das aktionstheater ensemble zeigt in seiner jüngsten Produktion„Alles normal“, wie man es sich im rechten Eck gemütlich machen könnte - und fulminant daran scheitert.
Eigentlich müsste man Johanna Mikl-Leitner danken, dass sie das Wort „normal“ diesen Sommer eine schier endlose Publicity-Welle reiten ließ - denn ohne diese Intervention, wenn man so will, könnten wir heute nicht in den Genuss dieses Theaterabends kommen, den Regisseur Martin Gruber mit seinem aktionstheater ensemble am Dienstag in Dornbirn aus dem Hut gezaubert hat. Das Stück, angelegt als Salon, zu dem unterschiedlichste Akteure Gedichte, Performances und anderes beitragen, ist ein zerklüftetes - fast so wie die österreichischen Alpen.
Mal geht’s rauf, dann wieder runter, dazwischen verläuft eine Autobahn mit aufgehobenem Luft-100er - alles normal. Ans Tempolimit hat sich an diesem Abend niemand gehalten, schon im dritten Satz fiel der Begriff „Volkskanzler“. Nun, wie wird das sein, fragen sich die Ensemblemitglieder, wenn nach den nächsten Wahlen das „Vierte Reich“ ausgerufen wird? Müssen dann alle umsatteln und im Schweizerhaus Stelzen servieren? Oder reicht es, wenn sie Volksmusik spielen?
Klar ist jedenfalls: Das aktionstheater muss jetzt die leichte Muse feiern. Und die hält an diesem Abend auch ihre schützende Hand über die Ensemblemitglieder. Möglich, dass sie sich dabei einige Schrammen abholt, sich vielleicht ein Bein bricht oder zwei - Berufsrisiko.
Katzenjunge ertränken
Während Autor Elias Hirschl schaurig-monoton herunterschnurrt, was in Österreich normal ist - Katzenjunge ertränken, besoffen Autofahren, Därme anstechen, Frau nicht mehr lieben, die Sau ausbluten lassen - laufen als Videoinstallation die mit Narzissmus unterfütterten Egoshooter-Slogans, mit denen uns die Werbung das Gefühl gibt, wirklich jemand zu sein, relevant zu sein, jedenfalls wichtiger als der andere.
„Alles normal“, ein Salon d’Amour-Stück des aktionstheater ensembles
Mit Zeynep Alan, Babett Arens, Michaela Bilgeri, Monica Anna Cammerlander, Atanas Dinovsky Elias Hirschl, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Lisa Lurger, Daniela Neuhauser, Gidon Oechsner, Daniel Schober und Tamara Stern
Weitere Termine am Spielboden Dornbirn: 7., 8. und 9. Dezember
Wien-Termine: 13., 14., 17., 18., 19. und 20. Jänner im Theater am Werk
Vor diesem Hintergrund werden dann Brüste und Penisse vermessen - klein, groß oder normal? Gruber lockt das Publikum hier gekonnt in eine Falle: Auch im aktionstheater wird direkte Demokratie eben groß geschrieben, mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Neigungswinkel für Anfänger
Ähnlich hart am Wind segelt Tamara Stern in ihrer genialen Performance: Sie outet sich als Penis-Neigungswinkel-Expertin und steuert unter anderem das Bonmot des Abends bei: „Wenn er ganz klein ist, steht er von selbst.“ Und plötzlich steht noch etwas im Raum: ein Hitlergruß.
Immer wieder schließt Gruber sein tiefes Misstrauen gegen die Versprechen der Rechten mit entlarvendem Galgenhumor allerschwärzester Güte zusammen - und sorgt damit beim Publikum für zündende Funken. Das funktioniert, weil er auf Belehrungen und Besserwisserei verzichtet. Statt bierernst die Bedrohung von Demokratie und Freiheit zu verhandeln, setzt der Regisseur auf das Gegeneinandertreiben von aufgeblähten Phrasen, von faschistoiden Phantasien und von Glaubenssätzen, die die Angst in uns allen vertreiben sollen, meist aber erst recht für Einsamkeit sorgen.
Theater von heute
Theater, das uns den Puls fühlt: irrwitzig, hysterisch komisch, peinlich und berührend. Bleibt nur noch eine Frage: Worüber lacht wohl Herbert K.?
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