Vor Haager Tribunal

Prozess eröffnet: Ratko Mladic in elf Punkten angeklagt

Ausland
16.05.2012 13:58
Vor dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag hat am Mittwoch der Prozess gegen den früheren bosnisch-serbischen Armeechef Ratko Mladic begonnen. Der 70-Jährige muss sich wegen mutmaßlichen Völkermords sowie Vorwürfen zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Krieges zwischen 1992 und 1995 verantworten - dabei vor allem für das Massaker von Srebrenica, bei dem rund 8.000 muslimische Buben und Männer ermordet wurden.

Mladic war im Mai 2011 nach 16 Jahren Flucht im Dorf Lazarevo in der nordserbischen Provinz Vojvodina, wo er sich im Haus eines nahen Verwandten versteckte, festgenommen und kurz danach an das UN-Gericht überstellt worden.

Erhobene Daumen zu Prozessbeginn
Beim Betreten des Gerichtssaales zeigte Mladic am Mittwoch die erhobenen Daumen sowie das Victory-Zeichen (Bild) und klatschte in die Hände. Ankläger Dermot Groome sagte zum Prozessauftakt, Mladic habe "die ethnische Säuberung in Bosnien" selbst in die Hand genommen. Der Jurist schilderte detailliert den Mord an 140 Männern im zentralbosnischen Dorf Vecici im November 1992. Über die Ereignisse soll der erste Zeuge der Anklage, Elvedin Pasic, berichten, der zu jenem Zeitpunkt, als sein Vater, Onkel und andere Männer ermordet wurden, erst 14 Jahre alt war.

Daraufhin berichtete Groome über den Tod an Dino Salihovic, einen Jugendlichen, der in Srebrenica von bosnisch-serbischen Truppen im Juli 1995 ermordet wurde. Die Erschießung von Salihovic durch die berüchtigte serbische Einheit "Skorpione" erfolgte in der Ortschaft Trnovo und wurde von einem der Teilnehmer aufgenommen. Groome berichtete auch über einen der zwei bosnisch-serbischen Angriffe auf den Gemüsemarkt Markale in Sarajevo, bei dem im August 1995 37 Personen getötet und 90 verletzt wurden.

70-Jähriger wirkt körperlich gesund
Mladic verfolgte die Verlesung der Anklage regungslos. In dunklem Anzug, hellem Hemd mit dunkler gemusterter Krawatte machte sich der 70-Jährige immer wieder Notizen. Der bei seiner Verhaftung vor einem Jahr schwer kranke Mladic wirkte körperlich gesund und ausgeruht. Von Zeit zu Zeit verzog er abschätzig den Mund und spielte mit seiner Lesebrille, die er pausenlos auf- und absetzte.

Nach mehr als vier Stunden wurde dann der erste Prozesstag vorzeitig beendet. Die Verlesung der Anklage habe weniger Zeit als geplant in Anspruch genommen, sagte der Vorsitzende Richter, Alphons Orie. Das Verfahren soll am Donnerstag fortgesetzt werden, dann werde die Staatsanwaltschaft ihren Vortrag abschließen. Die ersten Zeugen werden voraussichtlich ab 29. Mai einvernommen. Erste ausführliche Äußerungen des Angeklagten sowie seiner Verteidiger sind erst für einen späteren Zeitpunkt des Verfahrens geplant.

Bei Anhörungen vor dem Prozess hatte sich Mladic nicht ausführlich zur Anklage geäußert, diese aber als "monströs und ekelhaft" bezeichnet. Ihm werden die schlimmsten Verbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zur Last gelegt. Er ist in elf Punkten angeklagt: zweimal wegen Völkermords, viermal wegen Kriegsverbrechen und fünfmal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Anklage identisch mit jener von Karadzic
Die Anklage ist mit jener identisch, aufgrund der schon seit gut zwei Jahren ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadzic, läuft. In diesem Prozess wurde kürzlich das Beweisverfahren abgeschlossen.

Mladic und Karadzic standen laut der Anklage an der Spitze jenes verbrecherischen Vorhabens, das auf eine dauernde und gewaltsame Beseitigung von bosnischen Muslimen und Kroaten vom Gebiet Bosniens unter der Kontrolle der Serben abzielte. Diese Gebiete sollten dem einheitlichen serbischen Staat angeschlossen werden.

Im Folgenden die schwersten Vorwürfe gegen Mladic:

Srebrenica: Der Vorwurf des Völkermords wird Mladic im Zusammenhang mit dem Massaker von Srebrenica gemacht. Er soll einer der Drahtzieher des schlimmsten Blutbads in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sein. Im Juli 1995 waren bosnisch-serbische Truppen in die eigentlich von UN-Blauhelmsoldaten bewachte Schutzzone Srebrenica einmarschiert und hatten fast 8.000 Muslime - vorwiegend Männer und Burschen - verschleppt und getötet.

Sarajevo: Die Stadt war von Mai 1992 an 44 Monate lang von Mladics Truppen umstellt. Sie sollen dort 10.000 Menschen getötet haben. "Es wurden sogar Menschen in ihren eigenen Häusern getötet, getroffen von Kugeln, die durch ihre Fenster einschlugen", heißt es in einem Dokument der Anklage. "Die Angriffe dienten dazu, die Bewohner in einem ständigen Zustand des Terrors zu halten."

Weitere Vorwürfe: Auch in 14 weiteren bosnischen Orten sollen Mladics Truppen Muslime und Kroaten verschleppt, vergewaltigt, gefoltert und getötet haben. Dem früheren Armee-Chef wird auch bei diesen Verbrechen Völkermord vorgeworfen. Zudem ist er in diesen Fällen wegen Verfolgung, Vernichtung, Mordes, Verschleppung und unmenschlichen Handelns angeklagt.

Geiselnahme von UNO-Blauhelmen: Im Prozess gegen Mladic soll auch die Geiselnahme von rund 200 UN-Blauhelmsoldaten und Militärbeobachtern im Mai und Juni 1995 geahndet werden. Seine Truppen hatten die Blauhelme in Sarajevo und in anderen logistisch wichtigen Orten laut Anklage als menschliche Schutzschilde gegen Angriffe der NATO missbraucht.

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