Wenn die Sonne aufgeht, bläst der Baba in sein Schneckenhorn und lässt den ruhigen Blick über die felsige Landschaft Hampis schweifen. Einige Europäer haben hier, in Indien, eine zweite Heimat gefunden. So etwa die Oberösterreicherin Dora, die seit einigen Jahren im Pilgerstädtchen Gokarna lebt.
Nebel liegt über dem Land, in der Luft hängt der beißende Geruch von Müllfeuern. Frei lebende Hunde bellen, einfache Fischerboote schippern über das Meer, Mopeds und Rikschas hupen. Auf dem Boden sitzen bunt gekleidete Frauen, die Obst, Gemüse und ungekühlten Fisch verkaufen.
Dora ist in dem Küstenstädtchen Gokarna im südindischen Bundesstaat Karnataka heimisch geworden. Ihren Lebensunterhalt verdient die studierte Sozialarbeiterin mit Backen und Kellnern in einem französischen Café am Strand. Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie kam die heute 35-Jährige nach Indien. Geplant war ein kurzer Aufenthalt: „Das hat sich jetzt alles ein bissl anders ergeben“, stellt sie fest und lacht.
Wir sitzen in ihrem Garten, außer Vogelgezwitscher, dem fernen Krähen eines Hahns und gelegentlichem Hundebellen ist es still. Weil sie den Rückholflug am Beginn der Pandemie nicht erwischte, blieb sie: „Als ich in die Situation und in mich hineingespürt habe, habe ich für mich beschlossen, dass es einen Grund gibt, warum ich da bin und warum das mit dem Flug nicht geklappt hat“, sagt die gebürtige Oberösterreicherin.
Dora fühlt sich wohl in Gokarna, was auch daran liegt, dass es eine gewisse Infrastruktur gibt – und seit Kurzem sogar ein Müllauto. Zwar ohne Zeitplan, dafür aber mit lauter Musik: „Dann muss man eben schnell hinauslaufen.“ Vor allem jedoch ist die Tempelstadt einer der heiligsten Orte Südindiens: Zahlreiche Gläubige aus dem ganzen Land kommen hierher, um Feste zu feiern und den Mahabaleshwar-Tempel im Zentrum zu besuchen.
„Das ist, was mich so fasziniert. Da drin geh ich auf“, sagt Dora, und ihre Augen funkeln. Zwar ärgere sie sich viel, und auch in Indien werde gepredigt, aber dann oft etwas anderes getan – dennoch: „Ich war auch noch nie so erfüllt und so an der Quelle“, freut sie sich. Auf dem Subkontinent zu leben heißt für Dora, im Moment zu sein, so wenig wie möglich zu planen, jeden Tag als den Anfang einer neuen Geschichte zu sehen.
Indiens Partyhochburg und Strandparadies
Zwischen dem authentischen Gokarna und dem kommerziellen Goa gibt es eine „Wand“, findet Dora. Wenn man sie durchbricht, seien die Vibrationen anders. Goa ist der kleinste indische Bundesstaat, liegt an der mittleren Westküste und ist seit Beginn der Hippie-Zeit bei Alternativen, heute auch beim indischen Partyvolk beliebt.
Die Sonnenuntergänge über dem Meer sind mächtig, aber genauso wie die Sonne schwindet, ist auch die Authentizität verschwunden – sowohl in Bezug auf die indische als auch die Hippie-Kultur. Zwar steht fest: Goa ist anders als der Rest des Landes.
ALLGEMEINE AUSKÜNFTE: www.incredibleindia.org
Die bekannten Strandorte – etwa Arambol, Vagator und Anjuna – sind aber vielmehr eine platte Partydestination im westlichen Sinne. In der ehemaligen portugiesischen Kolonie flackern kreischende Neonlichter an den kilometerlangen Stränden, die so laut und voll sind, dass man sich in einem Ameisenhaufen wähnt.
Eine Nacht auf dem Hügel eines Einsiedlers
Im bequemen Nachtfernbus mit sauberen Einzel- und Doppelbetten geht es in die ehemalige Hauptstadt eines einstigen Hindu-Reiches. Das Dörfchen Hampi liegt im Inneren des Bundesstaates Karnataka, Überreste riesiger Tempelanlagen ziehen sich über die felsige Landschaft.
Wer es aufregend mag und wem Dreck nichts ausmacht, der kann auf dem Boden des Virupaksha-Tempels gemeinsam mit Pilgern die Nacht zubringen – und am nächsten Morgen „Lakshmi“, dem hauseigenen Elefanten, beim Baden im Fluss zusehen.
Auf einem Hügel auf der anderen Seite des Flusses lebt ein Baba. In Indien werden weise Männer oft „Baba“ oder „Babaji“ genannt. Laut eigenen Aussagen lebt der schmächtige Mann mit faltigem Gesicht und orangem Umhang seit den 80er-Jahren auf seinem Hügel – anfangs noch in einer Felsspalte, heute in zwei selbst gebauten Hüttchen.
Eine Nacht durfte ich neben seinem Häuschen verbringen. Da sei ich am sichersten, hatte er gemeint: vor Affen, Schlangen, Skorpionen und Leoparden. Gut geschlafen habe ich auf der dünnen Yogamatte und unter zwei dünnen Decken nicht. Als die Sonne aufging, der Baba ins Schneckenhorn blies und süßen Chai zubereitete, war die Kälte der Nacht aber schnell vergessen. Zwei Tage brachte ich auf dem Hügel zu. Als ich ging, fragte er, ob ich denn bald zum Essen wiederkäme: Er mache hervorragende Dosa, eine Art Palatschinken aus Reis und Hülsenfrüchten.
Nun war es aber an der Zeit, die vielen Felsen nicht nur anzuschauen, sondern sie zu beklettern. Schnell Kletterschuhe und Bouldermatte ausleihen und ein paar Routen absolvieren, bevor es an der Zeit ist, weiterzuziehen. Der Baba braucht das freilich nicht. Er ist zufrieden auf seinem Hügel, wässert seine Blumen, lächelt und erklärt friedlich: „This is Yoga.“ (dt.: „Das ist Yoga.“)
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