew westliche Unternehmen dazu bewegen, in der Ukraine zu produzieren. Große Hoffnungen liegen auf dem für Anfang Dezember anberaumten Rüstungsgipfel in der US-Hauptstadt Washington. Dort sollen hochrangige ukrainische Staatsdiener und ukrainische Firmen auf westliche Regierungsvertreter sowie weltweit führende Waffenhersteller treffen. In dem Format könne die Ukraine zeigen, wie kreativ die Bürger des Landes seien. „Wir nehmen sowjetische Raketen und setzen sie auf westliche Trägerraketen“, untermauerte Kamyschin sichtlich stolz.
Von der Kornkammer zum Waffenlager
Die Ukraine habe auch den Vorteil, dass dort die Waffen unmittelbar getestet werden könnten. Denn die herrschenden realen Kampfbedingungen seien bei weitem aussagekräftiger als die üblichen experimentellen Tests. Allerdings sei die gesamte Produktion des Landes, so Kamyschin weiter, bis zur Beendigung des Krieges für den Bedarf der ukrainischen Armee vorgesehen. Danach seien aber Massenproduktion und Export möglich. Das würde gleichzeitig Russland in Bedrängnis bringen, bei dem viele traditionelle Exportmärkte flöten gehen würden.
In den kommenden Jahrzehnten sollten Waffenexporte gar zur Visitenkarte der Ukraine werden, stellte Kamyschin mit Begeisterung in Aussicht. „Wir haben uns als Kornkammer Europas einen Namen gemacht, nun wollen wir auf das ‚Waffenlager der freien Welt‘ ummodeln.“
Für viele mag die Zukunftsaussicht, dass ein Land Waffen für die ganze Welt produziert, vielleicht deprimierend klingen. Kamyschin kann dem nicht beipflichten: „Das sagt meine Frau auch zu mir. Aber ich sage ihr dann, dass dies die Waffen sind, die uns beschützen.“
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