Andrea Fischer wurde als „Österreichische Wissenschaftlerin des Jahres 2023“ ausgezeichnet. Die Tiroler Gletscherforscherin blickt trotz Klimawandel und Gletschersterben optimistisch in die Zukunft.
„Krone“: Frau Fischer, was ist am Eis so faszinierend?
Andrea Fischer: Ich bin immer gerne Bergsteigen gegangen. Die lebensfeindliche Umwelt und die Abwechslung sind für mich spannend. Als Physikerin ist Eis ein interessantes Medium, die Berechnungsmodelle dazu sind vielfältig. Der globale Klimawandel macht es brandaktuell, da tut sich derzeit sehr viel. Spannend finde ich auch, was das Eis uns über die Vergangenheit verrät.
Ein Beispiel?
Etwa die Eiszeit in den Alpen vor 18.000 Jahren, in der die großen Alpenvorland-Seen eisgefüllt waren. Das Eis ist dann sehr schnell abgeflossen, und das Inntal wurde 600 Meter aufgeschüttet. Das war ein gscheiter Bach, der da abgeflossen ist. Durch die Eisschmelze sind die großen Seen, etwa der Chiemsee, entstanden. Vor 9000 Jahren waren die Gletscher deutlich kleiner als heute, die Baumgrenze war weiter oben. Danach haben sich die Gletscher wieder neu gebildet. Vor 6000 Jahren ist das Eis entstanden, das heute am Abschmelzen ist. Die höchsten Temperaturen hatten wir in der Warmzeit vor 9000 bis 6000 Jahren, da war es so warm wie derzeit. Das Problem, das wir heute haben, ist: Wir haben das Maximum der menschengemachten Erwärmung noch nicht erreicht, und wir wissen nicht, wie heiß es noch werden wird – und so heiß war es noch nie in der Geschichte der Menschheit.
Dieses Wissen hilft uns, besser zu planen. Und wir können nun entscheiden: Wie wollen wir in die Zukunft gehen?
Andrea Fischer
Das klingt, als würden Sie im Eis lesen wie in einem Buch. Was steht da alles drin?
Durch Eisbohrkerne sehen wir 6000 Jahre in die Vergangenheit: Wir erfahren etwas über Zeitpunkte von Niederschlägen, Saharastaub, Vulkanausbrüchen, Föhnereignissen, Waldbränden – aber auch wann Menschen Bergbau-Arbeiten verrichtet haben. Alles, was in der Luft war, findet sich im Eis wieder. Deswegen sind die Messungen wichtig – wenn sich das Klima ändert, wollen wir lokale Daten haben, denn es gibt Abweichungen zwischen globalen und lokalen Daten.
Die Innsbrucker Glaziologin Andrea Fischer ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen neben der Glaziologie (Wissenschaft von Eis und Schnee) in den Bereichen Gebirgsforschung, Permafrost, Hydrologie und Klimatologie. 2002 war „Österreichs Eiskönigin“ Staatsmeisterin im Eisklettern.
Sie betrachten Eis aus wissenschaftlichem Interesse – doch trifft Sie der weltweite Klimawandel auch emotional? Macht Sie die Gletscherschmelze traurig?
Mir geht es da wahrscheinlich wie einem Arzt, der ja auch nicht jeden Tag total fertig nach Hause geht, obwohl er kranke Menschen behandelt. Ich kann etwas Gutes machen. Und es ist unglaublich spannend, weil da Prozesse in Bewegung sind, die so noch nie da waren. Wir können etwas Neues beobachten, das viele Menschen interessiert. Dieses Wissen hilft uns, besser zu planen, denn der Klimawandel ist jetzt bei uns angekommen. Und wir können nun entscheiden: Wie wollen wir in die Zukunft gehen? Das Schlimmste wäre, wenn wir gar nichts machen – und dann passiert einfach irgendetwas. Das Schöne ist, wir sind nicht im Blindflug unterwegs, die Menschheit ist so gut aufgestellt wie noch nie in ihrer Geschichte.
Sie klingen optimistisch.
Wir stehen viel besser da als Menschen in der Vergangenheit. Nehmen wir die kleine Eiszeit: Die Menschen wussten sich keinen Rat, sie haben Frauen als Hexen verbrannt und Prozessionen durchgeführt, um zu verhindern, dass Gletscher vorstoßen. Die Menschen waren total ausgeliefert. Im Vergleich dazu sind wir heute gut aufgehoben: Wir haben die Wissenschaft und Medien, die uns helfen, Meinungen zu bilden. Und deswegen – auch wenn es politische Prozesse brauchen wird – bin ich zuversichtlich. Es darf jedenfalls nicht sein, dass jemand abgehängt wird. Deswegen sehe ich es auch kritisch, harte Maßnahmen zu setzen, die großen Unwillen unter den Menschen schüren. Die haben ja auch andere Probleme, wie eine große soziale Ungleichheit, die immer weiter wächst. Wir müssen den jungen Menschen die Sorgen nehmen.
Ich erlebe die Wissenschaftsskepsis nicht so, im Gegenteil: Viele Menschen sind an unseren Messungen interessiert.
Andrea Fischer
Sie nennen die Wissenschaft als Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Doch gerade in Österreich scheint die Wissenschaftsskepsis groß zu sein.
Ich erlebe die Wissenschaftsskepsis nicht so, im Gegenteil: Viele Menschen sind an unseren Messungen interessiert. Die Menschen in den Tälern und Alpen helfen uns auch bei den Messungen.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.