Kriege, Skandale, Inflation: Weihnachten 2023 läutet hoffentlich ein besseres Jahr ein. Mit Conny Bischofberger spricht der Bundespräsident - erstmals gemeinsam mit seiner Frau - über die Sehnsucht nach ein bisschen Ruhe und die Besinnung auf das Gute, aber auch über böse Kritik von Herbert Kickl und die Ermittlungen gegen Wolfgang Sobotka.
Der Amtssitz des Bundespräsidenten am Wiener Ballhausplatz ist mit zig Weihnachtssternen geschmückt. Über die Feiertage werden sie im Hospiz der Caritas Socialis am Rennweg weiterblühen. Der Gang über den 56,30 Meter langen roten Teppich führt am Spiegelsaal vorbei, in dem der Christbaum aus Bad Eisenkappel steht. Er ist fünf Meter hoch und mit roten Kugeln, Strohsternen, Lebkuchen und Schleifen geschmückt.
Im ehemaligen Schlafgemach von Kaiserin Maria Theresia öffnet sich dann die berühmte Tapetentür. Heraus treten Bundespräsident Alexander Van der Bellen, seine Ehefrau Doris Schmidauer, begleitet von „Juli“, der griechischen Straßenhündin, die nun in der Präsidentschaftskanzlei residiert. Beim Doppelinterview im Arbeitszimmer des Präsidenten sitzt sie mit dabei, schläft aber bald ein und zuckt im Traum. Später posiert sie stolz und anmutig für den „Krone“-Fotografen.
„Krone“: Herr Bundespräsident, wie ist es für Sie, bei diesem Interview Ihre Frau mit dabei zu haben?
Alexander Van der Bellen: Interviews geben wir tatsächlich sehr selten gemeinsam. Ich glaube, es ist sogar das erste Mal als Bundespräsident. Ansonsten ist es eher die Regel, dass Doris dabei ist. Vor allem bei den Besuchen von und bei unseren Staatsgästen. Wir machen überhaupt sehr viel gemeinsam und ich finde das auch schön. Man bespricht am Abend, was erledigt werden konnte und was noch ansteht. So ganz alleine dieses Amt auszufüllen, stelle ich mir schwierig vor.
Frau Schmidauer, wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben?
Doris Schmidauer: Neben der Wahrnehmung gemeinsamer Aktivitäten, wie zum Beispiel Staatsbesuchen, verfolge ich eine Reihe eigenständiger Projekte, vor allem für Gleichberechtigung, Klimaschutz und Chancengleichheit.
Sehen Sie sich als „First Lady“?
Schmidauer: Ich sehe mich als „First Volunteer“, als „Erste Freiwillige“, und natürlich überzeugte Feministin. Den Frauentag haben wir dieses Jahr den Frauen in Afghanistan und dem Iran gewidmet. Da waren mein Mann und ich gemeinsam Gastgeber. Wie beim Netzwerktreffen mit den österreichischen Bürgermeisterinnen. Frauenpolitik ist ja auch Männersache.
VdB: Auch wichtige Treffen mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestreiten wir gemeinsam.
Wir machen sehr viel gemeinsam und ich finde das auch schön. So ganz alleine dieses Amt auszufüllen, stelle ich mir schwierig vor.
Für Alexander Van der Bellen ist Doris Schmidauer auch seine wichtigste Beraterin.
Ist Ihre Frau auch „Erste Beraterin“?
VdB: Würde ich schon sagen. Schon allein deswegen, weil wir viel zusammen sind. Wir teilen uns ja auch den Hund. (Lacht.) Meine Frau macht die Früh-, ich eher die Abendrunden. Untertags teilen wir es auf.
Wem gehorcht „Juli“ mehr?
VdB: Sie ist sehr zutraulich und sensibel.
Knurrt sie, wenn Herbert Kickl im Fernsehen ist?
(Beide lachen.)
Schmidauer: Sie ist doch mehr auf dich fixiert. Darf ich noch etwas zum Stichwort Beraterin sagen? Ich betrachte mich als Mitglied eines wirklich herausragenden, professionellen Teams. Wir ergänzen uns gut. Jeder bringt eine andere Expertise und Perspektive ein. Da ist eine große Vielfalt und wir sind inzwischen gut eingespielt.
Von Weihnachtsfrieden kann dieses Jahr ja überhaupt nicht die Rede sein. Die Ukraine befindet sich im zweiten Kriegswinter, in Israel tobt nach dem Massaker der Hamas ein Krieg und es gibt noch viele andere Kriegsschauplätze. Wie finden wir zumindest in uns und für ein paar Tage Frieden?
VdB: Wie man Frieden im Gazastreifen und in Israel herstellt, das wird uns noch Jahre beschäftigen. Und solange Putin in Russland den Ton angibt, sehe ich mittelfristig auch keinen Frieden in der Ukraine. Innerer Friede ist etwas sehr Persönliches. Ich glaube, man tut auch gut daran, einmal für ein paar Tage abzuschalten, sich zurückzuziehen. Aber dennoch nicht zu vergessen, wie gut es uns doch geht, denn wir können abschalten. Jemand in Israel, geschweige denn im Gazastreifen, hat dieses Privileg nicht. Und die Ukrainer und Ukrainerinnen haben dieses Privileg auch nicht. Und das sind bei Weitem nicht die einzigen Krisenherde auf der Welt, Stichwort Sudan. Was haben wir doch für ein Privileg, in ein friedliches Land hineingeboren worden zu sein? Ein Land, das den Frieden aufrechterhält. Weihnachten ist ein guter Anlass, sich dessen wieder bewusst zu sein. Nicht umsonst ist das Krippenbild ein friedliches Bild.
Schmidauer: Es ist okay, sich einmal zurückzuziehen, weil man es nicht mehr aushält. Aber es ist auch wichtig, dann wieder den Schritt hinauszuwagen und zu sagen: Okay, wo kann ich etwas tun? Ich kann nicht in das Kriegsgeschehen eingreifen, aber ich kann mich zum Beispiel um Geflüchtete kümmern. Die Österreicherinnen und Österreicher zeigen sehr viel Empathie. Ich habe es am Samstag extra nochmal recherchiert: 3,7 Millionen engagieren sich ehrenamtlich. Das gibt Zuversicht und Hoffnung.
Man tut gut daran, einmal für ein paar Tage abzuschalten, sich zurückzuziehen. Aber dennoch nicht zu vergessen, wie gut es uns doch geht. Im Gazastreifen kann niemand abschalten.
Der Bundespräsident erinnert an das große Privileg, in einem friedlichen Land zu leben
Auch in unserem Land geht es vielen Menschen nach diesem Jahr nicht gut. Woraus können sie Zuversicht schöpfen?
VdB: Natürlich gibt es viele, denen es nicht gut geht. Das lässt sich in den Sozialmärkten beobachten, von denen wir dieses Jahr viele besucht haben. Schätzungsweise 200.000 Menschen sind bei uns von Armut betroffen und kommen gerade noch über die Runden. Bis ein unvorhergesehenes Ereignis sie vor wirkliche Probleme stellt. Ihnen müssen wir helfen. Wir sollen aber auch nicht zu schwarzsehen. Wir hatten Kollektivvertragsverhandlungen mit Abschlüssen, die sich durchaus sehen lassen können. Der Bund hat Milliarden in die Hand genommen, um die Covid-Krise und die daraus resultierenden Probleme in den Griff zu bekommen.
Sie haben einmal empfohlen, „die Zähne zusammenzubeißen“. Würden Sie das noch einmal sagen?
VdB: Dafür bin ich viel kritisiert worden. Was ich gemeint habe: optimistisch bleiben. Kraft und Zuversicht aufzubringen und andere auf diesem Weg mitzunehmen. Österreich hat so viele Krisen in den letzten Jahrzehnten gemeistert, wir werden auch das kommende Jahr gut überstehen.
Das Vertrauen in die Politik ist im Sinkflug. Ein ehemaliger Bundeskanzler steht vor Gericht, ein anderer hat Millionen bei der Signa kassiert, der erste Nationalratspräsident wird ausgeliefert, weil die WKStA gegen ihn ermittelt, trotzdem leitet er zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Platzt Ihnen da nicht der Kragen?
VdB: Was die Verfahren der Staatsanwaltschaft betrifft, müssen wir abwarten, wie das Gericht entscheidet. Jemand wird verurteilt oder freigesprochen. Dem werde ich sicher nicht vorgreifen. Was Wolfgang Sobotka angeht: Das ist eine reine Angelegenheit des Parlaments und ich werde mich als Bundespräsident da nicht einmischen.
Platzt Ihnen der Kragen, Frau Schmidauer?
Schmidauer: Natürlich macht man sich Sorgen um gewisse Entwicklungen. Wir können nur im eigenen Bereich einen Beitrag leisten. Was uns hier in der Hofburg von Anfang an wichtig war: Dieses Haus zu einem Ort der Kommunikation und Dialogfähigkeit, des Gemeinsamen zu machen. Wir merken das am Feedback. Sehr oft wird uns gesagt: „Hier trifft man einmal ganz andere Leute, nicht immer dieselben Kreise.“
VdB: Sicher fallen einem Dinge ein, die beunruhigend sind, über die man sich ärgert oder wo man einfach den Kopf schüttelt. Aber warum erinnern wir uns nicht daran, dass 2023 wesentliche Fortschritte erzielt worden sind, zum Beispiel im Bereich der Kinderbetreuung und somit der Wahlfreiheit, die es für sehr viele Frauen bisher einfach nicht gab.
Wie gehen eigentlich Sie mit böser Kritik - Stichwort „Mumie“ - um?
Schmidauer: Natürlich ärgert man sich über manche Tonalität, aber man darf nicht allzu sehr in diesem Ärger verharren. Wir bemühen uns, dem immer etwas Positives entgegenzusetzen. Aber ich will jetzt nicht sagen, dass uns das immer kaltlässt.
Ihr Vorvorvorvorgänger Kirchschläger hat von den „sauren Wiesen“ gesprochen, die man trockenlegen muss. Sie haben die Korruptionsvorwürfe mit einem Wasserschaden verglichen und eine Generalsanierung gefordert. Wie kommt sie voran?
VdB: Rudolf Kirchschläger hat damals ein echtes Problem angesprochen, aber die falsche Metapher verwendet. Die Moore und Sümpfe trockenzulegen, wäre klimapolitisch ganz verkehrt. (Lacht.) Aber damals ist das niemandem aufgefallen. Aber zu Ihrer Frage. Über Jahrzehnte hatten sich SPÖ und ÖVP das Land untereinander aufgeteilt. Diese Art von, höflich ausgedrückt, Freunderlwirtschaft aufzulösen ist ein zäher Prozess. Also, die Generalsanierung läuft zäh.
2024 finden Nationalrats- und EU-Wahlen statt. Die FPÖ ist in allen Umfragen vorne. Wie steht es da um Ihre Zuversicht?
VdB: Da bitte ich die Wählerinnen und Wähler, auch den Tag nach der Wahl im Auge zu behalten. Was hieße Kickl an der Spitze des Staates, wenn zum Beispiel europapolitische Fragen anstehen? Österreich hat seinerzeit den Beitritt zur EU in einer Volksabstimmung mit zwei Dritteln gutgeheißen. Das Land hat wirtschaftlich vom Binnenmarkt und von der Osterweiterung der EU fantastisch profitiert. Es ist unglaublich, wie gut wir diese Chancen genutzt haben. Ich bin sehr anglophil, und ich leide, wenn ich das Vereinigte Königreich anschaue und sehe, was der Brexit dort bewirkt hat. Nichts als Scherereien! Zustande gekommen durch Fake News, Fake Propaganda und leere Versprechungen. Ich könnte darüber stundenlang reden. Übrigens: Es ist wichtig, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschlossen haben, die Türen für Verhandlungen mit der Ukraine und mit Moldau aufzumachen. (Hält seine Hand in die Kamera und lacht.) Der Hund der moldawischen Präsidentin hat mich gezwickt, Sie sehen nichts mehr! Das war ein friedliches Zuzwicken.
Ich bitte die Wählerinnen und Wähler, auch den Tag nach der Wahl im Auge zu behalten. Was hieße Kickl an der Spitze des Staates, wenn zum Beispiel europapolitische Fragen anstehen?
Der erste Mann im Staat gibt etwas zu bedenken
Zurück zu Herbert Kickl: Bleiben Sie dabei, dass Sie einen Automatismus für den Auftrag zur Regierungsbildung an den Sieger der Nationalratswahlen skeptisch sehen?
VdB: Dafür ist es jetzt zu früh. Aber wie gesagt: Bitte nicht nur den Wahlsonntag, sondern auch den Tag nach der Wahl im Auge behalten. Denn wir werden wieder eine Koalitionsregierung brauchen, das ist so sicher wie das Amen im Gebet. (Lacht.)
Das ist ein gutes Stichwort. Weihnachten ist ja ein christliches Fest. Wie werden Sie es verbringen?
VdB: Weihnachten war für mich schon immer ein Familienfest. Zu Hause in Innsbruck, wo wir gewohnt haben, als ich noch ein Kind war, stand immer die Frage im Raum, ob unser Vater es rechtzeitig aus Linz schafft, um den Weihnachtsbaum zu besorgen. Der musste immer bis an die Decke gehen. Es gab viele Ketten mit Nüssen, die wir mit hauchdünnen goldenen Papierchen eingewickelt haben.
Schmidauer: Dieses Jahr feiern wir in Mürzsteg. Zwischendurch fahren wir zu „Licht ins Dunkel“. Dann wieder in die Steiermark.
VdB: Und am 26. gibt es einen großen Truthahn. Ich frage dann immer: „Ist das ein Truthahn oder ist das eigentlich eine Truthenne?“ Das kann mir dann niemand beantworten.
Wie hat der Bundespräsident eigentlich Ihr Herz gewonnen, Frau Schmidauer?
VdB: Das würde mich auch interessieren! (Lacht.)
Schmidauer: Das ist eine sehr private, sehr persönliche Frage. Wie findet man sich? Ich glaube durch sehr viele gemeinsame Einstellungen und auch, wenn man eng zusammenarbeitet. Dabei lernt man einander gut kennen und findet vieles, was man miteinander teilt.
Gibt es auch etwas, was Sie trennt?
VdB: Sicher. Ich will es nicht überbewerten, aber vom Typus her ist meine Frau sehr an sozialen Kontakten und Gesprächen interessiert. Sie sind Teil ihres Lebens. Ich hingegen bin eher ein Einzelgänger. Aber wir arrangieren uns.
Also war es die Idee Ihrer Frau, als damals Kinder in der Hofburg übernachtet haben?
Schmidauer: Nein, das war eigentlich eine Idee aus unserem Team. Aber da waren wir beide gleich Feuer und Flamme. Das war eine super Geschichte, wie die Kinder da mit ihren Schlafsäcken und Rucksäcken eingezogen sind.
VdB: Die haben eine Mordsgaudi gehabt.
Vom Typus her ist meine Frau sehr an sozialen Kontakten und Gesprächen interessiert. Ich hingegen bin eher ein Einzelgänger.
Gegensätze ziehen sich an, Alexander Van der Bellen beschreibt sie.
Sie werden bis 2029 noch Präsident sein und dann insgesamt zwölf Jahre hier verbracht haben. Hat die Hofburg Sie geprägt oder haben sie die Hofburg geprägt?
VdB: Gute Frage.
Schmidauer: Sie beschäftigt uns tatsächlich sehr oft.
VdB: Ich war erst ein paar Wochen in der Hofburg, als ich mich das zum ersten Mal gefragt habe. Historisches, wunderschönes Gebäude, Habsburger an jedem Zentimeter Wand. Beeinflusst die Architektur uns oder wir das Haus? Ich habe in Erinnerung, dass der Amtssitz von Präsident Mattarella in Rom zehnmal so groß wie die Hofburg ist und die Räume mindestens doppelt so hoch. Und trotzdem ist es ihm gelungen, ein gewisses republikanisches Selbstverständnis mit dem historischen Ambiente zu kombinieren. Das ist hier schwierig, ich habe es bis jetzt nur mit einem einzigen modernen Bild geschafft.
Schmidauer: Es ist beides gewissermaßen wichtig. Man begegnet der Geschichte und dem Haus natürlich mit großem Respekt, aber man soll sich davon nicht einschüchtern lassen. Es kommt darauf an, wie man das Haus bespielt. Wen man reinholt und zu wem man rausgeht. Wir wollen ja bei den Menschen sein.
VdB: Wir wollen hinaus, die anderen wollen herein. (Lacht.)
Worauf freuen Sie sich 2029 am allermeisten?
Schmidauer: 2029? So weit denken wir nicht. Wir freuen uns jetzt einmal auf die nächsten Jahre, die wir hier noch gemeinsam gestalten und so hoffentlich noch einen positiven Beitrag in unserem Land leisten können.
VdB: 2028 werden die Wahlen sein. Danach heißt es, ganz pragmatisch, packen und räumen! (Beugt sich zum gerade aufwachenden Hund.) Und die „Juli“ wird nicht mehr bei uns sein. Sie ist jetzt zwölf.
Schmidauer: Vielleicht schafft sie doch noch deine zweite Amtszeit.
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