Tesla hat das erfolgreiche Model 3 nach sechs Jahren Bauzeit grundlegend überarbeitet. Die intern Highland genannte Modellversion bekam ein neues, verbessertes Fahrwerk und einen deutlich hochwertigeren Innenraum, verlor jedoch alle Lenkstockhebel. Und auch sonst verfolgt der US-Konzern das zweifelhafte Prinzip „weniger ist mehr“. „Krone“-Motorredakteur Stephan Schätzl war mit dem neuen Model 3 unterwegs - seine Eindrücke hier im Video-Fahrbericht!
Das Model 3 hat sich auf zweierlei Art geändert: Einerseits ist es gereift und zu einem besseren Auto geworden, andererseits scheint Konzernchef Elon Musk einige Spleens umgesetzt zu haben, die das Autofahrerleben schwerer machen und der Verkehrssicherheit einen Bärendienst erweisen.
Außen ist das Model 3 insofern gereift, als es durch Änderungen an der Karosserie und neue Räder auf einen Luftwiderstandsbeiwert von nur 0,219 kommt und ihm neue Scheinwerfer und Heckleuchten einen moderneren Auftritt verpassen. Auf LED-Matrix-Scheinwerfer muss man aber weiterhin verzichten, stattdessen gibt es einen schlecht funktionierenden Fernlichtassistenten, der einfach nur das Fernlicht an- und ausschaltet. Das bedeutet häufig Blendung des Gegenverkehrs auf der Autobahn und bloßes Abblendlicht, wo man es gerne heller hätte.
Das große Bedien-Ärgernis
Damit sind wir schon direkt bei einer der größten Unsinnigkeiten der neuen Version des Tesla Model 3: Es wurden sämtliche Lenkstockhebel abgeschafft und entweder durch Tasten am Lenkrad ersetzt oder (im Fall des Fahrwahlhebels) an den linken Rand des Touchscreens verlegt. Daran, dass man vorwärts, rückwärts, parken und neutral nun durch ein Wischen über die Glasfläche anwählt, ist wenig auszusetzen (wenn man daran denkt, dass man für N den Finger länger draufhalten muss).
Doch die Tasten für Fernlicht, Scheibenwischer und vor allem Blinker sind eine Quelle dauernden Ärgernisses. Zwar kann man sich auch daran gewöhnen (im Sinne von: man greift zum Blinken nicht mehr ins Leere), aber es gibt viele Situationen - etwa im Kreisverkehr -, in denen es schwerfällt zu blinken. Im Zweifelsfall wird man oft darauf verzichten. Dazu kommt, dass die automatische Blinkerabschaltung auch nicht richtig funktioniert.
Auch Fernlicht bzw. Lichthupe und Scheibenwischer wären per Lenkstockhebel besser bedienbar. Abgesehen davon, dass das Bedienkonzept der Wischer grundsätzlich misslungen ist. Am Lenkrad kann man nur ein Einmalwischen sowie die Wischwaschfunktion (mit Wasser aus dem Wischerarm!) auslösen. Die Scheibenwischerstufen muss man dann am Display anwählen. Tesla geht davon aus, dass man eh immer die Automatikfunktion verwendet und daher keine Sorgen hat - doch weit gefehlt: Die Wischautomatik ist wahrscheinlich mit die schlechteste am Markt. Meist wird entweder unnötig hektisch für ein paar Tropfen gewischt, oder man fährt ewig mit undurchsichtig nass geregneter Scheibe, ohne dass der Tesla reagiert.
Klassensprung im Innenraum
Den Verzicht auf die Lenkstockhebel rechtfertigt Tesla mit einem aufgeräumteren Innenraum. Das ist gelungen - und mehr noch: Er wirkt vor allem hochwertiger, mit deutlich besseren Materialien. Und eine vielfarbige Ambientebeleuchtung gibt es jetzt auch. Das Display misst noch immer 15,4 Zoll im Durchmesser, hat nun aber wegen eines schmäleren Rahmens eine größere nutzbare Fläche. Die Darstellung (insbesondere der Kamerabilder) ist gestochen scharf, die Menüführung intuitiver, als man es im ersten Moment annimmt. Allerdings sind die meisten Schaltflächen zu klein.
Auch die Sitze sind neu, sehr bequem und jetzt immer beheizt und belüftet. Das fühlt sich alles fast nach einem Klassensprung an. Es können zwei Handys drahtlos geladen werden, außerdem gibt’s vorn einen und hinten zwei USB-C-Anschlüsse mit je 65 Watt. Die Passagiere in der zweiten Reihe haben jetzt einen eigenen Acht-Zoll-Screen für Klimasteuerung, Belüftung und Entertainment.
Vor allem bei höherem Tempo fällt das geringere Geräuschniveau im neuen Model 3 auf: Akustikglas ist jetzt serienmäßig.
Es mangelt an Assistenten bzw. an deren Qualität
Eine Schrulle, die ins Geld gehen kann, ist der Verzicht auf Infrarot- und Radarsensoren. Das wirkt sich unter anderem auf den Autopiloten aus, der aber vor allem wegen anderen Dingen nervt: Man muss das Lenkrad immer leicht drehen, damit er aktiv bleibt. Versäumt man das zu lang, schaltet er sich ab und ist erst dann wieder aktivierbar, wenn man stehen bleibt und das Auto auf P stellt. Der automatische Spurwechsel ist langsam und lässt sich nur im Stand deaktivieren. Overruled man ihn währen der Fahrt, schaltet sich der Tempomat dauerhaft ab und man muss ihn neu aktivieren. Welches Tempo man beim Aktivieren bekommt, ist bisweilen nicht vorhersehbar.
Das Fehlen von Sensoren wirkt sich aber auch auf die Parkunterstützung aus. Die Abstandsmessung erfolgt ausschließlich über die Kameras - und sie ist dadurch mehr als fehlerhaft bzw. fehleranfällig. So wird zwar die gemessene Distanz zu einem geparkten Fahrzeug in Zentimeter angezeigt, im Test berührte aber das Tesla-Nummernschild bereits das des Vordermannes, als am Display ein Abstand von 30 cm angezeigt wurde. Hier sind Parkschäden geradezu vorprogrammiert.
Man muss nicht nur die Frage stellen, warum Tesla auf Sensoren verzichtet, sondern auch, warum es keine Frontkamera gibt, wenn man schon rein auf optische Erfassung der Umgebung setzt. Die Kamera hinter der Frontscheibe ist jedenfalls zu wenig.
Auch ein Querverkehrsassistent, der den Fahrer beim Rückwärts-Hinausrangieren aus einer Einfahrt auf die Straße unterstützt, wäre kein Fehler und ist bei anderen Herstellern längst üblich.
Lichtblick: Das Fahrwerk und das Fahren insgesamt
Durchwegs positiv sind die Veränderungen am Fahrwerk zu bewerten. Es ist spürbar komfortabler als früher, bietet aber auch eine Prägnanz und Präzision, die sportliches Fahren unterstützt. Die Lenkung ist direkt und lässt einen fast wie im Videospiel durch die Kurven flitzen. Hier ist ein großer Schritt in Richtung eines reiferen Autos passiert.
Auch der Antrieb bereitet viel Freude. Mit 366 kW/498 PS und 575 Nm aus zwei Motoren beschleunigt der Allradler (der Testwagen ist die Version Long Range) den 1838 kg schweren Wagen in 4,4 Sekunden auf Tempo 100, und das in extremer Leichtigkeit und zudem sehr leise. Als Höchsttempo werden 201 km/h angegeben.
Der Akku fasst 75 Kilowattstunden brutto, netto dürften es 69 kWh sein. Das reichte im Test bei einstelligen Temperaturen für eine Reichweite von 330 Kilometern von 100 bis null Prozent. Wenn man auf die empfohlenen 80 Prozent lädt und das Auto mit 10 Prozent wieder anhängen will, sind’s gerade mal 230 Kilometer. Offiziell beträgt die WLTP-Reichweite mit 18-Zoll Serienrädern 678 Kilometer, mit den 19-Zöllern des Testwagens 629 Kilometer.
Der Durchschnittsverbrauch laut Bordcomputer lag bei etwa 21 Kilowattstunden pro 100 Kilometer, dazu kämen dann noch die Ladeverluste an der Ladesäule.
Apropos: Der Tesla kann eine Navi-Route inklusive Ladestopps legen, berücksichtigt da aber nur die hauseigenen Supercharger. Andere Anbieter muss man einzeln suchen, wenn man sie ansteuern will oder muss.
Preise
Ab 44.970 Euro (inklusive Auslieferungspauschale) ist das Model 3 mit einem Motor und Hinterradantrieb bestellbar, der zweimotorige Allradler mit dem stärkeren Akku (Testwagen) ab 52.970 Euro. Der Testwagen kostet 55.970 Euro.
Fahrzit
Schade. Der Tesla Model 3 hätte ein richtig gutes Auto werden können, das wirklich viel fürs Geld bietet. Doch der schrullige Umgang mit Assistenzsystemen und Fahrzeugbedienung erschwert das Leben mit dem Tesla im Alltag ziemlich. Wer das in Kauf nehmen will, wird beim Fahren Spaß haben. Nicht nur mit der eingebauten Karaoke-Funktion. Ein Highlight, das man sonst wo wohl kaum bekommen wird.
Warum?
Gereiftes Fahrwerk
Sehr leise
Funktionen, die andere nicht bieten
Warum nicht?
Unfassbar schrullige Bedienung
Unzuverlässige oder fehlende Assistenzsysteme
Oder vielleicht ...
... BYD Seal, BMW i4, Hyundai Ioniq6, Polestar 2
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