Immer wieder tauchen in den Medien spektakuläre Berichte über enttarnte Spione auf. Häufig anzutreffen sind auch Analysen von Geheimdiensten, die etwa das Kriegsgeschehen in der Ukraine und im Nahen Osten beleuchten. Für viele scheint der Agenten-Job ganz weit weg von uns zu passieren. Manche meinen gar, er sei nur eine Erfindung der Filmindustrie - James Bond kann es doch nicht wirklich geben. Oder etwa doch? krone.at hat mit einem Kenner geplaudert und dabei packende Details ans Tageslicht befördert.
Zahlreiche Mythen ranken sich um das Leben als Geheimagent. Bestimmt hat sich der eine oder andere schon dabei ertappt, Sympathien mit dieser geheimnisvollen Welt zu entwickeln und sich insgeheim gewünscht, vielleicht auch einmal von einem Dienst angeworben zu werden. „Geheimdienste bestehen aber nicht nur aus Leuten, die mit Knarren herumlaufen und lauter komische Sachen machen“, räumt der Wissenschaftler und Geheimdienstkenner Dieter Bacher im Gespräch mit krone.at mit gängigen Vorurteilen auf. Sie sind viel mehr ein riesiges Netzwerk, das auf Know-how aus den verschiedensten Bereichen baut. Besonders brisant: Für manche Jobs kann man ganz einfach eine Bewerbung abschicken - so arbeiten laut dem Forscher etwa der US-Auslandsgeheimdienst CIA oder britische Dienste.
Dem Historiker Dieter Bacher hat es dieses Thema im wahrsten Sinne des Wortes angetan. Seit knapp zwei Jahrzehnten untersucht er eifrig vor allem die Aktivitäten von Geheim- und Nachrichtendiensten in Österreich in der Zeit des Kalten Krieges. Bei Konferenzen, wo Wissenschaftler auch manchmal mit Vertretern von Geheimdiensten zusammentreffen, fällt ihm immer wieder auf, dass sein Wissen aus der Vergangenheit in vielen Bereichen noch immer aktuell ist. Für krone.at gewährt er nun Einblicke.
Was kann man aus der Geschichte lernen?
„Im Bereich der Human Intelligence, wo es um die Informationsgewinnung über den Menschen geht, sagen die Leute aus dem Geschäft, dass sich seit dem Kalten Krieg die Technologie, die sie verwenden können, verändert hat“, gibt Bacher zu bedenken. Smartphone, Computer und Internet eröffnen ganz andere Möglichkeiten der Kommunikation. „Aber das eigentliche Geschäft, die eigentliche Methode, das eigentliche Handhaben eines Informanten oder eines Agenten, wenn man so will, hat sich nicht wirklich verändert“.
Kann man also offen sagen, dass man für einen Geheimdienst arbeitet?
Die meisten, die für einen Dienst arbeiten, würden das nicht an die große Glocke hängen. Allerdings sei es keine Seltenheit, dass sich Leute etwa bei Geheimdienstkonferenzen zu ihrem Background bekennen - „wie das abläuft und welche Erkenntnisse für sie interessant sind“, so Bacher. Namen und Operationen würden nicht genannt, das wäre ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht. Über die Methoden und Zugänge sei jedoch ein Austausch möglich.
Sind das dann automatisch Spione?
„Aber nicht jeder, der für einen Geheimdienst arbeitet, ist ein Spion“, will Bacher dem Irrglauben eine Absage erteilen. Der Begriff „Spion“ sei durch die Populärkultur sehr gefärbt. „Man hat da gleich Vorstellungen à la James Bond“, so der Historiker. In Wahrheit sei ein Spion jemand, der im operativen Bereich eingesetzt sei, sprich, die Feldarbeit mache. Diese bestehe aus Treffen mit Informanten, die eventuell das eine oder andere gestohlene Dokument übermitteln können. Das sei allerdings nicht die ganze Arbeit eines Geheimdienstes, sondern nur ein kleiner Teil davon.
Wie komme ich zu einem Geheimdienst? Wie wird man angeworben?
Es gibt laut Bacher mehrere Wege, die zu einem Geheimdienst führen. Der simpelste: Man könne sich dort bewerben wie bei jeder anderen Behörde.
Begibt sich der Dienst selbst auf die Suche nach Personal im Analysebereich, schaut er demnach gerne an Universitäten vorbei und nimmt Studienrichtungen, wo es ein gewisses Know-how gibt, unter die Lupe. Relevant seien in erster Linie wissenschaftliche Methode und Kenntnisse von Sprachen und Kulturen, die für den Geheimdienst von Bedeutung sind. Nicht selten komme es vor, dass Leute gleich von der Uni weg rekrutiert werden. „Sie sprechen einfach Studenten an und sagen, es gäbe im Dienst in dem Bereich Möglichkeiten“, konkretisiert der Historiker gegenüber krone.at. Das seien dann Jobs für richtige „Nerds“, die den ganzen Tag vor Aktenbergen säßen und versuchen müssten, die dokumentierten Informationen einzuordnen.
Eine andere Komponente sei die Suche nach Personen, die wertvolle Informationen liefern können - und diese gestalte sich weit schwieriger und berge mehr Risiken. Als Grundmodell für die Motivation, dem Geheimdienst als Informant zur Verfügung zu stehen, würde das sogenannte MICE-Modell der Amerikaner herangezogen. Mit den kleinen Nagetieren hat es allerdings nichts gemein. Sondern es beschreibt die vier Hauptfaktoren, die Leute sozusagen „anziehen“: Money (Geld), Ideology (Ideologie), Coercion (Erpressung) und Ego.
Dieter Bacher ist Historiker am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung und der Universität Graz sowie Forscher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) in Graz. Zur Zeit forscht er im Rahmen eines vom österreichischen FWF geförderten Projektes zu tschechoslowakischen Nachrichtendiensten in Österreich während des Kalten Krieges.
Das berühmte MICE-Modell
Der Faktor Geld gilt als einfachste Schiene, birgt jedoch gewisse Tücken. „Es ist ein sehr schlechter Motivator, da er unzuverlässig ist“, fasst Bacher zusammen. Sobald jemand mehr „Kohle“ bieten könne, stehe die Loyalität auf der Kippe. So auch, wenn jemand zu dem Schluss gelange, nicht ausreichend für die Arbeit entlohnt zu werden.
Weitaus besser funktioniert die Rekrutierung über die Ideologie: „Wenn Leute von etwas überzeugt sind, kann man sie sehr zuverlässig an eine Sache binden.“ Der Nachteil sei hier, dass man Personen finden müsse, die wirklich für das Thema brennen.
Davon ist man, wenn man die Erpressung wählt, nicht abhängig. Hierfür würde eine „klassische Falle“ gestellt, um dann Druck auszuüben. Laut Bacher kennt man das aus dem diplomatischen Dienst sehr gut. Etwa, wenn jemand eine Affäre eingehe. Dann könne der Dienst kompromittierendes Material sammeln und den Betroffenen dazu bewegen, relevante Informationen preiszugeben. Das Verfahren sei relativ aufwendig, da die spannende Person über einen gewissen Zeitraum beobachtet werden müsse. Nicht immer rechnet sich die investierte Zeit. „Sobald die Person eine Exit-Strategie sieht, ist es vorbei“, erklärt der Kenner. Manche legten auch einfach die Karten offen auf den Tisch - dies sei in der Geschichte etwa einmal bei einem verheirateten Diplomaten der Fall gewesen. Dieser sei nach einer heißen Liebesnacht mit einer anderen Frau vom gefürchteten russischen Geheimdienst KGB mit sehr freizügigen Beweisfotos, die die Turteltäubchen in flagranti zeigten, erpresst worden. „Ja, was soll man machen“, sei seine abgebrühte Reaktion gewesen. Infolge habe er seinem Arbeitgeber die Situation offen geschildert. Das sei sozusagen ein „Game over“ für den KGB gewesen, so der Wissenschaftler.
Ist der Geheimdienst mit diesen Mitteln hingegen erfolgreich, kann es für den Informanten unschön werden. „Es gibt genug naive Leute, die glauben, sie kommen da raus, wenn sie Material liefern“, gibt der Historiker zu bedenken. Eine Erpressung endet aber nicht so einfach. Der Dienst habe, sobald man für ihn tätig wird, wieder etwas in der Hand - schließlich sei man von da an ein Spion.
Die Ego-Methode schlage gut bei unzufriedenen Leuten an, die im Job nicht weiterkommen und das Gefühl haben, ständig übergangen zu werden. Das A und O sei hier Bauchpinseln mit Aussagen wie: „Du bist jemand. Wir brauchen und schätzen dich.“ Bacher zufolge kann das erstaunlich gut funktionieren - sofern derjenige wirklich glaubt, „er wird der große Zampano“.
Was macht man als „klassischer Spion“?
Grundsätzlich gehe es bei der Arbeit für einen Nachrichtendienst um das Sammeln und Auswerten von Informationen. Vertrauenswürdigkeit ist bei der Tätigkeit gar nicht so wichtig, wie man vielleicht glaubt. Demnach muss die Person einfach liefern können, was benötigt wird. „In der Geschichte waren das oft irgendwelche Kleingauner, richtige Strizzis“, erklärt Bacher.
Grob unterschieden existierten zwei Arten von Spionen. Zum einen gebe es die, die an einer diplomatischen Vertretung arbeiten und dort neben dem Tagesgeschäft auch Aufgaben für den Geheimdienst erfüllen. „Die eigene diplomatische Vertretung weiß über die Tätigkeit in dem Feld Bescheid und die Leute genießen diplomatischen Schutz“, erläutert Bacher. Wenn nun der Gaststaat auf die Spionage aufmerksam wird, könne er den Agenten nur zur Persona non grata erklären und ausweisen. Vom eigenen Staat seien natürlich keine Nachteile zu erwarten. „Dies haben wir im Zuge des Ukraine-Krieges gesehen, wo zahlreiche Mitarbeiter von russischen Botschaften wegen Spionage des Landes verwiesen wurden“, führt der Kenner vor Augen. Die betroffenen Mitarbeiter würden nach einer gewissen Pause wieder an einer anderen Station eingesetzt. Das sei nicht weiter dramatisch - „den Leuten in der Diplomatie ist bewusst, dass das so läuft“, so Bacher.
Deutlich riskanter ist hingegen die zweite Variante. Hier habe der Spion einen „normalen“ Job - entweder als Unternehmer, als Mitglied in einem Verein oder einer Freundschaftsgesellschaft. Nebenbei sammle er Informationen für den Nachrichtendienst, genieße dabei allerdings keine diplomatische Immunität. Fliegt die Spionage auf, seien sehr schwere Konsequenzen zu befürchten. Es komme dann zu Gerichtsverfahren und teilweise zu hohen Strafen.
Wichtig: Wissen, wann genug ist
Insgesamt ist die durchaus aufregende Tätigkeit als Spion ein harter Job, der, selbst wenn man nicht enttarnt wird, ein Ablaufdatum hat. Die wenigsten halten diese Belastung, den Druck, dauernd liefern zu müssen und den Stress demnach länger als sechs Jahre aus. Auch kämen die Leute nach einer gewissen Zeit mit dem Doppelleben, der Fassade und der ewigen Geheimniskrämerei nicht mehr klar. Ganz zu schweigen von den gefürchteten Konsequenzen, die zermürben - schließlich kann man ohne diplomatischen Schutzmantel jahrelang in den „Häfn“ wandern. Deswegen sei es besser, irgendwann die Reißleine zu ziehen. „Denn sonst passieren verhängnisvolle, depperte Fehler“, warnt Bacher abschließend.
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