„Absolute Willkür“

Dichter in Russland zu jahrelanger Haft verurteilt

Ausland
28.12.2023 16:29

Weil sie an einer öffentlichen Lesung mit Kritik an der Offensive in der Ukraine teilgenommen haben, sind zwei russische Dichter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Bei der Festnahme soll die Polizei einen der beiden brutal misshandelt haben. Unterstützer der Künstler wurden bei der Urteilsverkündung abgeführt.

Artjom Kamardin, der bei der Lesung selbst ein Gedicht vorgetragen hatte, muss laut dem am Donnerstag in Moskau verkündeten Urteil sieben Jahre ins Gefängnis. Der an der Protestveranstaltung teilnehmende Igor Schtowba wurde zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt.

„Schande!“ - Unterstützer empört
Die beiden Männer waren wegen „Aufstachelung zum Hass“ sowie „öffentlicher Aufrufe zu Aktivitäten gegen die Staatssicherheit“ angeklagt. Unterstützer der beiden Dichter riefen nach der Verkündung des Urteils im Gerichtssaal „Schande!“, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP beobachtete. Kamardins Vater sprach von „absoluter Willkür“. Vor dem Gericht nahm die Polizei mehrere Unterstützer der Angeklagten fest.

Kamardin hat selbst ein Gedicht vorgelesen. (Bild: AFP)
Kamardin hat selbst ein Gedicht vorgelesen.

Der 33-jährige Kamardin und der zehn Jahre jüngere Schtowba waren im September 2022 festgenommen worden, nachdem sie in Moskau an einer öffentlichen Lesung vor einer Statue des Dichters Wladimir Majakowski teilgenommen hatten - ein Treffpunkt für Dissidenten seit der Sowjet-Ära.

Kamardin: Bei Festnahme vergewaltigt
Während der Lesung trug Kamardin ein Gedicht mit dem Titel „Töte mich, Milizionär!“ vor, das sich sehr kritisch mit den prorussischen Separatisten in der Ostukraine auseinandersetzt. Zudem rief er Parolen gegen das imperiale Projekt „Neurussland“, das darauf abzielt, den Süden der Ukraine zu annektieren.

Am darauffolgenden Tag wurde Kamardin in seiner Wohnung festgenommen. Dabei wurde er nach eigenen Angaben von der Polizei geschlagen und mit einer Hantel vergewaltigt. Zudem versuchten die Beamten demnach, seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Alexandra Popowa einzuschüchtern.

Popowa zeigt ein Bild ihres Ehemannes. (Bild: AFP)
Popowa zeigt ein Bild ihres Ehemannes.

In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP Ende 2022 sagte Popowa, die Polizei habe ihr mit „Gruppenvergewaltigung“ gedroht, sie geschlagen und Kleber auf ihre Wangen und ihren Mund gesprüht.

Polizei führt Popowa wegen Aussage ab
Popowa nannte das nun verkündete Urteil eine „sehr harte Strafe“. „Sieben Jahre für Gedichte, für ein nicht gewalttätiges Verbrechen“, sagte sie im Gerichtssaal. „Wenn wir normale Gerichte hätten, würde so etwas nicht passieren“, kritisierte Popowa. Sie wurde nach ihrer Äußerung vor Journalisten von der Polizei abgeführt.

Kamardin selbst hatte vor der Urteilsverkündung in einer von seinen Unterstützern veröffentlichten Erklärung gesagt, er sei kein Held: Ins Gefängnis zu gehen, „für das, was ich denke, war nie Teil meiner Pläne“. Er bat den Richter, ihn freizulassen, dafür wolle er sich künftig von „heiklen Themen“ fernhalten und sich nicht öffentlich dazu äußern.

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Was habe ich getan, das illegal ist? Gedichte gelesen?

(Bild: AFP)

Igor Schtowba

Auch der 23-jährige Schtowba betonte, er habe nicht gegen das Gesetz verstoßen. In seiner letzten Aussage vor Gericht, die von der unabhängigen Website „Mediazona“ veröffentlicht wurde, fragte er den Richter: „Was habe ich getan, das illegal ist? Gedichte gelesen?“

Systematische Unterdrückung
Russland unterdrückt seit Jahren kritische Stimmen, doch das Vorgehen gegen Andersdenkende hat mit dem Beginn der Offensive gegen die Ukraine ein neues Ausmaß angenommen. Seit deren Beginn im Februar 2022 wurden tausende Russen wegen Kritik an der Offensive verurteilt, teils zu sehr harten Strafen. Die Prozesse gegen „gewöhnliche“ Russen finden, anders als die Prozesse gegen prominente Kritiker, in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Porträt von krone.at
krone.at
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