„Krone“-Reportage
Mit den Straßenkindern in Georgien unterwegs
Keine Mama und keinen Papa - oder sonst jemand, der sich kümmert. Doch ein Jugendzentrum hilft. In der georgischen Hauptstadt Tiflis sind viele Kinder auf sich alleine gestellt und auf der Straße unterwegs.
Nicht nur streunende Hunde säumen die Straßen in Georgien, auch Kinder strawanzen oftmals mutterseelenalleine durch die Gegend - vor allem in der 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt Tiflis sind Straßenkinder oder „street connected children“ - wie sie im Behördensprech heißen - ein großes Thema. Die „Krone“ hatte dank der Hilfsorganisation World Vision Österreich (WVÖ) die Möglichkeit, mit WVÖ-Geschäftsführer Sebastian Corti betreute Straßenkinder in Tiflis kennenzulernen. Mitarbeiter betreiben dort ein Tageszentrum, wo diejenigen, die weder Mama noch Papa haben, auch unter staatlicher Obhut wohnen.
100 Euro für Supermarkt-Job, 500 Euro als Ärztin
Im Hof ist Boris (9) nicht vom Fußball zu trennen. Einen Trick nach dem anderen führte er vor. „Mein Vorbild ist Neymar, ich möchte auch so tricksen wie er, aber unseren ,Kvaradona’ finde ich auch super“, erzählte der Schüler. Andere Kids spielten mit alten Autoreifen.
Daten und Fakten zu Georgien
- In Georgien leben rund 3,8 Millionen Menschen. Die Hauptstadt Tiflis hat 1,4 Millionen Einwohner.
- 20 Prozent aller Georgier leben in bitterer Armut.
- Georgien ist seit 2011 Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit von der Austrian Development Agency auch ADA (www.entwicklung.at).
- Themen der ADA, die mit öffentlichen Geldern arbeitet, in Georgien: Bio-Landwirtschaft, nachhaltiger Tourismus und die Unterstützung von Jungunternehmern.
- ADA kooperiert mit World Vision Österreich (WVÖ), allgemeines Spendenkonto von WVÖ, Erste Bank, IBAN: AT92 2011 1800 8008 1801
Boris verbringt die Zeit nach der Schule bis zum Abend hier, dann geht er nach Hause, zu seinen Eltern, die hart arbeiten und wenig Geld dafür bekommen. Ein Supermarkt-Angestellter etwa erhält in Tiflis für einen Vollzeit-Job umgerechnet rund 100 Euro im Monat. Eine Zahnärztin frisch nach der Uni in einer Tagesklinik rund 500 Euro im Monat.
Heizung im Zentrum in Betrieb, Suppen dampfen
Der Eingang in das Jugendzentrum führt durch ein Haus, das bessere Zeiten erlebt hat: Es fehlen Wände und Fenster, der Putz bröckelt, eine Bruchbude, würde es wohl im Volksmund in Österreich heißen. Doch im Inneren der Institution alles liebevoll eingerichtet. Auch Heizungen funktionieren, und in der Küche dampft es aus den Suppentöpfen heraus. Früher lebte Henry (23) hier, im Jugendzentrum. Nach dem Tod seines Vater kümmerte sich niemand um ihn, er war ein Straßenkind. Zwei Jahre später nahm ihn seine Oma auf, sie zogen 25-mal um.
Wir lebten oft in Gegenden, in denen die Kriminalität hoch war, das ist nicht gut für Kinder.
Ehemaliges Straßenkind Henry (23)
Bild: WorldVision/Georgia
Doch dieses Leben hat er hinter sich lassen können. Dank Hilfe der Betreuer folgten Schulabschluss und Uni-Besuch. Jetzt ist Henry IT-Techniker und hat sein Leben fest im Griff.
Georgischer Star in Neapel
Der georgische Fußballspieler mit dem Zungenbrecher-Namen Khvicha Kvaratskhelia ist im süditalienischen Neapel zum Star avanciert. Dort eroberte der Kicker mit der Rückennummer 77 auf dem Trikot mit seinen Kollegen die Meisterschaft - nach 33 Jahren brachten „Kvaradona’’ & Co. den Titel wieder in die Stadt am Fuße des Vesuvs! Nicht nur um die schwierige Aussprache des Nachnamens elegant zu umschiffen, sondern weil er auch ähnlich kickt wie „Fußballgott’’ Diego Maradona, rufen sie ihn in Neapel „Kvaradona“.
Georgien arbeitet in Richtung EU
Im Interview mit der „Krone“ spricht Sebastian Corti, Geschäftsführer von World Vision Österreich, über seine Eindrücke des Landes.
„Krone“: Herr Corti, woran fehlt es in Georgien?
Sebastian Corti: Mir ist aufgefallen, Georgien ist ein Land, das zusammenhält, an Entwicklung interessiert ist und die Nähe zur EU sucht. Es wird aber noch Jahre dauern, bis es auf einem Niveau ist, das wir in Österreich genießen können. Das liegt in Georgien auch daran, dass es in seiner Vergangenheit unter sowjetischer Herrschaft gelitten hat. Es gibt Nachwehen und viel aufzuarbeiten. Georgien lebt stets in einer unruhigen Region mit nicht nur freundlich gesinnten Nachbarn. Das Leben hier ist eine dauernde Herausforderung. Die Armut ist sehr groß. Rund 20 Prozent der Menschen in diesem Land leben in bitterer Armut.
Wie nehmen Sie die Arbeit von World-Vision-Leuten hier wahr?
Dank der Arbeit unseres Teams konnten für viele Familien und Kinder Türen zur staatlichen Hilfe geöffnet werden. Meine Kollegen legen eine hohe Professionalität, Kompetenz und Transparenz an den Tag. Auch ist das große persönliche Engagement und das große Herz für die Arbeit, etwas Gutes zu tun, vorhanden. Außerdem ist es gelungen, zu den lokalen Behörden ein stark von Vertrauen geprägtes Verhältnis zu pflegen.
Wie können wir von Österreich aus helfen?
Ich war beeindruckt von der Hilfe, die die ADA in Georgien angedeihen lässt. Wir haben gemeinsam einige Projekte laufen. Durch unsere gemeinsame Entwicklungsarbeit können viele Ziele erreicht werden.
Abseits der bitteren Armut, tut sich im Tourismus etwas Positives auf.
Georgien ist schon eine Tourismusdestination, aber bei uns noch nicht so bekannt. Viele erhaltene Monumente, eine Bevölkerung, die stolz auf ihr Land ist, und hervorragendes Essen gepaart mit unberührter Natur sind einladend für Reisende. Wir durften mit einer Jugendgruppe eine Handy-App mit der Unterstützung der ADA und eines österreichischen Unternehmens entwickeln. Diese Applikation eröffnet völlig neue Perspektiven auf das Land und ist in Deutsch und Englisch gratis zum Download bereit. Und die App funktioniert auch offline.
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