Die „Krone“ vor Ort

Guatemala: Der harte Kampf für Veränderungen

Ausland
22.12.2023 09:43

Mit Unterstützung der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar war die „Krone“ Anfang Dezember in Guatemala, wo gerade ein politisches Erdbeben stattfindet und der frisch gewählte Präsident von den Amtsinhabern mit allen legalen und illegalen Mitteln verhindert werden soll. Ein Stimmungsbild von politischen Umbrüchen und der Hoffnung auf eine bleibende Veränderung.

Alex Garcia Aguilar steht standhaft vor einem einfachen Steckregal. Hinter ihm sind Tortillas, Reis und Mehl geschlichtet. Für das Foto ballt er die linke Faust als Zeichen des Widerstands, auf seiner Kappe und dem T-Shirt prangen selbst designte Logos in Regenbogenfarben, die für Diversität stehen. In einem schlichten Pavillon-Zelt bereitet der Politikwissenschaftsstudent mit Kommilitonen, Mitstreitern und Freiwilligen aller Altersstufen Essen für die Demonstrierenden zu, die sich schon Anfang Oktober am Fuße der Generalstaatsanwaltschaft niedergelassen haben. Hier befindet sich das Basislager des Widerstands. Ein scheinbarer Kampf gegen Windmühlen, der aber beherzt und entschlossen geführt wird.

Alex Garcia Aguilar steht im Pavillon, wo er freies Essen für die Demonstranten ausgibt. (Bild: Robert Fröwein)
Alex Garcia Aguilar steht im Pavillon, wo er freies Essen für die Demonstranten ausgibt.

Kampf gegen die Korruption
Am 20. August gewann Bernardo Arévalo mit seiner Partei Semilla („Samenkorn“) die Präsidentschaftsstichwahl in Guatemala. Satte 61 Prozent der Stimmen entfielen auf ihn - so viel wie noch nie für jemanden seit der Jahrtausendwende. Ganz oben auf seinem Wahlprogramm stand ein entschlossener Vorgang gegen das herrschende Korruptionssystem, das in Guatemala über die Jahre hinweg weite Kreise zog. Generalstaatsanwältin Consuelo Porras und Rafael Curruchiche, Leiter einer Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit, ließen Ende September eine Razzia beim Obersten Wahlgerichtshof durchführen und dabei kistenweise Wahldokumente beschlagnahmen.

Seit Monaten geht die leitende politische Elite rund um den noch amtierenden Präsidenten Alejandro Giammattei gegen Arévalos Amtseinsetzung vor und lässt keinen Winkelzug aus, um eine Veränderung im zerrütteten Staat Lateinamerikas zu verhindern. Erst vor wenigen Tagen legte die Generalstaatsanwaltschaft dem Obersten Wahlgericht einen Untersuchungsbericht über angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl im August vor. Zuvor war von einer Annullierung des gesamten Wahlprozesses gesprochen worden, doch das oberste Wahlgericht pochte auf die Gültigkeit der Wahl und die Tatsache, dass Arévalo sein Amt wie geplant am 14. Jänner antreten werde. Der 65-Jährige selbst sprach von einem „lächerlichen und perversen Putschversuch“. Der Volkszorn kocht zunehmend.

Eine wenig schmeichelhafte Botschaft für die Justiz in Guatemala (Bild: Robert Fröwein)
Eine wenig schmeichelhafte Botschaft für die Justiz in Guatemala

Protestpioniere
Um gegen Repressalien und Korruption anzukämpfen, schlossen sich unterschiedliche, großteils indigene Bevölkerungsgruppen zusammen, um auf sich und ihre Grundrechte aufmerksam zu machen. Im ständig besetzten Protestcamp wechselt man sich alle 24 Stunden ab, dafür werden teils horrende Fahrzeiten in Kauf genommen.

Ana Mariela Lopez Gallego etwa gehört dem Volk der Ixil an. Ihr Gebiet ist rund 300 Kilometer von Guatemala-Stadt entfernt und sie nehmen jedes Mal eine sechsstündige Busreise auf sich, um sich für Arévalo und eine faire Zukunft einzusetzen. „Wir haben als erste zum Protest aufgerufen und andere indigene Volksgruppe sind uns gefolgt“, erzählt sie uns stolz. Die Ixil sind stark politisiert und haben ihre Protestkultur im 36-jährigen guatemaltekischen Bürgerkrieg gestählt. Bei einem der zahlreichen Genozide kam Anfang der 80er-Jahre rund ein Sechstel der Ixil-Bevölkerung ums Leben.

Gebäude mit Symbolik: die Generalstaatsanwaltschaft in Guatemala-Stadt (Bild: Robert Fröwein)
Gebäude mit Symbolik: die Generalstaatsanwaltschaft in Guatemala-Stadt

Als wir das Camp betreten, ist alles ruhig. Plakate und Spruchbänder werden ausgerollt, Kaffee verteilt. Manchmal kommt nach der Ruhe Sturm. „Wir klären vor jeder Fahrt in die Hauptstadt die Sicherheitsfrage. Wie schützen wir uns gegen Tränengas und die eingreifenden Kampftruppen der Polizei? Wir bringen Essen und Getränke mit, aber auch Lautsprecheranlagen und Mikrofone, um uns zu artikulieren.“ Das Demonstrationscamp wird zwar täglich abwechselnd von verschiedenen indigenen Volksgruppen angeführt, aber frei nach dem „Open-Mic-Prinzip“ kann jeder sprechen und seinen Unmut kundtun - solange alles ohne Schimpfwörter und in einem niveauvollen Rahmen stattfindet. In Guatemala gibt es insgesamt 48 Kantone der indigenen Totonicapán. „Wir singen zuerst gemeinsam die Nationalhymne und holen uns dann mit einer Maya-Zeremonie Energie für den Tag“, so Gallego, „der gemeinsame Protest bringt die verschiedenen indigenen Volksgruppen unter uns näher zusammen. Er eint uns.“

Im Protestcamp vor der Staatsanwaltschaft versammeln sich verschiedene indigene Völker (Bild: Robert Fröwein)
Im Protestcamp vor der Staatsanwaltschaft versammeln sich verschiedene indigene Völker
Im Protestcamp vor der Staatsanwaltschaft versammeln sich verschiedene indigene Völker (Bild: Robert Fröwein)
Im Protestcamp vor der Staatsanwaltschaft versammeln sich verschiedene indigene Völker
Ana Mariela Lopez Gallego tritt für Veränderung ein (Bild: Robert Fröwein)
Ana Mariela Lopez Gallego tritt für Veränderung ein

Feinere Sensoren
In der Gemeinschaft ist der Widerstand gegen die herrschende Elite stärker. Die Demonstranten fordern den Rücktritt von vier korrupten Schlüsselpersonen, vom Staat gab es bis dato noch keine zufriedenstellende Antwort. Auffallend ist, dass besonders viele Frauen im Camp an der Demo-Front stehen. „Bei den Indigenen ergänzen sich Männer und Frauen“, erklärt uns Gallego, „Frauen haben zunehmend mehr Macht und es ist kein Widerspruch, die Proteste anzuführen. Wir Frauen spüren die Ungerechtigkeiten gegenüber uns Indigenen besser. Wir kümmern uns hauptsächlich um unsere Kinder und haben feinere Sensoren für all die Aspekte, bei denen die Regierung versagt hat.“ Wichtig ist ihnen friedvoller Protest. „Es gab bislang wenige Zusammenstöße, aber wir wenden nie Gewalt an.“ Laut Gallego schicke der korrupte Flügel des Polizeiapparats oft Maulwürfe unter die Protestanten, um sie gegenseitig aufzustacheln. „Wir lassen uns davon aber nicht beirren.“

Arévalo steht für Veränderung und Aufbruch. Er setzt sich für soziale Reformen ein. Guatemala kämpft nicht nur gegen die waidwunde Korruption, sondern auch gegen Emigration und Armut. Die österreichische Dreikönigsaktion unterstützt partnerschaftlich viele Organisationen im Land, die Lebenssituationen verbessern und eine gewisse Stabilität im Land herstellen wollen. Dazu gehören auch Bildung und das Entwickeln für ein politisches Bewusstsein. In Guatemala-Stadt ziehen die Demozüge in unregelmäßigen Abständen durch die Straßen. Als die „Krone“ vor Ort war, befand sich auch Präsident Arévalo inmitten der Menschenmessen. Es wurden Guatemala-Fahnen geschwenkt, Friedensparolen geschwungen und die als korrupt geltenden Amtsinhaber mit Teufelspuppen persifliert. Der Protestzug verlief friedlich, auch die Polizei war stark darum bemüht, keine Eskalationen aufkommen zu lassen.

Präsident Bernardo Arévalo inmitten der Demonstranten (Bild: Robert Fröwein)
Präsident Bernardo Arévalo inmitten der Demonstranten

Visabeschränkungen in Kraft
Eine Verhinderung Arévalos als Präsident würde ganz Zentralamerika durchrütteln. Dort haben sich über die Jahre zunehmend demokratische Strukturen erweitert, eine verhinderte Amtsübernahme würde dem Kontinent zusetzen. Die US-Regierung, aber auch die EU machen international bereits gewaltig Druck. Im EU-Parlament wurde unlängst sogar erhoben, den ökonomischen Teil des Freihandelsvertrags der EU mit Guatemala auszusetzen. Die USA, deren Haltung während des 36-jährigen Bürgerkriegs in Guatemala keinen schlanken Fuß machte, sind ebenso gewarnt und haben fast 300 guatemaltekische Staatsangehörige mit Visabeschränkungen belegt. Darunter befinden sich 108 der insgesamt 160 Abgeordneten. Auf der sogenannten Engel-Liste korrupter und undemokratischer Akteure der US-Regierung stehen unter anderem Generalstaatsanwältin Porras. Auch die Vereinten Nationen zeigen sich zunehmend unmissverständlich.

Während sich die Zukunft Guatemalas weiterhin im Ungewissen befindet, unterstützt Alex Aguilar die Protestanten unermüdlich mit Speisen und als Gesprächspartner. Lebensmittel und monetäre Spenden sind wichtig, immerhin teilen die Freiwilligen mittags ca. 150 Essen aus. „Jeder kann helfen und ist willkommen. Wir geben auch den Migranten und Obdachlosen zu essen.“ Aguilar hofft auf einen Wandel, weiß aber genau, dass eine Präsidentschaftsfunktionsperiode in Guatemala nur vier Jahre dauert und eine direkte Wiederwahl ausgeschlossen ist. „Der Staat ist korrupt und von innen heraus verfault. Die Straflosigkeit wurde zum Geschäft und Änderungswünsche gingen bei einem Ohr rein, beim anderen wieder raus. Arévalo wäre aber wichtig, um erste Schritte zu tun. Den Samen für Veränderung zu setzen. Darauf könnte man aufbauen.“

Lautstarke Meinungsäußerungen beim Protestmarsch (Bild: Robert Fröwein)
Lautstarke Meinungsäußerungen beim Protestmarsch
Guatemala befindet sich im Umbruch (Bild: Robert Fröwein)
Guatemala befindet sich im Umbruch

Momente der Angst
Die Beliebtheit des gewählten Sozialisten fußt mitunter auf Guatemalas Demografie. Der Altersmedian im zentralamerikanischen Staat lag 2022 bei ca. 22,4 Jahren - in Österreich ist er etwa bei 43,2 Jahren. Die Jungen fühlen sich zurückgelassen und wollen endlich Veränderungen. „Wir Jungen sind der Hauptgrund, dass Arévalo gewählt wurde. Durch das Internet und die Social-Media-Kanäle sind wir besser vernetzt und informiert. Es ist heute wesentlich einfacher, das Weltgeschehen aus mehreren Perspektiven zu beobachten.“ Mit seinem Aktivismus und der offen zur Schau gestellten Nähe zu Diversität und Homosexualität sticht Aguilar heraus. „Es gibt Momente der Angst und Frustration, aber man muss durchhalten, sonst ändert sich nie etwas.“ Am 14. Jänner sollte Arévalo in seinem Amt als Präsident rechtmäßig inthronisiert werden. Jede Abweichung davon würde das Land nur noch tiefer in die Krise stürzen.

Alex Garcia Aguilar vor dem großen Kochtopf (Bild: Robert Fröwein)
Alex Garcia Aguilar vor dem großen Kochtopf

Die Reise nach Guatemala wurde von der Dreikönigsaktion unterstützt. 500 Sternsingerprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika helfen notleidenden Menschen, deren Armut sich durch die Klimakrise drastisch verschlimmert hat. Diese Unterstützung kann jederzeit mit einer Spende auf das Spendenkonto der Dreikönigsaktion (IBAN: AT23 6000 0000 9300 0330) oder online auf sternsingen.at/spende erfolgen.

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