Historischer Vorgang

Israel: Höchstgericht kippt eigene Entmachtung

Ausland
01.01.2024 18:08

Israels Oberstes Gericht hat mit einer hauchdünnen Mehrheit ein Kernelement der umstrittenen Justizreform gekippt. In dem Text ging es um die teilweise Entmachtung des Höchstgerichts durch Benjamin Netanyahus Regierung. Die Entscheidung könnte Israel in eine historische Staatskrise stürzen.

In einer beispiellosen Entscheidung, an der alle Richter des Obersten Gerichtshofs beteiligt waren, erklärten acht von 15 Richtern die von der Knesset im Juli verabschiedete Änderung eines Grundgesetzes für nichtig. 

Netanyahus umstrittene Justizreform hatte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen „unangemessene“ Entscheidungen der Regierung vorzugehen.

Warum ist das wichtig?

  • In Israels Historie wurde bisher noch nie ein vergleichbares Gesetz vom Obersten Gericht einkassiert.
  • Sollte die rechtsreligiöse Regierung von Netanyahu die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise. Und das in Kriegszeiten.
  • In Israel gibt es keine offizielle, schriftlich festgehaltene Verfassung, sondern eine Reihe einzelner Grundgesetze.
  • Der Oberste Gerichtshof ist die einzige Instanz, die die Macht der Knesset einschränken kann.

Kritiker hatten gewarnt, dass die Reform Korruption und die willkürliche Besetzung wichtiger Posten fördern könnte. Als Begründung hieß es in dem Urteil, die Gesetzesänderung hätte „den Kerneigenschaften des Staates Israel als demokratischem Staat schweren und beispiellosen Schaden zugefügt“.

Reform löste Massenproteste aus
Der rechtsextremen Regierung von Netanyahu wird vorgeworfen, das israelische Justizsystem systematisch aushöhlen zu wollen. Das nun für ungültig erklärte Kernelement der Reform, löste vor Beginn des Krieges historische Massenproteste aus.

Die Gesetzesreform löste eine historische Protestbewegung aus. (Bild: AFP)
Die Gesetzesreform löste eine historische Protestbewegung aus.

Netanyahus Beschneidung der Justiz wurde auch in militärischen Kreisen heftig kritisiert. Mehr als 1000 Reserveoffiziere der israelischen Luftwaffe, darunter Piloten, Navigatoren und Spezialkräfte, hatten damals einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie erklärten, dass sie sich nicht zum freiwilligen Reservedienst melden würden, sollte das Gesetz verabschiedet werden.

Viele sahen die monatelangen Streitigkeiten als einen Grund dafür, dass Israel am 7. Oktober von dem verheerenden Angriff der Hamas-Terroristen so überrascht werden konnte. 

Schwere Niederlage für Netanyahu
Die von der Regierung seit ihrer Vereidigung vor einem Jahr massiv vorangetriebene Justizreform hatte die israelische Gesellschaft tief gespalten. Über Monate gingen immer wieder Hunderttausende von Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren.

Netanyahus Regierung argumentierte damals, dass das Gericht in Israel zu mächtig sei, man wolle lediglich ein Gleichgewicht wiederherstellen. Verhandlungen über einen Kompromiss waren erfolglos geblieben.

Wie reagiert Regierung?
Unklar ist, wie Netanyahu auf das Urteil reagieren wird. In einem Interview des US-Senders CNN im September wollte er nicht eindeutig auf die Frage antworten, ob er eine Entscheidung des Gerichts gegen die Gesetzesänderung respektieren würde.

Die angesprochene Szene zum Nachsehen:

Netanyahu sagte damals: „Ich glaube, wir sollten uns an die Urteile des Obersten Gerichts halten und das Oberste Gericht sollte sich an die Grundgesetze halten, die das Parlament verabschiedet.“

Empörung über Urteil
Der israelische Parlamentspräsident Amir Ochana, der Netanyahus Lidkud-Partei angehört, sprach dem Obersten Gericht bereits die Autorität ab, Grundgesetze für nichtig zu erklären. Dies sei „offensichtlich“. 

In einer offiziellen Mitteilung der Partei heißt es: „Es ist bedauerlich, dass das Oberste Gericht sich dafür entschieden hat, ein Urteil im Herzen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Israel ausgerechnet zu einer Zeit zu fällen, in der israelische Soldaten von der Rechten und der Linken kämpfen und ihr Leben im Krieg gefährden.“

Lob für das Urteil kommt dagegen von Demokratiebewegungen und der Opposition. „Die Entscheidung des Obersten Gerichts kommt am Ende eines harten Jahres des Streits, der uns von innen zerrissen und zur schlimmsten Katastrophe unserer Geschichte geführt hat“, schrieb Oppositionsführer Yair Lapid auf der Plattform X (siehe Tweet oben).

Netanyahu in Umfragen deutlich abgeschlagen
Für Netanyahu ist das Urteil ein weiterer Rückschlag. In Umfragen hatte er seit dem 7. Oktober massiv an Popularität verloren. Ein Großteil der israelischen Bevölkerung gibt ihm die Schuld für das Massaker.

Obwohl verheerende Nachlässigkeiten seiner Regierung mittlerweile als erwiesen gelten, hat Netanyahu bis dato noch keine Verantwortung für das Versagen übernommen. Auftritte mit Hinterbliebenen der Opfer meidet er, weil er die Wut der Öffentlichkeit fürchtet.

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