Er ist 17, sieht jünger aus - wie ein harmloser Bub. Aber er hat zwei Männer umgebracht, und er wollte noch mehr Menschen töten. „Ich bin eigentlich lieb“, sagt der Täter jetzt, „doch es muss auch etwas Böses in mir sein.“
Er spricht kaum, will nicht fernsehen, nicht lesen, isst wenig. Die meiste Zeit des Tages kauert Thomas A. (Name geändert) nun auf seinem schmalen Bett. Um dann manchmal plötzlich davon aufzuspringen und unruhig in seiner Einzelzelle in der Justizanstalt Josefstadt umherzugehen, sich dabei die Haare zu raufen oder an seinem Gewand herumzuziehen.
Kameras sind in dem Haftraum des 17-Jährigen installiert. Damit die Wachebeamten ihn rund um die Uhr beobachten - und im Notfall rasch einschreiten können. Der Notfall, den Gefängnispsychologen befürchten: ein Selbstmordversuch des Burschen.
„Ich tötete mit dem Eispickel-Griff“
Jenes Burschen, der sich am vergangenen Montag der Polizei gestellt und eine Beichte des Grauens abgelegt hat. „Ich bin der gesuchte Obdachlosen-Killer“, gab er - offenkundig stolz und reuelos - damals den Beamten zu Protokoll und er begann danach gleich, über seine Taten zu reden. Darüber, dass er im Juli und August - als er erst 16 war - zwei Männer erstochen und eine Frau schwer verletzt hat.
„Ich fing bereits“, so Thomas A. weiters im Verhör, „im Juni an, nach Opfern zu suchen.“ Nachts, in verschiedenen Gegenden von Wien. „Ich habe Unterstandslose - oft stundenlang - verfolgt und nur darauf gewartet, dass sie sich endlich zum Schlafen auf eine Bank oder in eine Wiese legten. Und dass sich niemand anderer in ihrer Nähe befand.“ Wenn diese „Voraussetzungen“ erfüllt waren - „was eben dreimal geschehen ist“ -, holte er sein Stiletto-Messer aus einer Scheide, die er an seinem rechten Bein befestigt hatte, „nahm es in den Eispickel-Griff“ und stach damit auf die Wehrlosen ein. „Sie schrien vor Schmerzen, ich attackierte sie so lange, bis ich dachte, sie hätten eh keine Überlebenschance mehr.“
In der Folge habe er sich „ruhig, um keine Aufmerksamkeit zu erregen“, von den Tatorten weggestohlen. Und der Bursch zeigte sich überrascht, als ihm Fahnder ein Video, auf dem er nach einem seiner Verbrechen zu sehen ist, vorspielten: „Ich hatte doch die Gebiete, in denen ich zuschlug, davor penibel ausgekundschaftet - im Hinblick darauf, ob sich dort Überwachungskameras befinden.“
„Und ja, wirklich“, erklärte der 17-Jährige außerdem, „eigentlich hatte ich vor, noch viel mehr Menschen umzubringen.“ Beispielsweise in Windischgarsten, wo er im Spätherbst für einige Wochen in einem Hotel als Service-Hilfskraft gearbeitet hatte: „Zu dieser Zeit fand dort ein Zeltfest statt, ich ging davon aus, dass ich eine betrunkene Person, die davon alleine heimgeht, entdecken würde. Ich fand aber keine.“
Thomas A.s Angaben zufolge dürften ihm also Alter, Geschlecht und die Herkunft der Menschen, die zu seinen Vernichtungszielen wurden oder werden sollten, egal gewesen sein, „mir war lediglich wichtig, dass ich von ihnen keine Gegenangriffe zu erwarten hatte“.
„Ich empfand bei meinen Taten Genugtuung“
Das Motiv für seine Horror-Delikte? „Ich war traurig, weil ich von niemandem Zuneigung bekam, und ich empfand Genugtuung dabei, zu wissen, dass jemand noch mehr leiden muss als ich.“
Warum sein - spätes - Geständnis? „Ich hatte nach meiner Rückkehr aus Oberösterreich bei einer Party ein wunderbares Mädchen kennengelernt, wir verliebten uns schnell ineinander, meine Freundin gab mir die Geborgenheit, nach der ich mich so lange gesehnt hatte - wodurch ich eine Art Wandel durchmachte. Mit einem Mal spürte ich keine Wut und keinen Zorn mehr in mir, ich wurde ruhig und sanft. Und zunehmend bereute ich meine Taten; letztlich spürte ich, dass ich zu dem, was ich gemacht hatte, stehen muss.
Cut. Vergangener Donnerstag, Thomas A. wird von seinem Verteidiger, Manfred Arbacher-Stöger, in der U-Haft besucht. Die beiden führen ein langes Gespräch miteinander. „Ein Gespräch“, wie der Anwalt danach sagte, „in dem sich mein Klient völlig anders gab als bei seinem Verhör. Nicht cool, sondern tief unglücklich.“
Die Lebensgeschichte des Täters
Der Bursch sei dabei von Weinkrämpfen geschüttelt gewesen, immer wieder habe er geschluchzt: „Mir tun meine Opfer entsetzlich leid. Wie konnte ich dazu fähig sein, ihnen so Schlimmes anzutun?“
Es scheine, so Arbacher-Stöger weiters, „dass sich mein Mandant erst jetzt der Tragweite des Geschehenen bewusst wird.“ Weil er nicht mehr unter dem Einfluss von Drogen stehe: „Er konsumierte bis zuletzt in rauen Mengen LSD, Ketamin, Ecstasy, Kokain und Heroin.“ Woher der 17-Jährige das Geld dafür hatte? „Er nahm ständig Mini-Jobs an.“
Was berichtete der Jugendliche noch dem Anwalt; was über sein Innerstes, was über sein bisheriges Leben? Thomas A.s Behauptungen zufolge, sei er in einer „problematischen Familiensituation“ aufgewachsen. Die Eltern - beide Staatsbedienstete - ließen sich früh scheiden. Die Mutter bekam die Obsorge für den Sohn übertragen, der Vater ein großzügiges Besuchsrecht zugesprochen. „Schon, meine Mama hat mit mir gespielt, als ich ein Bub war, und sie hat mich damals sogar häufig umarmt. Doch je älter ich wurde, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass sie mich nicht wirklich mag.“
Fakt ist: Seit er zehn war, wandte sich Thomas A. wiederholt an das Jugendamt; mit der Bitte, ihn aus seinem Zuhause zu befreien. Was nicht geschah: Denn Sozialarbeiter und Ärzte fanden niemals Hinweise, dass er dort psychisch oder physisch misshandelt würde. Und auch in dem Gymnasium, das er bis vor einigen Monaten besuchte, galt er nicht als ein Junge aus desolaten Verhältnissen.
Er galt im Gymnasium als ein „braver Schüler“
Weil er stets gut gekleidet war. Außerdem schrieb er ja gute Noten; und dass er sich in der Schule eher still zeigte und kaum Kontakt zu Mitschülern hatte, fanden seine Lehrer nicht alarmierend. Wie auch immer: Mit 13 ersuchte er seinen Vater, ihn bei sich aufzunehmen; der Mann, inzwischen abermals verheiratet und Vater einer Tochter, erklärte sich dazu bereit. Gegen den Willen seiner neuen Ehefrau.
„Ich merkte schnell, dass sie mich nicht mochte, als Eindringling betrachtete. Obwohl ich mich bestens mit meiner Schwester vertrug. Ich fand es schön, sie ein bisschen umsorgen zu dürfen, ich liebte sie einfach abgöttisch. So sehr, wie ich noch nie zuvor wen geliebt hatte.“
„Der Tod der Kleinen hat mich zerstört“
Fest steht: Das Mädchen wurde 2021, mit vier Jahren, ermordet; es wurde von seiner Mutter sediert und danach erschossen. „Die Gräueltat an der Kleinen“, so Thomas A., „hat mich zerstört.“ Um sich von der Tragödie abzulenken, „mich daraus ,wegzubeamen‘“, habe er, „als ich gerade mal 16 war“, damit begonnen, Suchtmittel einzunehmen: „Wenn ich ,drauf‘ war, spürte ich keinen Schmerz in mir. Und ich wurde mit der Zeit kalt - und immer kälter.“
In diesem Zustand der „totalen Gefühllosigkeit“ will der Bursch seine Kapitalverbrechen begangen haben - und am 18. September schließlich eine abscheuliche Tat an seiner Mutter. „Ich wohnte da schon längst wieder bei ihr, ich glaubte zu spüren, dass sie mich verachtet - und da wurde ich schrecklich wütend.“
Der 17-Jährige verprügelte die Frau brutal, er trat sogar noch mit seinen Füßen gegen ihren Kopf und den Oberkörper ein, als sie bereits wimmernd am Boden lag. Am Mittwoch fand zu diesem Vorfall gegen Thomas A. eine Verhandlung wegen des Vorwurfs der schweren Körperverletzung statt. Sie wurde vertagt. Aufgrund der viel massiveren Delikte, die er - wie mittlerweile bekannt ist - begangen hat, müssen demnächst mehrere psychiatrische Gutachten über ihn eingeholt werden.
„Ich weiß, dass ich ein guter Mensch bin. Aber ich glaube nun auch, dass etwas Böses in mir ist“, sagt der Bursch über sich, und: „Denn wäre das nicht so, hätte ich doch nicht den Drang verspürt, fürchterliche Dinge zu tun.“
„Aber er ist doch ein lieber Bub“
„Mein Sohn hat sich mir gegenüber stets empathievoll verhalten“, beteuert sein Vater. „Thomas war - bis zu dem Überfall auf mich - ein lieber Bub. Der oft Klavier spielte“, betont seine Mutter. „Meine Eltern kennen mich nicht; genauso wenig wie ich mich selbst“, schluchzt der 17-Jährige.
Jetzt sind jedenfalls Sachverständige am Wort. Sollten sie Thomas A. für zurechnungsfähig erklären, drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Bei zusätzlicher Diagnose einer Persönlichkeitsstörung dürfte er erst aus dem Gefängnis entlassen werden, wenn er als geheilt gilt. Bei Feststellung einer echten Geisteskrankheit würde er - für unbestimmte Zeit - in eine forensische Anstalt eingewiesen.
„Krone“: Ein Jugendlicher, der - einzig wegen seines Drangs zu töten - Menschen umbringt. Ein eher seltener Fall?
Rainhard Haller: Ja, solch ein Fall ist außergewöhnlich. Extrem außergewöhnlich. Und darum halte ich es für dringend notwendig, dass der Täter von mehreren Sachverständigen untersucht wird. Zudem wäre wichtig, ihn während der Untersuchungshaft in einer forensischen Anstalt unterzubringen. Wo er ständig unter der Beobachtung von Experten steht.
Denken Sie, dass Thomas A. psychisch abnorm ist?
Ich habe ihn nicht begutachtet, darum kann ich über ihn keine Diagnose stellen. Aber seine Handlungen und Aussagen sprechen - ich betone, lediglich aus der „Fernsicht“ - dafür, dass er zumindest an einer massiven Persönlichkeitsentwicklungsstörung leidet.
Eine „echte Geisteskrankheit“, wie etwa Schizophrenie, schließen Sie aus?
Nein. Schwerste Beeinträchtigungen können nämlich - wenn auch selten und von außen nicht leicht erkennbar - schon in frühem Alter ausbrechen.
Die Zukunftsprognosen für die Betreffenden?
Unterschiedlich. Bei manchen schlagen Therapien sehr gut an. Bei anderen wiederum gar nicht - und ihre Störungen verstärken sich.
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