Mit 23 zu 16 hat am Donnerstag der Gemeinderat Ex-ÖVP-Vizebürgermeister Anzengruber abberufen. Es ist die dritte Abwahl eines Vizes in dieser Periode. Der Abtrünnige verliert nicht nur sein Vize-Amt, sondern auch den Posten als Stadtrat. Er wird einfacher Gemeinderat. Sein Nachfolger ist kein Unbekannter.
Dominik Berloffa, JVP, hatte den Abberufungsantrag eingebracht und begründete, warum: „Ihr alle tragt die Schuld an meinen Fehlern, aber niemand hat das Recht auf seine eigenen Fakten“, warf Berloffa Anzengruber fehlende Einsicht und Selbstkritik vor. Er begebe sich in die Opferrolle. Hingewiesen wurde auch auf die Ermittlungen der WkStA und anderer Vorgänge. Innsbruck sei die einzige Landeshauptstadt, in der gegen einen aktiven Vize-BM ermittelt wird. „Sauber wäre, wenn zumindest während der Ermittlungen das Amt ruhend gestellt wird.“ Stattdessen würden Nebelgranaten geworfen, die Schuld Mitarbeitern zugewiesen. Anzengruber habe einen fünfstelligen Betrag an Steuergeld ausgegeben für Apps, „die nicht funktionieren und vom Netz genommen werden mussten“. Die Stadt habe es nicht verdient, dass ein Vize ständig erklären muss, wie es mit den Ermittlungen steht. Berloffa stellte den Antrag auf namentliche Abstimmung, der stattgegeben wurde.
Wenn ich mir die Vorwürfe so ansehe, so ist das schon eine Räubergeschichte - sehr unsauber und untergriffig. Die Behörde prüft und bevor es ein Ergebnis gibt, wollt ihr mich verurteilen.
Johannes Anzengruber, Ex-ÖVP
„Alles an den Haaren herbeigezogen“
Anzengruber verteidigte sich gegen die lange Liste an Vorwürfen: „Überlegt euch das bitte gut, ob das mit eurem Verständnis von Politik zu vereinbaren ist“, sagte der Vize und verlas das Amtsgelöbnis, das alle abgegeben haben. Daran habe er sich gehalten - „frei von taktischen Spielchen“. Meist sei ihm gelungen, Mehrheiten zu finden. Wenn er sich die Vorwürfe ansehe, so sei das schon „eine Räubergeschichte - sehr unsauber und untergriffig. Die Behörde prüft und bevor es ein Ergebnis gibt, wollt ihr mich verurteilen. Zum zweiten Mal, nach medial inszentierten Skandalen. An der Sache ist nichts dran, und ihr wisst das“, sagte Anzengruber. Der Vorwurf eines zweifelhaften Umgangs mit Mitarbeitern: „Alles an den Haaren herbeigezogen.“ Von den Vorwürfen bleibe wenig übrig. „Es geht um parteipolitische Spielchen, aus reiner Strategie im Hinblick auf die anstehende Wahl. Seid ihr überhaupt noch zum Wohle der Stadt herinnen?“ fragte Anzengruber und las erneut das Gelöbnis vor.
Schiefe Optik allein reicht nicht aus
„Ja, die Sache mit den Apps und den Freizeitkarten hat eine schiefe Optik“, sagte Grün-Klubobmann Dejan Lukovic. Dies könne aber nicht der Maßstab sein, solch eine Entscheidung zu treffen. Der Gemeinderat sei kein Gericht. Es müsse Personen erlaubt sein, aus Fehlern zu lernen. Es handle sich um ein „türkis-blau-schwarzes Machtspiel“. Der Abwahlantrag bringe der Stadt nichts, ortete Lukovic „Zerstörungswut“ und eine „perverse Genugtuung aus Rachlust“ für den Wahlausgang 2018. Der Schaden daraus werde sinkende Wahlbeteiligung sein.
Buchacher: Warum kommt mir das alles so bekannt vor?
„Ganz, ganz üble Parteipolitik“ erkannte Ex-SPÖ GR Helmut Buchacher und kritisierte „Vorverurteilungen der übelsten Form“. Der Gemeinderat habe kein Recht dazu. Er vermisse die Menschlichkeit in dem Fall. Dass die ÖVP einen jungen Ersatz-GR vorschicke, darauf müsse keiner stolz sein. Gerecht-GR Gerald Dapaoli erinnerte an die Bestellung des Finanzdirektors 2020, bei der durch einen Umfaller Anzengrubers Willis Kandidat zum Zug kam. „Oder die kritischen Kontrollamtsberichte: Hier hat der Ressortverantwortliche Anzengruber nie ein Wort verloren.“ Eine schiefe Optik erkannte auch Liste-Fritz-GR Thomas Mayer. Der ÖVP gehe es darum, „ihm Geld und Bühne zu nehmen und den Weg freizumachen für den Neuen“, Florian Tursky. SP-Stadtparteichef Benjamin Plach sagte, er habe die Amtsführung Anzengrubers auch kritisch gesehen. „Wenn wir aber etwas gelernt haben bei den Vizes: Es kommt selten was Besseres nach“.
Abwahl- und Ressortentzug-Anträge können extrem belastend und entwürdigend sein.
Grün-StR Uschi Schwarzl
Grüne Schwarzl sprach aus eigener Erfahrung
„Abwahlanträge können extrem belastend und entwürdigend sein“, sprach StR Uschi Schwarzl aus eigener Erfahrung. „Rache ist Gift und kann keine politische Kategorie sein.“ StR Christine Oppitz-Plörer erinnerte daran, dass es BM Willi war, der die Freiheitlichen „salonfähig“ gemacht habe, wenn sie für Abstimmungen gebraucht worden sind. Sie ortete „Machtmissbrauch durch Rot-Grün-Anzengruber im Stadtsenat im Wissen, dass sie im Gemeinderat keine Mehrheit haben“. Mit aller Macht werde versucht, den Magistrat noch umzubauen.
Heisz: Nicht nur eine schiefe Optik
Neos-GR Julia Seidl gestand zu, an Anzengruber appelliert zu haben, einen Rücktritt zu erwägen. Ein Abwahlantrag sei aber etwas ganz Anderes. „Habe keine Lust, der ÖVP einen Gefallen zu tun“, sagte Ex-SP-GR Irene Heisz. Aber: Anzengruber habe die Fallstricke selbst ausgelegt, über die er nun stolpert. Die Optik sei mehr als schief. „Verständlich, dass Krododilstränen geweint werden, wenn die linke Struktur plötzlich einen Riss bekommt“, sagt FP-Stadtparteichef Rudi Federspiel.
BM Willi: „Der werfe den ersten Stein“
Die Frage sei, wann der Zeitpunkt sei, wann man mit einem Abwahlantrag kommen muss, meinte BM Willi. Wie die Sache mit den Freizeitkarten gehandhabt worden sei, sei nicht gut gewesen. Anzengruber habe für seine Projekte gekämpft, aber er habe in den Plan der Wiedervereinigung nicht hineingepasst. FP-Vize Markus Lassenberger erinnerte daran, dass die Grünen gegen ihn einen Abwahlantrag einbrachten, „obwohl genau null vorgelegen ist. Das einzige ,Vergehen‘ war wohl meine Parteizugehörigkeit.“ Er habe kein Vertrauen mehr in einen Vize-Bürgermeister Anzengruber.
Abstimmung nach eineinhalb Stunden Analyse
Durch 23 Pro-Stimmen, eine Enthaltung und 16 Gegenstimmen fiel die Abwahl Anzengrubers relativ deutlich aus, umgerechnet war das fast eine Zwei-Drittelmehrheit. Anzengruber war erst im Feber 2020 von seiner Fraktion für den Vize-Posten nominiert und vom Gemeinderat mit 22 Stimmen gewählt worden - fünf weniger, als der damaligen Vierer-Koalition zur Verfügung standen. In der Folge hat sich Anzengruber durch Alleingänge mit seiner Partei überworfen. Das Auseinanderleben gipfelte mit einem Parteiausschluss im Oktober dieses Jahres.
Ein Spektakel, inszeniert von Christine Oppitz-Plörer, Christoph Appler und Florian Tursky.
Bürgermeister Georg Willi
Bereits dritte Abwahl in Innsbruck
Vize-Abwahlen haben in der seit 2018 dauernden Ära von Grün-Bürgermeister Georg Willi eine lange Tradition: Als erste erwischte es 2019 die damalige 1. Vizebürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer, die über Mehrkosten bei der Kofelbahn gestolpert war. Sie wurde von ihrer Fraktion aber sogleich als Stadträtin nominiert und blieb somit dem Stadtsenat erhalten.
SP und Grünen Mehrheiten verschafft
Als Nachfolgerin im Vizebürgermeisteramt wurde im Dezember 2019 die Grüne Uschi Schwarzl gewählt - mit 27 Stimmen. Nur ein Jahr später ihre Abwahl - mit 22 Stimmen. Sie hatte eigenmächtig eine temporäre Begegnungszone am Boznerplatz verordnet, so der Vorwurf. Für sie kam im Jänner 2021 Markus Lassenberger (FP), was zum Platzen von Willis Koalition führte. Seitdem herrscht das freie Spiel der Kräfte, in dem Anzengruber immer wieder als Mehrheitsbeschaffer für SPÖ und Grüne im Stadtsenat fungierte und eigene Klubbeschlüsse ignorierte.
Wärst du ihm ein echter Freund gewesen, hättest du ihm bei der Analyse der Vorgänge helfen und ihn bestärken können, nach Wien zu gehen. So wie es bei dir 2013 der Fall war.
FI-StR Christine Oppitz-Plörer
Gutbezahlte Posten weg
Mit der Abwahl ist der Abtrünnige nicht nur sein gutbezahltes Vizebürgermeisteramt los, sondern auch seinen gutbezahlten Stadtratsposten. Seine Ressoerts fallen an Bürgermeister Georg Willi zurück, der aber auch schon vorher ein Ämtermulti war. Ob er die Ressorts neu vergibt, liegt allein in seiner Entscheidung. Der ÖVP-Klub schlug gestern VP-GR Andreas Wanker als neuen Stadtrat vor. Anzengruber ist ab sofort nur noch einfaches Gemeinderatsmitglied. Seinen Platz hat er zwischen seiner Mitstreiterin GR Mariella Lutz (Ex-VP) und Gerecht-GR Gerald Depaoli bezogen. Wanker war bereits einmal Stadtrat.
Den neuen Vizebürgermeister muss der Gemeinderat aus dem Kreis der sieben Stadtsenatsmitglieder wählen. Dies soll in der Januar-Sitzung geschehen. Als gesichert gilt, dass Wanker neuer 2. Vize wird. Er wird die Zeit bis zur Neuwahl überbrücken, aber bei der Wahl nicht antreten.
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