„Kanonen und Butter“
Putins Kriegswirtschaft brummt – trotz Sanktionen
Seit Russland die Ukraine überfallen hat, haben EU, USA und weitere westlichen Länder massive Strafmaßnahmen gegen Putins Regime verhängt. Die Hoffnung, der russische Finanzmarkt würde rasch unter dem Gewicht der Sanktionen zusammenbrechen, ist zerschlagen. Experten analysieren nüchtern, warum Putins Kriegswirtschaft brummt.
„Die Sanktionen im Frühjahr 2022 verfolgten die Idee, den Rubel und das russische Finanzsystem zu zerstören und eine Hyperinflation auszulösen. Das wäre ein fataler Schlag für Russland gewesen, hat aber nicht geklappt“, erklärt der russischstämmige Historiker Vladislav Zubok gegenüber krone.at. Die russische Regierung habe wichtige Schritte gesetzt, um die Wirtschaft trotzdem in Gang zu halten, ergänzt Mark Kramer, Direktor des Cold War Studies Project am Davis Center der Universität Harvard: „Insbesondere hat es die Chefin der Zentralbank geschafft, den Rubel vor dem Kollaps zu bewahren.“
„Existenzieller Krieg für Putin“
Den Grund dafür, dass die Strafmaßnahmen kaum gegriffen haben, sieht Zubok auch darin, dass man Moskau falsch einschätzte. Denn im Westen entschied man sich, keine Truppen in die Ukraine zu schicken, sondern nur Waffen zu liefern und auf den Wirtschaftskrieg zu setzen. Für den russischen Machthaber Wladimir Putin sei der Krieg dagegen ein „existenzieller“, betont Zubok, der an der London School of Economics and Political Science lehrt. „Putin entschied, einen Krieg gegen die Weltordnung zu führen.“
Stabiler Rubel ist entscheidend
Das Regime setze seither auf einen sogenannten militärischen Keynesianismus: Milliarden Rubel werden in die russische Kriegswirtschaft gepumpt, wodurch die Konjunktur brummt: Heuer wächst die russische Wirtschaft sogar. „Der Kreml kann gleichzeitig die Nachfrage für Kanonen und für Butter befriedigen“, meint Zubok. Und das kann er noch für Jahre machen, so die Einschätzung des Experten. „So lange, wie die Währung stabil bleibt. Das ist entscheidend für die russische Führung“, betont der Historiker.
Die Erwartung, dass man mit einem Wirtschaftskrieg die Invasion in die Ukraine beenden könne, sei ohnehin eine falsche gewesen. Denn „ökonomische Kriegsführung gewinnt keine Kriege“, sagt Zubok. Er verweist auf berühmte historische Beispiele: Schon Napoleons Blockade gegen England scheiterte, Sanktionen gegen die Bolschewisten kurz nach ihrer Machtübernahme in Russland wie auch jene gegen die Sowjetunion seien ineffektiv gewesen. Denn: „In der globalisierten Welt zahlt man einfach eine dritte Partei, die einem bringt, was man will“, so Zubok lakonisch.
Es gibt einfach zu viele Wege, die Sanktionen zu umschiffen.
Mark Kramer
Bild: zVg
Und Länder, die Russland helfen, die Sanktionen zu umgehen, gibt es viele. Seit gegen Moskau Strafmaßnahmen verhängt wurden, sind EU-Exporte an zentralasiatische Länder wie Kirgistan massiv angestiegen. Für Beobachter ist offensichtlich, dass Zentralasien lediglich ein Umschlagplatz für westliche Güter auf dem Weg nach Russland ist. „Es gibt einfach zu viele Wege, die Sanktionen zu umschiffen“, sagt auch Mark Kramer. So würden etwa Länder wie Türkei und Serbien, aber auch viel größere Staaten wie Brasilien, Indien und China der russischen Führung helfen, die westlichen Barrieren zu umgehen.
Historiker Kramer glaubt ebenfalls nicht, dass wirtschaftlicher Druck hilft, den Ukraine-Krieg zu beenden. Zwar hätten die Sanktionen Russland zugesetzt, „aber sie sind in Putins Denken nicht entscheidend“, erklärt er gegenüber krone.at. „Ich muss sagen, man muss Russlands Fähigkeit anerkennen, neue Quellen für Waffen und Kriegsgerät zu erschließen“, meint der Harvard-Professor.
Auch wenn Putin dafür den Iran und Nordkorea braucht, brummt der Motor der russischen Rüstungsproduktion. In der EU läuft er nun geringfügig schneller, nachdem er „elend langsam“ war, so Kramer. In Europa und den USA habe man es eben auch schwerer, Militärbudgets durch die Parlamente zu bringen, während Putin keine Volksvertretung hat, die ihn wirklich kontrolliert. Die Duma in Moskau hat dessen Budgetpläne - inklusive massiver Erhöhungen für das Militär - abgenickt.
Raiffeisen in der Kritik
Unternehmen, die trotz der Sanktionen weiterhin in Russland Geschäfte machen, sind vielfach in die Kritik geraten. In Österreich ist dabei die Raiffeisenbank International im Visier, die viele russische Geldströme ins Ausland abwickelt. Auch andere westliche Banken sind weiterhin in Russland tätig. Sie spielen eine wichtige Rolle, seit viele russische Geldinstitute vom internationalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT ausgeschlossen sind. Dieser Bankenboykott halte Putin aber nicht davon ab, seinen Krieg zu finanzieren, so Historiker Vladislav Zubok. Die Blockade wurde nur Einzelpersonen treffen, insbesondere russische Bürger, die den Krieg nicht unterstützen, hätten dadurch einen Nachteil.
Wenn Sie den Krieg in den nächsten zwei Jahren gewinnen wollen, wird eine Bankenblockade nicht helfen.
Vladislav Zubok
Bild: zVg
„Wenn Sie den Krieg in den nächsten zwei Jahren gewinnen wollen, wird eine Bankenblockade nicht helfen“, betont Zubok. Moralisch will der Russland-Experte das Engagement von Raiffeisen und anderen Unternehmen nicht beurteilen. Moral helfe jedenfalls nicht, den Krieg zu gewinnen. „Ob die Raiffeisenbank nun weitermacht oder nicht, macht keinen großen Unterschied“, meint er.
Ukraine hängt am westlichen Finanz-Tropf
Auch wenn die nächsten Jahre für Russland schwierig werden, würde das den politischen Willen im Kreml, den Krieg fortzuführen, nicht beeinflussen, analysiert der Experte. Veränderungen in Russland dank der Sanktionen könne man allenfalls längerfristig erwarten, „wenn der Westen wie zu Zeiten des Kalten Krieges vereint bleibt und geduldig ist“, betont Zubok. Unterdessen leidet aber auch die ukrainische Wirtschaft schrecklich unter dem Krieg. „Sie hängt komplett vom westlichen Geld ab“, so der Historiker. Und wie es mit den Finanzhilfen weitergeht, ist derzeit unklar. Erst kürzlich hat die EU den vorerst letzten Milliardenkredit an die Ukraine gezahlt.
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