"Kein Interesse"

Kriegsverbrechen am Balkan harren der Aufarbeitung

Ausland
14.05.2012 10:54
Mit dem Ex-Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, steht derzeit einer der Hauptverantwortlichen für die schwersten Gräueltaten in Europa seit 1945 vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Eine Minderheit in Serbien und Bosnien-Herzegowina hofft, dass damit endlich die Kriegsvergangenheit aufgearbeitet wird. Denn bisher wurde die historische Last in diesen Ländern - ebenso wie in Kroatien - unter den Teppich gekehrt. Für die meisten sind die eigenen Kriegsverbrecher immer noch Helden.

Im vergangenen Jahr ist eine einmalige Aktion von 1.600 Menschenrechts- und Friedensorganisationen auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien gescheitert, eine Million Unterschriften zu sammeln. Nach jahrelangen Diskussionen und mit finanzieller Unterstützung des Westens sollte den Nachfolgestaaten die Gründung regionaler Geschichtskommissionen vorgeschlagen werden.

Diese Kommissionen sollten objektiv feststellen, was in den 1990er-Jahren in Ex-Jugoslawien passiert ist. Es sollte um die "Aufarbeitung historischer Fakten ohne Schuldzuweisung" gehen. Gerade einmal die Hälfte der Unterschriften kam für dieses Zukunftsprojekt namens REKOM zusammen. Die Bevölkerung habe "kein Interesse", hieß es.

Mladic und Karadzic ohne Unrechtsbewusstsein
Die gerichtliche Aufarbeitung geht noch einen Schritt weiter. Weder Mladic als einstiger Militärchef der bosnischen Serben im Krieg der Volksgruppen 1992 bis 1995 noch dessen ebenfalls vor dem Tribunal stehender politischer Vorgesetzter Radovan Karadzic legen auch nur einen Funken Unrechtsbewusstsein an den Tag. Daher muss den beiden Drahtziehern serbischer Verbrechen in Bosnien und Kroatien mit Zeugen und Sachbeweisen ihr grausames Fehlverhalten nachgewiesen werden.

Das UNO-Tribunal will vermeiden, dass der kranke 70-jährige Mladic oder der 66 Jahre alte Karadzic sterben, noch bevor ihre jahrelangen Mammutprozesse abgeschlossen sind. Der juristische GAU geschah aus Perspektive des Gerichts bereits mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der praktisch der Übervater von Mladic und Karadzic war. Milosevic erlag 2006 mit 64 Jahren in der Zelle des Tribunals noch vor seiner Verurteilung einem Herzinfarkt. Für den "unschuldigen" Drahtzieher der Jugoslawien-Kriege begann unter einigen seiner Landsleute sofort die Legendenbildung und Heiligenverehrung.

Ex-Militärs und ausführende Soldaten unbehelligt
Zwar wurden und werden die wichtigsten Kriegsverbrecher vor dem UNO-Tribunal zur Rechenschaft gezogen. Doch die breite mittlere Ebene der Verantwortlichen und die noch breitere Basis der ausführenden Soldaten, Paramilitärs, Geheimdienstagenten und Freiwilligen lebt unbehelligt in ihren Ländern ein vermeintlich gutbürgerliches Leben. Nur die gehäuften Selbstmorde unter diesen Veteranen sind ein Indiz, dass es unter der vordergründig heilen Oberfläche brodelt.

Aus diesem Grund gibt sich UNO-Chefankläger Serge Brammertz nicht damit zufrieden, die größten Übeltäter zur Rechenschaft zu ziehen. Er bohrt seit Jahren vor allem in Serbien, dass die Netzwerke dieser Kriegsverbrecher aufgedeckt werden. Denn Mladic und Karadzic konnten sich mehr als ein Jahrzehnt in Serbien verstecken. Sie besaßen echte Personaldokumente auf falsche Namen und wurden mit Unterkunft, Essen, Kleidung und ärztlicher Hilfe versorgt. Brammertz will herausfinden, wer diese Menschen in Geheimdiensten, Politik und Militär waren, die sich wegen ihrer Hilfe als "wahre Patrioten" feiern ließen. Balkan-Experten geben seinen Bemühungen wenig Chancen auf Erfolg.

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