Zögern wegen Geiseln?

Israel bereitet Flutung der Hamas-Tunnel vor

Ausland
05.12.2023 07:14

Israel erwägt offenbar, das von der Hamas genutzte Tunnelsystem im Gazastreifen zu fluten. Einem Medienbericht zufolge wurde ein großes Pumpsystem installiert, mit dem Meerwasser in die Tunnel geleitet und die Terroristen vertrieben werden sollen. Die Pumpen sind schon länger betriebsbereit, kamen aber noch nicht zum Einsatz - möglicherweise, weil sich noch Geiseln in den Tunneln befinden.

Mitte November hätten die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) die Installation von mindestens fünf Pumpen etwa eineinhalb Kilometer nördlich des Flüchtlingslagers Al-Schati abgeschlossen, berichtet das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf US-Beamte. Mit Tausenden Kubikmetern Wasser pro Stunde könne das unterirdische Netzwerk innerhalb weniger Wochen geflutet werden.

Einsatz vor Geiselfreilassung?
Unklar blieb in dem Bericht, ob Israel den Einsatz der Pumpen erwägt, bevor alle Geiseln freigelassen sind. Es sei noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden, ob die Flutung wirklich durchgeführt werden soll, hieß es. Ein IDF-Vertreter wollte den Plan nicht kommentieren, er sagte lediglich, dass man daran arbeite, „die Terrorkapazitäten der Hamas auf verschiedene Weise und mit verschiedenen militärischen und technologischen Mitteln zu zerstören.“

Israelische Soldaten haben weitverzweigte Tunnel unter dem Gazastreifen entdeckt. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Israelische Soldaten haben weitverzweigte Tunnel unter dem Gazastreifen entdeckt.

Eine solche Taktik birgt jedenfalls Risiken: Zwar wäre Israel in der Lage, die seit Jahren für terroristische Zwecke genutzten Tunnel zu zerstören und die Hamas aus ihren unterirdischen Verstecken zu vertreiben. Allerdings würde die Flutung mit Meerwasser die Wasserversorgung des Gazastreifens bedrohen. Israels Armee hat nach eigenen Angaben seit Beginn des Kriegs mehr als 800 Tunnelschächte gefunden - auch unter dem größten Krankenhaus im Gazastreifen. Rund 500 davon und damit viele Kilometer der unterirdischen Routen seien bereits zerstört worden, hieß es am Sonntag.

Israel hat Geheimdienstinformationen zu Verbleib der Geiseln
Nach Angaben der Hamas befinden sich in den Tunneln noch Geiseln, die beim Terrorangriff am 7. Oktober entführt worden waren. Das könnte auch ein Grund sein, warum Israel mit der Flutung der Hamas-Verstecke noch zögert. Die Armee hat nachrichtendienstliche Hinweise zum Verbleib der noch im Gazastreifen befindlichen Geiseln, wie IDF-Sprecher Jonathan Conricus bestätigte, ohne nähere Angaben zu machen. Israel geht davon aus, dass noch 137 Geiseln festgehalten werden. Unter ihnen sind laut Verteidigungsminister Yoav Gallant 15 Frauen und zwei Kinder.

Vergangene Woche wurden während einer Feuerpause 105 Geiseln im Austausch gegen 240 palästinensische Gefängnisinsassen freigelassen. Die Hamas will nach eigenen Angaben Verhandlungen über die Freilassung weiterer Geiseln erst nach Ende des Kriegs fortsetzen. Man wolle alle Geiseln zurückholen, sagte der israelische Armeesprecher Conricus in der Nacht auf Dienstag. Falls dies nicht durch Verhandlungen möglich sei, werde man andere Mittel anwenden.

Vorstoß auf Khan Younis
Israels Armee stößt unterdessen im Süden des Gazastreifens weiter vor und hat Medienberichten zufolge Ziele im Raum Khan Younis unter Beschuss genommen. Die „Times of Israel“ zitierte in der Nacht zum Dienstag palästinensische Berichte, wonach es intensive Angriffe in der größten Stadt des südlichen Teils des abgeriegelten Küstengebiets gebe. Zuvor seien israelischer Panzer dorthin vorgestoßen. Augenzeugen berichteten auch von gepanzerten Mannschaftstransportern und Planierraupen.

Nach der Ausweitung des israelischen Militäreinsatzes gegen die islamistische Hamas wächst angesichts des Leids der Zivilbevölkerung die Kritik am Vorgehen der Armee. Hilfsorganisationen sprechen im Süden von „Horror“ und „unerträglichem Leid“. Keiner fühle sich sicher, wenn alle zehn Minuten Bomben fallen würden, sagte der Sprecher des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, James Elder, der BBC.

Israelische Panzer fahren an der Grenze zum Gazastreifen auf. (Bild: APA/AFP/Menahem Kahana)
Israelische Panzer fahren an der Grenze zum Gazastreifen auf.
Ein Satellitenbild von Sonntag zeigt israelische Militärfahrzeuge nördlich von Khan Younis. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Ein Satellitenbild von Sonntag zeigt israelische Militärfahrzeuge nördlich von Khan Younis.

NGO schlägt Alarm
Zwei Krankenhäuser im Süden können nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen den Zustrom von Patienten kaum mehr bewältigen. Vor allem das Al-Aksa-Krankenhaus sowie das Nasser-Krankenhaus seien betroffen, teilte die Organisation am Montag mit. Israel wirft der Hamas vor, Angriffe aus Wohngebieten und Krankenhäusern zu verüben und Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Armeesprecher Conricus dementierte unterdessen einen erneuten Totalausfall der Telekommunikationsdienste in dem Küstenstreifen. Er selbst habe Live-Übertragungen palästinensischer Propaganda-Leute auf TikTok gesehen, sagte er dem US-Sender CNN. Die Netzwerke seien vielleicht nicht perfekt, aber einen vom palästinensischen Unternehmen Paltel zuvor gemeldeten Blackout in Gaza gebe es nicht, sagte der Armeesprecher.

Palästinenser flüchten aus Khan Younis. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Palästinenser flüchten aus Khan Younis.

Armee informiert über Kampfzonen
Die israelische Armee hat eine Evakuierungskarte aktiviert, die den Gazastreifen in Hunderte kleiner Zonen unterteilt, um die Zivilisten über Kampfzonen zu informieren. Kritiker beklagen jedoch, dass die Menschen vielfach weder Strom noch Internet hätten, um sich die Karte anzusehen. Viele wüssten auch nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten. Im Süden Gazas drängen sich Hunderttausende Palästinenser, die auf Israels Anweisung aus dem Norden des Gebiets dorthin geflohen waren.

Bei Israels Angriffen sind im gesamten Küstengebiet laut des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums inzwischen fast 15.900 Menschen getötet worden. Die Opferzahlen lassen sich gegenwärtig nicht unabhängig überprüfen, die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.

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