Weltweite Empörung
Timoschenko-Haft: Ukraine droht jetzt EM-Boykott
Die Ukraine ist gemeinsam mit Polen von 8. Juni bis 1. Juli Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft. Dem "Spiegel" zufolge erwägt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, bekannt für ihre Fußball-Begeisterung, für den Fall, dass Timoschenko nicht für eine angemessene medizinische Behandlung (siehe Infobox) freigelassen wird, den Spielen in der Ukraine fernzubleiben. Der Polit-Boykott der Kanzlerin soll demnach für das ganze Kabinett gelten - fährt die Kanzlerin nicht, fahren die anderen Minister auch nicht.
EU-weiter Boykott gefordert
Sollte die Ukraine hart bleiben, fordert auch der SPD-Chef Sigmar Gabriel alle deutschen Politiker zu einem Boykott der EM-Spiele in der Ukraine auf. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles ging noch einen Schritt weiter und sprach sich in einem TV-Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters bereits dafür aus, einen EU-weiten Boykott der Ukraine während der EM zu organisieren.
Aus Regierungskreisen heißt es indessen, man wolle sich keine Boykottdebatte aufzwingen lassen, berichtete das ZDF am Montag auf seiner Website. Man sei sich aber bewusst, dass es schlecht aussehen würde, wenn auf einer Fußballtribüne deutsche Minister neben ihren ukrainischen Amtskollegen sitzen würden, während wenige Kilometer entfernt Frau Timoschenko im Gefängnis leide.
In Österreich betonte der Sprecher von Sportminister Norbert Darabos, Stefan Hirsch, am Montag, es "gab nie Pläne und gibt auch keine Pläne" für einen Besuch des Ministers bei der Europameisterschaft.
Deutscher Minister: "Österreich und Deutschland als Ersatz"
Doch auch ein Fernbleiben der deutschen Ministerriege reiche laut "Spiegel" manchen Politikern unseres Nachbarlandes nicht aus. Demnach werden sogar Stimmen laut, die die Ukraine als Spielort grundsätzlich infrage stellen. "Man sollte überlegen, ob neben dem Austragungsort Polen nicht auch in Österreich oder Deutschland gespielt werden kann", wird Sachsen-Anhalts Innen- und Sportminister Holger Stahlknecht in der "Mitteldeutschen Zeitung" zitiert. Und auch Entwicklungsstaatssekretärin Gudrun Kopp plädierte im "Westfalen-Blatt" für eine Verlegung der Spiele aus der Ukraine: "Noch ist Zeit dafür."
ÖFB-Boss: "Die Gerüchte sind absolut illusorisch"
Für den ÖFB hingegen ist die angedachte Verlegung von Spielen kein Thema. Wie der Fußballbund am Montagabend mitteilte, sei daran nicht zu denken. "Die Gerüchte, dass Österreich für die Ukraine als Gastgeber der EM einspringen könnte, sind absolut illusorisch", erklärte Präsident Leo Windtner in einer Aussendung am Nachmittag und untermauerte damit auch die Position des europäischen Fußballverbandes UEFA.
"Erstens ist eine mögliche Absage oder Verlegung Thema der UEFA und liegt somit klar außerhalb unseres Kompetenzbereiches, und zweitens wäre eine EM-Endrunde, trotz aller Erfahrung aus der EURO 2008, aus organisatorischer Sicht in dieser Kurzfristigkeit definitiv nicht realisierbar", präzisierte Windtner und nahm die Politik in die Pflicht: "Hier ist in erster Linie die Politik gefordert. Sie muss vorangehen und mögliche Schritte setzen. Der Sport kann maximal moralische Unterstützung leisten, aber alleine sicherlich keine menschenrechtlichen Themen lösen - das ist auch gar nicht seine Aufgabe."
Italien kämpferisch, Polen schweigt, Ukraine empört
Das deutsche Bundespresseamt wollte sich zu den Forderungen nach einem politischen Boykott bislang nicht äußern. Ein Regierungssprecher verwies am Montag lediglich darauf, dass es derzeit keine konkreten Reiseplanungen der Kanzlerin gebe. Auch in Polen, Co-Gastgeberland der EM, herrscht zu einem möglichen Boykott Schweigen.
Am späten Nachmittag mehrten sich dann jedoch auch in Italien Forderungen nach einem Boykott. "Wenn Menschenrechte und demokratische Prinzipien verletzt werden, darf der Sport nicht einfach wegschauen", sagte etwa der italienische Sportminister Piero Gnudi. Dies wird von Italiens stärkster Einzelpartei "Volk der Freiheit" um Ex-Premier Silvio Berlusconi unterstützt. "Diesmal sind wir mit Bundeskanzlerin Angela Merkel einverstanden. Wer behauptet, dass Sport nichts mit Politik zu tun haben darf, täuscht sich", erklärte Fabrizio Cicchitto, der Fraktionschef in der Abgeordnetenkammer.
In der Ukraine reagierte man mit lautstarkem Unverständnis auf die Boykott-Berichte. Auf die entsprechenden Aussagen in Deutschland angesprochen, empörte sich der Sprecher des Außenamts in Kiew, Oleg Woloschin, am Montag: "Man will gar nicht daran denken, dass die Staatsmänner Deutschlands fähig sind, die Methoden der Zeiten des Kalten Krieges wiederzubeleben und zu versuchen, den Sport zu einer Geisel der Politik zu machen."
Fußballfan Barroso reist nicht zur EM
Montagmittag kam dann die erste EM-Absage aus Brüssel. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, wie Merkel ein bekennender Fußballfan, wird wegen der Lage in der Ukraine bis auf Weiteres nicht in das Land reisen, erklärte seine Sprecherin. Die Mitglieder der EU-Kommission hätten jedoch keinen offiziellen Beschluss zu einem politischen Boykott getroffen, betonte sie. Die EU-Behörde habe aber "sehr, sehr große Sorgen über das, was derzeit in der Ukraine passiert".
Fischer und Amtskollegen bleiben Gipfeltreffen fern
Angesichts der Inhaftierung Timoschenkos gerät die Ex-Sowjetrepublik auch abseits der EM unter Druck. So haben mehrere europäische Staatsoberhäupter erklärt, einem geplanten Gipfeltreffen Mitte Mai im ukrainischen Jalta fernzubleiben - darunter Bundespräsident Heinz Fischer, sein deutscher Amtskollege Joachim Gauck und der tschechische Präsident Vaclav Klaus. Auch der slowenische Präsident Danilo Türk wird nicht an der Konferenz teilnehmen. Dagegen plant der slowakische Präsident Ivan Gasparovic seinem Sprecher zufolge "zumindest vorläufig" keine Absage. Noch keine Entscheidung trafen bisher die Staatschefs Estlands und Lettlands.
Medwedew: Umgang mit Timoschenko "völlig inakzeptabel"
Der russische Präsident Dmitri Medwedew nannte den Umgang des Nachbarlands mit Timoschenko "völlig inakzeptabel". Der Staatschef bezeichnete die Situation als "höchst befremdlich". Der Kreml hatte bereits mehrfach massive Kritik am Prozess gegen Timoschenko geäußert. Sie war im Vorjahr wegen angeblich einseitiger Gasverträge zugunsten Russlands zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.
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