Viele erste Male! Tenor Jonas Kaufmann steht in der Wiener Staatsoper in der Neuproduktion von Puccinis „Turandot“ zum ersten Mal als Calàf auf einer Bühne. An seiner Seite gibt Sopranistin Asmik Gregorian ihr Rollendebüt als Turandot. Außerdem haben die beiden Superstars noch nie gemeinsam Oper gesungen! Die „Krone“ sprach mit dem Sänger kurz vor der Premiere am Donnerstag.
Es ist ein Märchenstoff und handelt von einer Prinzessin, die nur den heiraten darf, der drei Rätsel löst. Alle Versager werden geköpft. Dem Prinzen Calàf jedoch gelingt das Kunststück. Turandot will den ihr Unbekannten aber trotzdem nicht heiraten. Er bietet ihr daher sein Leben an, falls sie vor Sonnenaufgang seinen Namen herausfindet. Jonas Kaufmann hat die Partie des Calàf erst einmal konzertant unter Antonio Pappano gesungen. Davon existiert eine CD. Auch kennt man die berühmte Arie „Nessun dorma“ aus seinen Konzerten. Doch in der Regie des gerne gedankenreich und hintergründig analysierenden Claus Guth gibt der Tenor in der Wiener Staatsoper jetzt sein Rollendebüt in einer szenischen Produktion. Die „Krone“ sprach mit dem Sänger kurz vor der Premiere am Donnerstag.
„Krone“: Warum kommt Ihr Calàf so spät?
Jonas Kaufmann: Na ja, man kann nicht alles gleichzeitig machen. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich mich mit „Turandot“ nie so richtig anfreunden konnte. Es gibt natürlich diese eine wahnsinnige Nummer, „Nessun dorma“. Es gibt noch mehr verrückte und tolle Momente, wie Turandots „In questa reggia“-Arie, den Kinderchor, oder bestimmte Motive, die einen wirklich verfolgen, weil die Melodien so großartig sind.
Aber immer, wenn ich Turandot gesehen habe, war das ein wahnsinniger Pomp, mit gefühlt tausend Leute auf der Bühne. Man hatte große Mühe, zu verfolgen, wo die Solisten sich gerade befinden. Doch die Geschichte ist ohnehin irrsinnig genug.
Viel Logik scheint in dieser Handlung tatsächlich nicht zu stecken?
Es dreht sich alles um diese Frau, dabei erfährt man kaum etwas von ihr. Sie erzählt am Anfang ihrer Arie von der Vorfahrin, der Principessa, dann stellt sie ihre drei Rätsel und im dritten Akt ist sie nur noch gemein. Dann küsst Calàf sie mit Gewalt und es gibt ein Happy End. Es ist so skurril. Wenn ich etwas auf der Bühne, mache, muss mich auch der Charakter interessieren, und ich möchte eine Geschichte erzählen.
Pinkerton ist ein Schwein
Ich bin deswegen auch nie als Pinkerton in „Madama Butterfly“ auf der Bühne gestanden. Denn wenn man den richtig spielt, dann muss der Pinkerton ein Schwein sein, ganz böse, kein sympathischer Charakter. Da bin ich vielleicht nicht d’accord mit allen meinen Kollegen, aber wenn man es rollenentsprechend macht, kann man nichts gewinnen.
Wieso dann jetzt trotzdem „Turandot“? Was hat Sie überzeugt?
Zum ersten wegen Asmik Grigorian als Turandot. Wie Sie wissen, wurde bereits im Vorfeld viel über diese Besetzung geschrieben und geunkt. Aber Tatsache ist, sie macht es großartig und hat nicht die leisesten Mühen mit dieser Partie. Vor allem ist sie eine zerbrechliche, junge Frau, der man einfach nicht böse sein kann. Sie strahlt nicht nur diese Kälte aus, ist nicht diese Puppe, die man sich als Turandot gerne vorstellt.
Herzzerreißend
Zum zweiten spielen wir das Finale „Alfano I“. Das macht Sinn. Es ist natürlich länger und schwieriger, aber die Geschichte wird erzählt. Man spürt plötzlich, wie diese Frau hin- und hergerissen ist, weil sie einerseits ihre Ängste mit sich trägt, anderseits von ihren Gefühlen zu Calàf übermannt ist. Es ist wirklich herzzerreißend. Auch deshalb habe ich lange zugewartet, weil diese Fassung nur sehr selten gespielt wird.
Giacomo Puccini starb 1924, über dem Finale seiner „Turandot“. Er soll sich Riccardo Zandonia („Francesca da Rimini“) für die Fertigstellung gewünscht haben. Die Familie, der Verleger Riccordi und der Uraufführungsdirigent Arturo Toscanini wählten jedoch den jungen Franco Alfano.
Seine Fassung ging dann - allerdings gekürzt - in Druck, wird seither meist gespielt. Alfanos ursprüngliche Vollendung wurde erst 1978 wieder entdeckt - und wird jetzt in Wien gespielt. Wie sieht diese Fassung aus?
Der arme Franco Alfano kam ein bisserl dazu wie die Jungfrau zum Kind. Aber er hat das sehr anständig gemacht. Man muss auch bedenken, wir alle reden immer über „Turandot“ als ein Spätwerk, wo man die ganze großartige Raffinesse und Erfahrung eines extrem überdurchschnittlich begabten Komponisten erkennen kann. Es wird von der neuen Klangwelt, von der Pentatonik gesprochen. Aber es sind auch der Rhythmus, die Harmonien neben der Pentatonik, die sehr modern, sehr jazzig sind. Puccini war ganz am Puls der Zeit. Da wird es für jeden anderen Komponisten schwierig anzuknüpfen.
Ein dickes Ende
Das Einzige, was man Alfano vorwerfen kann, ist, dass er es ein bisserl sehr üppig komponiert hat. Das ist bei Puccini auch öfters der Fall, gerade der erste Akt ist so bombastisch, dass man wirklich Schwierigkeiten hat, das Orchester zu zügeln, um den Sänger eine Chance zu geben. Aber das Alfano-Ende ist schon sehr dick!
Wo liegen dann die Vorteile von „Alfano I“?
Er hat all das so vertont, wie auch die Textdichter den Stoff enden lassen wollten. Dann passierte diese berühmte Geschichte mit Toscanini. Der meinte, das ist zu viel, zu lang und geht überhaupt nicht. Es wurde also gekürzt, verändert, da und dort ein Stückchen weg gezupft. Toscanini hat es aber dann gar nicht aufgeführt, sondern den Taktstock niedergelegt, als die originalen Puccini-Töne zu Ende waren.
Wie fordernd ist die Erstfassung für die Sänger? Was bringt das längere Ende der Geschichte?
„Alfano I“ verlangt noch ein paar nicht gerade angenehm geschriebene Phrasen mehr. Es ist auch länger. Es geht schon mit dem Kuss los, der in der zweiten Fassung in ein paar wenigen Takten abgehandelt wird. Bei der ersten dauert er eine ganze Klavierauszugsseite lang, wo sich die Emotionen langsam aufbauen bis zum Klimax des Kusses und dann langsam verebben und ins Nichts zurückgehen. Allein das macht einen Riesenunterschied, bringt auch dem Zuschauer ein Mehr an Glaubwürdigkeit.
Turandot ist wie eine Spinne, die die Männchen anlockt und auffrisst. Was fasziniert Calàf an dieser kühlen, unnahbaren Frau?
Sie ist nicht nur eine Spinne, sondern wie bei Walter Moers eine „Waldspinnenhexe“. Ein Wesen, das in seinem Netz sitzt und irgendwelche Pheromone ausdünstet, sodass man gar keine Spinne mehr sieht, sondern nur die eigenen kühnsten und schönsten Fantasien zur Wahrheit werden. Bis man dann das Netz anlangt und fest pickt!
Nach zwei Minuten verfallen!
Es ist absurd. Es wird verkündet, dass die Heiratskandidaten reihenweise geköpft werden, berichtet, wie der Prinz von Persien soeben sein Leben verwirkt hat. Calàf kommentiert, wie schrecklich, wie grausam, wie furchtbar diese Frau ist, und möchte sie umbringen. Dann vergehen keine zwei Minuten Musik, und er singt, wie wunderbar, großartig, betörend, was für ein Traum sie ist. In dem Moment, wo er sie sieht, spürt oder riecht oder was auch immer, ist er dieser Frau verfallen.
Rational gesehen könnte man jetzt sagen, vielleicht hat er ihr in die Augen geblickt und darin die Zerbrechlichkeit gesehen, die Grausamkeiten, die ihr als Kind zugefügt wurden. Dadurch wurde das Helfersyndrom in ihm geweckt und er will sie retten aus dieser barbarischen Gesellschaft. Oder er ist so jung und unerfahren, dass diese Liebe oder auch nur körperliche Attraktion, die er spürt, so neu und umwerfend für ihn ist.
Wie wird dieses Dilemma in der Neuproduktion gelöst?
Claus Guth hat eine sehr schöne Lösung gefunden. Man spürt, dass diesem Mädchen wohl arg mitgespielt worden ist. Dass sie aus ihrer Kindheit gar nicht rauskommt, ein zu groß gewachsenes Mädchen ist. Es wird deutlich, dass diese Grausamkeit, die man ihr vorwirft, nicht ihre Schuld ist. Es sind die Regeln des Hofes - und die vielen, vielen Köpfe, die sie schon unter ihrem Bett gefunden hat, haben es ihr auch nicht leichter gemacht.
Keine Massenaufmärsche
Ich habe schon während der Proben viele Stimmen gehört, dass diese Sicht einen sehr rührt. Wann hat man denn bei einer Turandot zuletzt geheult? Die Entschlackung durch Claus Guth habe ich am Anfang auch eher als gewagt empfunden, denn natürlich ist Turandot eine Massenoper. Hier ist der Chor aber so zurückgenommen, sodass man sich ganz auf die Solisten und ihre Geschichten, Vernetzungen und Wandlungen konzentrieren und damit wirklich mitfühlen kann. Das macht den großen Unterschied zu anderen „Turandot“-Produktionen aus.
Gibt es viel chinesische Exotik in der Inszenierung von Claus Guth, die von Etienne Pluss (Bühne) und Ursula Kudrna (Kostüme) ausgestattet wurde?
Nein. Man könnte sagen, es spielt in Nordkorea. Man sieht ein uniformiertes Regime. Chor und die meisten Solisten schauen alle exakt gleich aus. Das zeigt, wie unwichtig der einzelne ist an diesem Pekinger Hof ist. Ich glaube, das kommt gut rüber, ohne dass man das viele Gold und die über die Bühne getragenen Drachen vermisst.
Ein nicht erkannter multiresistenter Bakterienstamm in Ihrer Lunge hat Ihnen längere Zeit Schwierigkeiten beim Singen gemacht. Mit der Lunge ist jetzt wieder alles in Ordnung, die Keime sind weg?
Ja! Für mich jeden Tag fast wie ein Wunder, weil man singt und singt ohne ständig in diesen Hustenreiz zu kommen. Ich habe den gefühlt so lange mit mir herumgetragen, dass ich mich schon daran gewöhnt hatte, dass die Lunge plötzlich zumacht und das Singen zwar nicht unmöglich, aber doch sehr erschwert wird.
Vollgas mit angezogener Bremse
Das war, als ob man auf einer glatten Straße permanent mit Gas und Bremse versucht, irgendwie durchzueiern, aber nie normal zügig fahren kann. Denn wenn man Gas gibt, rutscht man sofort weg, wenn man bremst, kommt man sofort ins Schleudern. Gott sei Dank ist es jetzt wieder so, dass ich meinem Instrument vertrauen kann.
Sie haben ein ungeheuer breites Repertoire. Dennoch, gibt es noch Wunschpartien? Kommt der Tristan wieder?
Ganz bestimmt. Im nächsten Jahr singe ich den zweiten „Tristan“-Akt konzertant. Ich werde ihn auch wieder in voller Länge singen. Aber ich muss zugeben, die Situation mit meiner Lunge im letzten dreiviertel Jahr, hat mich schon zweifeln lassen, ob ich mir das noch einmal antue. Denn auch der Tannhäuser, mit dem ich zu Ostern in Salzburg debütiert habe, ist mir deutlich schwerer gefallen, als ich geglaubt habe. Jetzt kann man das ganz anders betrachten und entsprechend werden auch wieder die Weichen gestellt.
Enzo Grimaldi statt Siegfried
Der Siegfried wird wohl nicht kommen. Wagners „Ring“ ist ein großartiges Werk, aber es ist ein unfairer Kampf, den der Held im „Siegfried“-Finale führt, wenn er schon zwei Akte in der Kehle hat. Und dann kommt die frisch ausgeruhte Kollegin als Brünnhilde und bläst ihn förmlich von der Bühne. Man könnte den dritten Akt „Siegfried“ einmal konzertant machen.
Zu Ostern kommt in Salzburg als neue Rolle der Enzo Grimaldi in „La Gioconda“. „Fedora“ würde ich gerne singen, „Maskenball“ habe ich noch nie gemacht. Ich weiß auch nicht, ob ich das noch schaffe. Es gibt auch andere Opern von Britten als den „Peter Grimes“.
Vielleicht Palestrina und „Buch mit sieben Siegeln“
Langweilig wird einem nicht. Es bleibt spannend, aber es ist langsam auch vorbei mit den vielen, vielen großen Partien, die mir unter den Nägeln brennen. Vielleicht auch unbekannteres Repertoire, wie Pfitzners Palestrina. Doch der hat Zeit, der ist kein junger Mann. Ich habe etwa auch noch nie Schmidts „Buch mit den sieben Siegeln“ gesungen. Aber das muss man in Österreich machen, weil es in Österreich weltbekannt ist, außerhalb kaum gespielt wird - was mir unverständlich ist.
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