„Das ist dringend“

UN-Chef erzürnt Israel mit historischem Schreiben

Ausland
07.12.2023 09:58

UN-Generalsekretär António Guterres hat die diplomatische Notbremse gezogen: Artikel 99 der UN-Charta. In einem außergewöhnlichen Brief an den Sicherheitsrat ließ er seiner Frustration über die Lage im Nahen Osten freien Lauf - und erzürnte damit das ohnehin wütende Israel.

Die Berufung auf Artikel 99 der UN-Charta gilt in diplomatischen Kreisen als Hilfeschrei, dem Folge zu leisten ist. Es erlaubt dem Generalsekretär, den Sicherheitsrat auf „jede Angelegenheit hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Gewährleistung von internationalem Frieden und Sicherheit gefährden kann“. 

Soll heißen: Der Generalsekretär kann damit eine Diskussion im Rat über die aktuelle Notlage erzwingen. Ausgehend von der bisherigen Praxis erlaubt es Guterres auch, auf andere Befugnisse seines Amtes zurückzugreifen - beispielsweise die Anforderung von mehr Personal.

Guterres hat sich zu einem außergewöhnlichen Schritt entschieden. (Bild: AP/AFP, Krone KREATIV)
Guterres hat sich zu einem außergewöhnlichen Schritt entschieden.

Außergewöhnliche Formulierung
Einige Generalsekretäre haben Artikel 99 stillschweigend angewandt, darunter auch Guterres in Myanmar im Jahr 2017. Jetzt entschied er sich für einen lauteren Aufschrei. Eine derart explizite Erwähnung des Artikel 99 liegt Jahrzehnte zurück. Javier Pérez de Cuéllar erzwang damit 1989 im Zuge der Libanon-Krise eine Notfallsitzung des Sicherheitsrates. Auch der Österreicher Kurt Waldheim machte zweimal davon Gebrauch.

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Das ist dringend.

António Guterres während seiner Auftaktrede bei der UNO-Generalversammlung in New York (Bild: 2022 Getty Images/AP/AFP)

António Guterres

Guterres forderte das Gremium in seinem Schreiben zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen auf. „Ich wiederhole meinen Aufruf, dass ein humanitärer Waffenstillstand ausgerufen werden muss. Das ist dringend. Der zivilen Bevölkerung muss größeres Leid erspart bleiben.“

Der Brief des UN-Generalsekretärs zum Nachlesen:

Dem geopolitischen Analysten Daniel Forti zufolge lässt sich zwischen den Zeilen des Brandbriefes einiges an Frust herauslesen: „Das Schreiben ist eine unmissverständliche Kritik an der Unfähigkeit des Rates, diplomatische Maßnahmen zu ergreifen.“

Israel: Guterres gefährdet Weltfrieden
Für Israel ist es hingegen ein symbolischer Schlag ins Gesicht. „Sein Antrag, Artikel 99 zu aktivieren und die Forderung nach einem Waffenstillstand in Gaza stellen eine Unterstützung der Terrororganisation Hamas dar“, so Außenminister Eli Cohen auf X. „Jeder, der den Weltfrieden unterstützt, muss die Befreiung Gazas von der Hamas unterstützen.“ Nicht Israel, sondern Guterres Amtszeit gefährde den Weltfrieden.

Die Vereinigten Arabischen Emirate folgten dem Ruf des UN-Chefs bereits. Ein neuer Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einem Waffenstillstand wurde vorgelegt. Die Situation im Gazastreifen sei katastrophal und beinahe unumkehrbar. „Wir können nicht warten. Der Rat muss entschlossen handeln mit der Forderung nach einem humanitären Waffenstillstand“, heißt es in einer Mitteilung. Ähnliche Vorstöße waren bisher an den USA gescheitert.

Es wird nicht erwartet, dass durch die Maßnahme die Positionen der Großmächte im Sicherheitsrat verschoben werden können. Viel mehr wird das Vorgehen als verzweifelter Versuch gewertet, öffentlichen Druck gegen Israel aufzubauen. Guterres hielt in seinem Schreiben fest: Im Gazastreifen seien bereits mehr als 16.000 Menschen getötet worden, 40 Prozent davon seien Kinder. Genaue Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, auch wenn das Leid in der Enklave enorm sein dürfte. Feststeht: Der Ton wird ruppiger.

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