Die Autobiografie des größten Millenniums-Popstars Britney Spears verkaufte sich bereits nach wenigen Wochen mehrere Millionen Mal und gibt schockierende, aber auch erleuchtende Einblicke in eine Welt der Gefangenschaft, des Psychoterrors und des Ausverkaufs eines menschlichen Wesens. Ein dorniger Ritt durch ein Leben in der Glaskuppel des Rampenlichts.
Autobiografien über popkulturelle Superstars oder Celebritys sind schon seit geraumer Zeit ein garantierter Kassenschlager. Wenn hinter den klingenden Namen auch noch einzigartige Geschichten stecken, dann kann schon einmal ein ganz großer Welterfolg dabei herauskommen. Die lang erwartete Lebensbeichte von US-Pop-Starlet Britney Spears hat sich gut einen Monat nach der Veröffentlichung bereits 2,5 Millionen Mal verkauft und damit auch die immensen Kosten dahinter schnell wieder zurückgespült. Nicht weniger als 15 Millionen Dollar hat die heute 41-Jährige für ihre selbstverfasste Lebensrückschau bekommen - in diesen Sphären schwebten bislang nur die skandalumwitterten Clintons Bill und Hillary.
Kollektives Versagen
„The Woman In Me“ ist gerade deshalb so besonders, weil es nicht nur von der tausendfach erzählten Karriere eines zu früh ins Rampenlicht geworfenen Kinderstars aus ärmlichen Verhältnissen erzählt, sondern den beispielhaften Fall eines wahr gewordenen Glaskäfigs minutiös aus der Opferperspektive nacherzählt. Es berichtet von einem alkoholkranken und pedantischen Vater, einer narzisstischen Mutter und einer familiär gehirngewaschenen kleinen Schwester. Britney steht sinnbildlich für ein kollektives Versagen im Umgang mit einem jungen Menschen im Rampenlicht. Früh wurde sie von ihren Eltern zu einer Gesangskarriere animiert, doch anstatt Leichtigkeit und Spielfreude zu vermitteln, überließen die Eltern das Jungtalent aus dem ruralen Louisiana pietätlosen Talkshow-Hosts und widerlich-geifernden alten Männern, die sich am exaltierten Bühnentanz eines Teenagers ergötzten.
Spears erzählt in meist kurzen Kapiteln streng chronologisch aus ihrer anfangs ausufernden Karriere. Wie sie vom vielversprechenden Talent beim Casting in New York innerhalb kürzester Zeit zum größten Popstar der Welt aufstieg. Wie ihre leidenschaftliche, aber drastisch gescheiterte Beziehung mit Disney-Club-Kollege Justin Timberlake zu einem dauerhaften Vertrauensbruch zu Männern führte und wie sie schon in jungen Jahren sexualisiert und objektifiziert wurde. „The Woman In Me“ ist in einem sehr einfachen, zuweilen fast schon kindlichen Schreibstil gehalten. Spears offenbart in manchen Kapiteln ihre überbordende Naivität und gibt zu, in vielen Bereichen des Lebens dumme Entscheidungen getroffen zu haben, die sie mit Unbekümmertheit oder Unwissenheit rechtfertigt. Es dauert lange, bis das Buch Fahrt aufnimmt, denn die Erfolge und frühen Karrierestationen sind ebenso detailliert auserzählt wie Suff-Eskapaden mit Paris Hilton oder die ständige Flucht vor lästigen Paparazzi.
Familienwahnsinn und Justizskandal
Reichhaltige Erkenntnisgewinne stellen sich ab der Hälfte des Buches ein, wenn Spears auf den wirklich interessanten und zuweilen schockierenden Teil ihres Lebens zu sprechen kommt. Sie referiert sehr offen und ehrlich über die Vormundschaft ihres Vaters Jamie Spears und wie ihre von ihm geschiedene Mutter Lynne bereitwillig mitmachte. Sie musste in Entzugskliniken, obwohl sie clean und fern des Alkohols war. Britney wurde immer wieder von ihren Söhnen ferngehalten und durch die gerichtlich ausverhandelte Vormundschaft zu einer Entertainment-Puppe mit Show-Residenz Las Vegas geformt. In diesem Teil des Buches bekommt man nicht nur Einblicke in die skandalösen Machenschaften des herrischen Familienbetriebs, sondern wird noch einmal Zeuge eines detailliert ausformulierten Justizskandals, der erst vor gut zwei Jahren entknotet wurde.
Nicht zuletzt die auf Social-Media-Portalen viral gegangene #FreeBritney-Kampagne sorgte dafür, dass sich Britney langsam aus ihrem Käfig befreien konnte und die Verantwortung für sich selbst zurückbekam. Keine Kontrollen mehr über die genaue Ernährungsplanung oder jeden einzelnen Toilettengang. Wer Britney Spears auf ihrem Instagram-Account verfolgt, sieht eine Mittvierzigerin, die sich wahlweise nackt präsentiert oder sich wie ein Kind gebärdet. In „The Woman In Me“ verteidigt Britney diese Vorgehensweise damit, dass sie nun endlich Freiheit verspürt und die jahrelange Objektifizierung ihres Körpers zu ihren Gunsten gedreht habe. Dass sie durch die 13 Jahre andauernde Vormundschaft ihres Vaters eine erzwungene Entwicklungspause durchlitt, kann man bei diversen Online-Aktionen der Gegenwart gut mitverfolgen.
Auf der Suche nach Liebe
„The Woman In Me“ ist ein etwas zu simpel erzähltes, aber intensives Buch über das Paradoxon einer allumfassenden Gefangenschaft im Unterhaltungsgeschäft, das nach außen hin stets als frei und hedonistisch erstrahlt. Man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie sexistisch und oberflächlich über die Oberweite, Figur und Haarpracht eines Teenagers diskutiert, wie sehr eine junge Frau von Stalkern und Fotografen in die Ecke gedrängt und von Talk-Show-Hosts offensiv angeprangert wurde. Britney Spears gilt, noch mehr nach dem Lesen dieses Buches, als Paradebeispiel für einen toxischen Umgang mit einem Lebewesen, das mit Freude und Naivität nach Spaß, Liebe und Geborgenheit im Leben suchte. Von der Selbstverständlichkeit einer Lady Gaga oder Beyoncé waren wir damals noch meilenweit entfernt. Man erfährt aber auch von der weiblichen Solidarität und Mentorinnenschaft Madonnas, die für Spears Selbstvertrauen ein wichtiger Baustein war. Am Ende bleibt die fortlaufende Suche nach echter Liebe - ein Happy End ist möglich, aber noch lange nicht Realität.
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