„Krone“ vor Ort dabei
Guatemala: Gegen Armut und stete Emigration
Der lateinamerikanische Staat Guatemala leidet unter Armut, Korruption und Abwanderung. Mithilfe finanzieller Unterstützung der Dreikönigsaktion haben sich Stiftungen und Initiativen vor Ort zusammengeschlossen, um vor allem Indigenen im ruralen Raum wirtschaftlich, politisch und humanistisch unter die Arme zu greifen. Die „Krone“ machte sich ein Bild von der aktuellen Lage.
Die Hitze des tropischen Nordens zieht sich wie ein unsichtbarer Schleier hinunter ins hügelige Bergland Quetzaltenangos. In der Mittagszeit heizt die Sonne auch im Dezember erbarmungslos vom Himmel. Hier, im Südwesten Guatemalas, arbeiten junge Menschen für eine hoffnungsvolle Zukunft. Im Schatten dichter Mango-, Papaya- und Kakaobäume führt uns Denis Hernandez steilstufige Stiegen hinab zu seinen selbstgebauten Kompostbeeten. Dort züchtet der 23-Jährige kalifornische Rotwürmer, die sich als feinste Dünger für Pflanzen aller Art eignen und besonders stark bei in dieser Gegend häufig vorkommenden Kaffeebäumen wirken. Vor drei Jahren begann er mit seinem Start-up und erfreut sich seither über ansteigende Erfolge. Den Feststoffdünger verkauft er für 130 Guatemaltekische Quetzal pro Sack (was etwa 15 Euro entspricht) an Nachbarn und Anrainer. Je nach Wurmpopulation kann er pro Halbjahr meist sieben Säcke verkaufen. „Eigentlich könnte ich 150 verlangen, aber für die Nachbarn mache ich einen Sonderpreis“, lacht er verschmitzt.
Kampf gegen die Chemie-Industrie
Doch nicht nur der Dünger bringt ihm wichtige Einnahmen. Pro Tag sammelt er in seinen beiden Becken etwa 15 bis 20 Liter Wurm-Urin zusammen, der als Düngespritzmittel eingesetzt wird. „Man verspritzt ihn bodennah bei der Pflanze, die dadurch schneller wächst, stärker und resistenter wird“, erklärt er uns, „außerdem ist es ein gutes Mittel gegen Pilzerkrankungen.“ Mit seinem natürlichen Dünger kämpft Denis in kleinem Rahmen gegen die chemischen Industrieprodukte an, die im ganzen Land weit verbreitet und in großen Mengen auch preisgünstiger zu erstehen sind. Das Interesse an seinen Produkten sei da, aber es mangelt noch an der richtigen Präsentation und der Bewerbung. „Die Leute wollen mehr Details haben und wissenschaftliche Belege, daran fehlt es mir noch.“ Dass Denis, der nach einer langen Krankheit vier Jahre lang nicht die Schule besuchen konnte, seine Familie mit dem Wurmdünger überhaupt unterstützen kann, verdankt er nicht zuletzt der Stiftung „Fundación Tierra Nuestra“.
Die 2013 ins Leben gerufene Stiftung wird von den Spenden der österreichischen Sternsinger unterstützt und hilft vorwiegend indigenen Jugendlichen im kleinbäuerlichen Rahmen eine unternehmerische Zukunft aufzubauen. Nicht nur Wurm-, Hühner- und Fischzuchtbetriebe wurden damit bereits begründet, auch Konditoreien oder Schuhmacherbetriebe. Die Organisation stützt sich auf drei Hauptfelder. Man will die Jugendlichen humanistisch ausbilden, sie aktiv ins politische Tagesgeschehen integrieren, um ein Bewusstsein für Politik und die damit einhergehende eigene Zukunft zu schaffen und eine ökonomische, möglichst umweltfreundliche Schiene unterstützen. Schulbildung wird mit politischem und unternehmerischem Verständnis gekoppelt. Wer eine schlüssige Idee für ein Start-up hat, bekommt von der Projektorganisation 500 Quetzal Startkapital und kann sich damit den Grundstock für ein Unternehmen schaffen.
Unterstützung für Willige
Liz Coronado Ramirez begleitet als Projektkoordinatorin die Jugendlichen auf dem Weg zur wirtschaftlichen und politischen Selbstständigkeit. „Wir geben den Menschen ein Startkapital und helfen ihnen bei der Umsetzung.“ Unterschiedliche Jugendliche kommen zusammen und können sich mit ihren kleinen Unternehmen quervernetzen. Spezialisten aus der Wirtschaft und der Agrarökonomie helfen in rechtlichen Fragen, wie man einen Businessplan aufstellt oder welchen Sinn eine Marktstudie macht. „Es geht bei diesen Projekten nicht um Gewinnmaximierung, sondern in erster Linie um eine soziale Absicherung“, so Ramirez, „sie legen Geld zur Seite, können in gewissen Bereichen reinvestieren und erlernen einfache Einnahmen/Ausgaben-Rechnungen.“ Die Kriterien dafür? Unterstützt werden 16- bis 29-Jährige, die sich willig zeigen und auch die vorhandenen Fortbildungsmöglichkeiten besuchen und nützen. Sollte wider Erwarten zu viel Andrang sein, gibt es eine Warteliste.
Im Fall von Denis ging die Unterstützung bislang voll auf, auch wenn „das ökologische Bewusstsein in Guatemala nicht besonders ausgeprägt ist“, wie uns Ramirez erklärt, weshalb der Verkauf seiner Düngemittel schwierig zu bewerkstelligen ist. Vom Start-up alleine kann Denis nicht leben. Sein Vater hat Grundbesitz und er ist regelmäßig zur mühsamen Feldarbeit eingeteilt. „Für die Arbeiten auf den Kaffeeplantagen werde ich bezahlt. Dieses Geld investiere ich in meine Würmer.“ Wichtig ist, sie gut zu füttern, wodurch sie sich etwa alle 20 Tage vermehren. Dass die Nachzüchtung so gut funktioniert, liegt mitunter auch daran, dass in diesem Teil des Landes durch die vielen Vulkane und der ertragreichen Fauna keine Wasserknappheit herrscht - alles andere als eine Selbstverständlichkeit in Guatemala. Für seine Anlage hat Denis bereits Pläne, auf die er eisern hin spart: Eine Schlauchanlage mit einem Sprühsystem, die seine Kompostbeete feucht hält. „Und vielleicht steigert sich ja das Vertrauen in Flüssigdünger“, hofft er, „die Nachfrage steigt jedenfalls.“
Konstante Abwanderung
Projekte wie diese verbessern nicht nur die Situation des Individuums, sondern dienen Guatemala als Staat an sich. Im Land herrschen nicht nur Armut und politische Korruption, auch ein eklatanter Arbeitskräftemangel schwächt die Wirtschaft. Zehntausende Menschen verlassen jedes Jahr das lateinamerikanische Land, um ihr Glück in den USA zu suchen. Die meisten fliehen vor Armut, Gewalt und Kriminalität, andere erhoffen sich in Nordamerika bessere Löhne, angenehmere Jobs oder eine Familienzusammenführung mit jenen, die sich legal oder illegal dort festsetzen konnten. Die Armut ist in Guatemala vor allem indigen und ländlich - das hat sich nach Ende des grausamen Bürgerkriegs in den 90er-Jahren nicht verändert. Allein 2022 schickten guatemaltekische Migranten rund 18 Milliarden US-Dollar in ihre alte Heimat. Das macht etwa ein Fünftel des gesamten Bruttoinlandsproduktes aus. Die von illegalen Banden organisierte Reise gen USA ist riskant und endet vielfach mit sexualisierter Gewalt, Ausbeutung oder gar Tod.
Der Kreislauf ist fatal. Viele arme Menschen haben keine Chance auf Arbeit. Andere, die Arbeit haben, werden furchtbar bezahlt - ergo folgt die Hoffnung, es in Nordamerika besser zu haben. Diese trostlose Perspektive trieb auch Adonias Ortiz Santizo zur Flucht. Geschafft hat er den Grenzübertritt auch nach drei Versuchen nicht. Das erste Mal probierte er es im Juni 2020, das zweite Mal wenig später. Beide Male wurde er aufgegriffen und mit unvergesslichen Erlebnissen konfrontiert. „Beim ersten Versuch wurde ich 28 Tage lang in einem Auffanglager eingesperrt, bevor ich über Mexiko und Guatemala-Stadt wieder in mein altes Department San Marcos kam. Ich bekam von der Regierung Schuhe und Kleidung, hatte aber überhaupt kein Geld.“ Für Adonias war klar, es sofort wieder zu versuchen. Seinem Schlepper zahlte er im Vorfeld rund 25.000 Quetzal (knapp 3000 Euro) für insgesamt drei Versuche. Alternativen sah er keine. „Meine Eltern und zwei meiner Schwestern sind illegal in den USA, eine Schwester arbeitet bei einem Fastfood-Riesen“, erzählt er, „aufgrund der nicht vorhandenen beruflichen Chancen in Guatemala will ich auch dorthin.“
Erneutes Scheitern
Bei seinem zweiten Versuch schaffte er es fast bis über die mexikanisch-amerikanische Grenze. Auf dem Weg dorthin versteckte er sich einen Monat lang in einem verlassenen Haus auf mexikanischem Gebiet, wurde von Infrarot-Drohnen verfolgte, schürfte sich Arme und Hände auf und wurde nur wenige Meter vor dem Übertritt erneut erwischt. Eine Tortur. „Ich musste mich komplett ausziehen, aber meinen Rucksack durfte ich mitnehmen. Wir waren zu zweit und wurden dann zwei Stunden in einem kalten Raum eingesperrt, den wir den ,Eiskasten‘ nannten, dann wurden wir einzeln befragt.“ Von seinem Schlepper bekam Adonias einen mexikanischen Ausweis für einen dritten Versuch ausgehändigt, der ihm dienlich war. „Dadurch hat man mich schneller nach Mexiko zurück verfrachtet, von wo es wieder zurück nach Guatemala ging.“ In San Marcos schöpfte der 26-Jährige danach kurz Hoffnung. Er erlernte das PC- und Handyreparieren und kam bei einem Architekten unter, wo er die IT-Planung übernahm. Dieser verstarb aber an Covid, wodurch Adonias wieder arbeitslos war.
„Mir ist die Familienzusammenführung wichtiger als das Leben hier“, erklärt er uns und gibt deutlich zu verstehen, dass er trotz all der Mühen, Rückschläge und Gefahren auf jeden Fall einen weiteren Fluchtversuch gen USA unternehmen wird, „ich will hier nicht auf dem Land leben, habe keine Perspektiven.“ Mittlerweile koste ihm die Schlepperhilfe rund 5000 US-Dollar. Bekam er das Geld damals noch von den Eltern geschickt, muss er es jetzt erst zusammenkratzen. „Ich glaube fest daran, dass ich es schaffen kann.“ Adonias zeigt exemplarisch auf, wie hoffnungslos die Lage für junge Menschen in Guatemala ist. Doch der Schritt nach Amerika sollte kein dauerhafter sein. „Ich will meinen Vater kennenlernen, der in North Carolina lebt und im Bauwesen arbeiten. Dort suchen sie immer günstige Arbeitskräfte. Ich möchte so viel Geld wie möglich verdienen, um irgendwann wieder nach Guatemala zurückkehren zu können.“ Dass schon so viele beim Auswanderungsversuch gestorben sind, schreckt ihn nicht ab. „Ich sehe für mich keine andere Möglichkeit.“
Von der Emigration zur Intensivpflege
Einen gescheiterten Fluchtversuch nach Amerika kann auch Orelio Godínez verbuchen. Der heute 25-Jährige wagte den Schritt bereits mit 16, um die Situation seiner Familie in seinem Heimatdorf zu verbessern. Um den Schlepper zu bezahlen, nahm er bei der örtlichen Bank einen Kredit auf. Einige Zeit später kam er zurück: abgeschoben und hoch verschuldet. Seiner Mutter Bernarda ist es zu verdanken, dass Orelio nach dem gescheiterten Fluchtversuch in der Heimat blieb und die Familie das wenige Geld lieber in seine Bildung investierte. Aktuell macht er eine Ausbildung zum Intensivkrankenpfleger, ein 18-Stunden-Turnus ist keine Seltenheit. Bald ist er lizenzierter Pfleger. Mithilfe des Stiftungs-Startkapitals gründete er am elterlichen Grund noch zusätzlich eine Hühnerzucht, die ständig wächst. Vor allem zu Ostern und Weihnachten floriert der Hühnerverkauf, mit den Zusatzeinnahmen kann er seine Ausbildung mitfinanzieren. Orelio denkt nicht weiter über Emigration nach. „Ich habe genug schlechte Erfahrungen damit gemacht.“ Er ist nun ein wichtiger Teil der Veränderung in seiner Heimat Guatemala.
Die Reise nach Guatemala wurde von der Dreikönigsaktion unterstützt. 500 Sternsingerprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika helfen notleidenden Menschen, deren Armut sich durch die Klimakrise drastisch verschlimmert hat. Diese Unterstützung kann jederzeit mit einer Spende auf das Spendenkonto der Dreikönigsaktion (IBAN: AT23 6000 0000 9300 0330) oder online auf sternsingen.at/spende erfolgen. Helfen auch Sie mit und machen Sie die Welt zu einem besseren Ort.
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