Deutsche Wut-Bauern
Unfall überschattet Proteste: Mann schwer verletzt
Die deutschen Landwirte schäumen vor Wut. Am Montag haben die Bauernproteste in Deutschland gegen die Agrarpolitik der Ampelkoalition mit voller Wucht begonnen. Traktorkolonnen in Städten und Blockaden an Autobahnauffahrten führten zu großen Verkehrsbehinderungen. In Niedersachsen wurden die Demonstrationen von einem schweren Unfall überschattet. Ein Protestteilnehmer wurde von einem Auto erfasst und schwer verletzt.
Zu dem Vorfall kam es im Ort Thülsfelde bei Friesoythe in Niedersachsen. Laut Polizei wollte ein Pkw-Fahrer eine Blockade umfahren und lenkte sein Fahrzeug auf den Gehsteig. Dort erfasste er einen Demonstranten, der dabei schwer verletzt wurde. Der Autofahrer flüchtete. Weitere Protestteilnehmer nahmen die Verfolgung auf, sodass er bald darauf von der Polizei gestoppt werden konnte.
Ermittlungsverfahren eingeleitet
Der Schwerverletzte wurde mit dem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus gebracht. Wie es zu dem Unfall kam, ist unklar. Gegen den 45-jährigen Fahrer wird jedenfalls aufgrund des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts ermittelt.
Die Proteste haben ganz Deutschland erfasst. In München machten sich Tausende Traktoren aus mehreren Richtungen auf den Weg in die Innenstadt.
In Erfurt zählte die Polizei 1600 Fahrzeuge bei den dortigen Bauernprotesten. An vielen Orten gab es Traktorkolonnen sowie zeitweilige Blockaden von Autobahnauffahrten. Im VW-Werk Emden in Niedersachsen wurde die Produktion gestoppt. Für die Beschäftigten sei es nicht möglich gewesen, zur Arbeit zu kommen, sagte eine Konzernsprecherin.
Warnung vor extremen Kräften
In mehreren Städten wurden die Proteste von Kräften der extremen Rechten gekapert. So rief in der Stadt Cottbus in Brandenburg die AfD auf, am Autokorso teilzunehmen. In Dresden mischten sich die rechtsextremen „Freien Sachsen“ unter die Demonstranten. Ein Staatsschützer zeigte sich deswegen gegenüber der „Bild“ alarmiert: „Das brodelt gefährlich. Wir haben aktuell Sorge, dass sich das bei den Protesten verselbständigt.“ Möglicherweise könnte es sogar der größte Protest der Nachkriegsgeschichte werden.
„Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt“, zeigte sich Deutschlands grüner Vizekanzler Habeck in einer über die sozialen Netzwerke verbreiteten Rede sichtlich besorgt. Es werde sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest „und die freie Meinungsäußerung entgrenzt, sodass nun auch zuvor Unsagbares legitimiert erscheint“, so der Politiker.
Vizekanzler: „Grenze überschritten“
Dabei sparte er nicht mit schweren Vorwürfen: „Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktor-Kolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten.“ Man dürfe nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern. „Wir dürfen nicht blind sein. Umsturzfantasien heißen nichts anderes, als unseren demokratischen Staat zerstören zu wollen.“
Autobahnauffahrten blockiert
In Mecklenburg-Vorpommern blockierten Landwirte Auffahrten von Autobahnen. In Bayern meldete die Polizei vielerorts Verkehrsbehinderungen, etwa weil Straßen nur einspurig befahrbar waren oder Autobahnauffahrten blockiert wurden. Am Brandenburger Tor in Berlin sammelten sich in der Früh Protestteilnehmer mit rund 570 Traktoren und Lastwagen.
Parallel zu den bundesweiten Bauernprotesten blockieren Binnenschiffer mit ihren Schiffen den Mittellandkanal in Minden. Mit der Aktion wollen sich die Schiffer nach eigenen Worten mit den Landwirten solidarisieren, da viele Schiffer vom Transport der Agrarmittel leben.
Neben den Bauern nahmen in Berlin den Angaben einer Polizei-Sprecherin zufolge auch viele Bus- und Lastwagenfahrer an dem Protest teil, auch zahlreiche Handwerker befanden sich demnach unter den Demonstranten.
Unterstützt wurden die Landwirte von Speditionen, die gegen die Erhöhung der Lkw-Maut protestierten. Mehrere Kultusministerien der deutschen Bundesländer kündigten an, dass Schüler entschuldigt werden, sollten sie es wegen der Aktionen nicht zum Unterricht schaffen.
Demonstranten angefahren
Zu einem weiteren Unfall, bei dem ein Autofahrer einen Teilnehmer der Bauernproteste angefahren hat, kam es in Schneeberg in Sachsen. Ein 45-Jährige wurde von einem Auto erfasst, als dies die Blockade über den Gehweg umfahren wollte, berichtet der „MDR“. Der Mann wurde leicht verletzt, der Fahrer flüchtete. Die Polizei sucht jetzt nach dem Fahrzeug, hat dazu bereits erste Hinweise. Auch in Thüringen wurde ein Demonstrant von einem Autofahrer leicht verletzt. Der 41-Jährige war vom Außenspiegel des Fahrzeugs erfasst und mehrere Meter mitgeschleift worden.
Zum Hintergrund
- Der deutsche Bauernverband hat zu einer Aktionswoche aufgerufen, um gegen die Streichung von Subventionen für die Branche zu demonstrieren.
- Dabei geht es vor allem um die Steuervergünstigung von Agrardiesel. Dass die Regierung in Berlin einen Teil ihrer Sparpläne zurückgenommen hat, reicht dem Verband nicht aus.
- Nach einer eskalierten Protestaktion gegen den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck an der Nordsee rief der Bauernverband am Wochenende seine Anhänger aber auch zur Mäßigung auf und forderte, Aktionen vor Wohnungen von Politikern und persönliche Anfeindungen zu unterlassen.
Auf der A81 bei Böblingen waren am Montag nach Polizeiangaben in einer unangemeldeten Demonstration mehrere Traktoren auf der Autobahn unterwegs. Im Kreis Cloppenburg in Nordwestniedersachsen wurde eine Bundesstraße von 40 Fahrzeugen blockiert. In Sachsen waren laut Polizei etwa im Raum Dresden einige Autobahnauffahrten nicht nutzbar.
„Überproportionale Belastung der Landwirtschaft zurücknehmen“
Der deutsche Bauernverband forderte erneut, die geplanten Kürzungen zurückzunehmen. „Die nehmen der Landwirtschaft die Zukunftsfähigkeit. Vor allem gefährden wir am Ende die gesicherte Versorgung mit heimischen, hochwertigen Lebensmitteln“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied im RBB-Inforadio. „Wir setzen darauf, dass bei der Berliner Regierung die Vernunft einkehrt und dass man diese überproportionale Belastung der Landwirtschaft zurücknimmt. Das ist unser Kernziel bei den Demonstrationen.“
Das vergangene Jahr sei das erste seit Jahrzehnten gewesen, in dem die Unternehmensergebnisse etwa durch gestiegene Preise für Milch, Getreide und Fleisch „gepasst“ hätten, sagte Rukwied. „Die Milchpreise sind mittlerweile eingebrochen. Wir hatten in der Spitze 60 Cent, jetzt sind wir wieder bei rund 40 Cent. Die Schweinepreise sind rückläufig. Insbesondere bei Getreide, bei Raps sind die Preise eingebrochen“, sagte der Bauernpräsident.
In Kombination mit höheren Energiepreisen und den jetzt vorgeschlagenen Subventionskürzungen führe das zu einem Einbruch der Einkünfte bei den Landwirten um mindestens ein Drittel. „Und das ist nicht hinnehmbar“, sagte Rukwied.
Ab Mittwoch wird es noch schlimmer …
In vielen Orten Deutschlands müssen sich Autofahrer, Schüler und Busfahrgäste aufgrund der Proteste für die gesamte Woche auf starke Behinderungen einstellen. Ab Mittwoch könnte es für viele Pendler in Deutschland noch schlimmer kommen: Dann will die Lokführergewerkschaft GDL unter anderem bei der Deutschen Bahn streiken. Der Ausstand soll von Mittwoch, 2 Uhr früh, bis Freitag, 18 Uhr, dauern. Erfahrungsgemäß könnten auch andere Bahnunternehmen betroffen sein, wenn zum Beispiel Beschäftigte in den Stellwerken streiken. Die Deutsche Bahn kündigte an, einen Eilantrag gegen den Ausstand beim Arbeitsgericht Frankfurt einzureichen.
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