Es ist wieder Zeit für einen neuen Beitrag aus unserer Reihe „Foren-Knigge“. Diesmal möchten wir uns den Begriff des Postfaktischen, auch „Post-truth“ genannt, genauer ansehen. Kurz gesagt geht es dabei um eine problematische Entwicklung in unserer Gesellschaft; nämlich darum, dass in Diskursen die Gefühle dominieren und Fakten in den Hintergrund rücken. Die Ära Trump prägte den Begriff und er ist bedeutungsvoller denn je.
Das Zeitalter des Postfaktischen
Die Herkunft des Begriffs lässt sich auf das englische Adjektiv “post-truth” zurückführen, das von Ralph Keyes in seinem bereits 2004 erschienenen Buch “The Post-Truth Era” geprägt wurde. Im deutschen Sprachraum rückte der Begriff erst 2016 mehr und mehr in die Öffentlichkeit und wurde im selben Jahr dann zum Wort des Jahres gekürt.
Denken wir also zurück an das Jahr 2016: Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA war in vollem Gange und der republikanische Kandidat Donald Trump machte mit zahlreichen fragwürdigen Aussagen auf sich aufmerksam. Unter anderem behauptete er, es gebe keinen Klimawandel. Schon 2012 hatte er das auf X verlautbart - sein Posting dazu ist immer noch online. Später konnte er sich an diese, sowie andere faktisch falsche Aussagen von ihm nicht mehr erinnern oder schwächte sie ab. Man konnte ihm diese zwar nachweisen, doch seiner Wählerschaft war das egal. Sie wählten ihn trotz all seiner bewiesen Lügen zum Präsidenten, mit sämtlichen darauffolgenden Konsequenzen.
Ganz ähnlich verhielt es sich beim Thema Brexit: Man versprach den Menschen weniger Ausländer und weitere Vorteile für die Bevölkerung und die Wirtschaft, obwohl die Fakten klar dagegensprachen und viele kritische Stimmen laut wurden. Aus der Retrospektive betrachtet trafen die Warnungen von Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet durchaus zu. 2021, nach dem offiziellen Austritt Großbritanniens aus der EU, traten in verschiedensten Bereichen Engpässe auf, beispielsweise bei Sprit, Lebensmitteln und Arbeitskräften. Es herrscht Fachkräftemangel und da es für Unternehmen nun schwieriger und teurer ist, ins Vereinigte Königreich zu exportieren, leidet die Wirtschaft zusätzlich. Und obwohl viele Befürworter der Meinung sind, dass es mit dem Brexit nicht gut laufe, würden nur wenige davon anders abstimmen als damals. Das ist ein sehr gutes Beispiel für das Postfaktische, denn auch hier wird die Realität nicht anerkannt und man beharrt auf seinen Ansichten, selbst zum eigenen Nachteil.
Dabei müssen wir gar nicht so sehr in die Ferne schweifen: Mit der AfD im Nachbarland ist es dasselbe. Die rechtspopulistische Partei bekommt viele Stimmen aus der Mittel- und Unterschicht, deren Interessen sie allerdings gar nicht unbedingt vertritt.
Irrationale Entscheidungen aus dem Bauch heraus
Diese Beispiele machen vor allem eines deutlich: Fakten kommt im postfaktischen Zeitalter keine so große Bedeutung zu, wie etwa dem Gefühl, gemeinsam gegen etwas zu sein. Infolgedessen treffen Menschen irrationale Entscheidungen. Entscheidungen, die aus dem Bauch heraus gefällt werden, aus persönlichen Überzeugungen entgegen besseren Wissens oder aus Protest.
Die gefühlte Wahrheit
Das bedeutet: Es gibt eine gefühlte Wahrheit, die Menschen stärker beeinflusst als die tatsächliche Realität. Dass dies einige Gefahren birgt, liegt auf der Hand. Wie man erkennen kann, ist das besonders in der Politik ein großes Problem. Hier können die Auswirkungen davon, dass man versucht, aus Lügen und Verdrehungen eine eigene Realität zu erschaffen, ganze Länder in den Abgrund reißen. Denn wir wissen mittlerweile: Wenn eine falsche Behauptung nur oft und laut genug in der Öffentlichkeit wiederholt wird, entsteht der Eindruck, dass an ihr etwas Wahres dran sein müsse. Das können sich nicht nur Personen aus der Politik zunutze machen, sondern alle, die einen Diskurs in eine falsche Richtung lenken wollen. Gerade das Internet ist voll mit gefühlten Tatsachen, die einem als Wahrheit verkauft und leider nur selten vom jeweiligen Publikum überprüft werden. Soziale Medien können dafür als ein bedeutsamer Katalysator wirken.
Bedeutung für den Medien-Diskurs
Das Postfaktische hat den Diskurs in den Medien maßgeblich beeinflusst. Die Realität wird oft ignoriert und Fakten werden als zweitranging betrachtet, solange die Gefühle der Menschen zählen und man mit diesen spielen kann, um sie in eine bestimmte Richtung zu lenken. Daher setzen auch Medieninhalte zunehmend auf Emotionalisierung. Eine sachliche Berichterstattung rückt dadurch in den Hintergrund und Verschwörungsmythen und Fake News wird ein Nährboden geboten. Seriöse Medien werden dadurch herausgefordert, da sie mit einseitigen und falschen Informationen aus den sozialen Medien konkurrieren müssen. Ein weiteres Problem dabei ist, dass Richtigstellungen von solchen Falschnachrichten häufig ein weitaus kleineres Publikum erreichen und in weiterer Folge auch weniger Resonanz erzielen.
Geeignete Gegenmaßnahmen
Wir müssen das aber keinesfalls einfach so hinnehmen. Der erste Schritt ist dabei, dieses Phänomen zu kennen und auch zu erkennen. Dann können wir auch entsprechend reagieren:
Stärkung des Faktenbezugs: Medien, aber auch deren Nutzerinnen und Nutzer sollten sich auf belegbare Fakten konzentrieren und diese klar kommunizieren. Lassen Sie sich daher nicht auf Spekulationen und ähnliches ein, sondern bleiben Sie bei dem, was Sie belegen können.
Bekämpfung von Desinformation: Nicht nur können Medien spezielle Teams oder Technologien gegen Fake News und Desinformation einsetzen, auch Ihre Initiative ist gefragt! Zeigen Sie klare Kante gegen Fake News und Co. und widerlegen Sie diese mit überprüfbaren und glaubwürdigen Quellen.
Wenn Sie diese Punkte beachten, können auch Sie dazu beitragen, den Einfluss des Postfaktischen zu verringern und einen sachlichen, faktenbasierten Diskurs in sozialen Medien und Foren zu fördern.
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