OPER MIT FRAUENPOWER

„Unterhaltung ist kein böses Wort für uns“

Kultur
15.01.2024 18:58

Leonard Bernsteins Rarität „Candide“ sucht ab Mittwoch eine bessere Welt im Theater an der Wien. Die „Krone“ traf die Regisseurin Lydia Steier und die Dirigentin Marin Alsop vor der mit Spannung erwarteten Premiere.

„Oh mein Gott, wie viel Zeit haben Sie?“ - antwortet Regisseurin Lydia Steier lachend auf die Frage, ob sie die wirre Handlung von Leonard Bernsteins „Candide“ erzählen möchte. 

Die „Comic Operetta“ basiert auf Voltaires satirischer Novelle „Candide oder der Optimismus“, in der er den deutschen Philosophen Leibniz ad absurdem führt. Der propagierte, dass, egal, was passiert, wir in der besten aller möglichen Welten leben. Voltaire schickt den jungen Candide in die Welt, um die These zu widerlegen.

Voltaire schrieb das vor dem Hintergrund des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) und des verheerenden Erdbebens, das 1755 Lissabon dem Erdboden gleich machte, geißelt Adel, Kirche, Inquisition und die naive Utopie vom sorglosen Leben. 

„Candide“-Regisseurin Lydia Steier (Bild: Sandra Then )
„Candide“-Regisseurin Lydia Steier

Wahrlich kein leichtes Unterfangen, das szenisch konsumierbar zu machen. „Ich habe schon viele Produktionen gesehen, aber ich fand sie alle irgendwie enttäuschend“, muss auch Lydia Steier zugeben. „Ich hoffe, wir tappen nicht auch in diese Falle“, sagt sie und ergänzt: „,Candide‘ wollte ich immer schon einmal machen. Es war immer der erste Wunsch, wenn mich Operndirektoren nach einem Stück gefragt haben. Erst Theater an der Wien-Intendant Stefan Herheim hat sich getraut.“

Nicht alles passt in eine Schublade
Dirigentin Marin Alsop wird „Candide“ am Pult ihres ORF Radio-Symphonieorchester Wien leiten, dem sie seit 2019 als Chefdirigentin vorsteht. Leonard Bernstein war ihr ein wichtiger Mentor. „Candide“ hat sie schon mehrmals geleitet. Daher sei die Frage erlaubt, was Bernsteins „Candide“ denn eigentlich ist. 
„Operetta“, Musical, Oper? Alsop winkt ab: „Diese Sehnsucht zu kategorisieren, sollte man aufgeben. Bernstein wehrte sich von allen am meisten dagegen, kategorisiert zu werden. Man muss sich nur seine Symphonien anschauen. Eine ist ein Klavierkonzert, das auf einem Gedicht basiert, eine andere ist für Chor und Erzählung. Man kann bei ihm nie sagen, es ist das eine oder das andere. Denn es ist alles. 

Dirigiert „Candide“: RSO Chefdirigentin Marin Alsop (Bild: Nancy Horowitz)
Dirigiert „Candide“: RSO Chefdirigentin Marin Alsop

Er war so ungemein begabt und so reich und vielfältig in seinem musikalischen Wissen und seinem Geschmack. Das ist auch der Grund, warum er als Komponist so heftig kritisiert wurde. Weil die Menschen seine Musik in keine Schublade stecken können. Wenn Menschen etwas nicht labeln können, fühlen sie sich nicht wohl. Aber er hat das geliebt.“

Keine endlosen Dialoge 
Bernstein hat seinen „Candide“ nach dem Uraufführungs-Flop oft umgearbeitet. Im Theater an der Wien hat man sich für die letzte Fassung entschieden, die er für jene legendäre, selbst dirigierte konzertante Londoner Aufführung geschaffen hat, die mit Jerry Hadley als Candide, June Anderson als Cunegonde und den wunderbaren Altstars Christa Ludwig und Nicolai Gedda für CD und DVD mitgeschnitten wurde. 

Diese Version bringt auch Vorteile für die szenische Produktion, erklärt Lydia Steier: „Es geht schnell voran, weil man nicht in diesen endlosen Dialogen feststeckt. Wir haben auch den Erzähler aus der Konzertfassung. Das macht die Sache sehr effizient. Ich habe keine Geduld für Langeweile, daher muss es auch für mich unterhaltend sein.“ Über 300 Kostüme wurden für die vielen Stationen geschneidert. Eine große Bilderflut verspricht Steier. Man startet in Westfalen in der Goethe-Zeit etwa um 1830 und geht dann auf Zeitreise, samt riesiger Showtreppe und vielen schnellen Verwandlungen. 

Ensemble auf Showtreppe (Bild: Werner Kmetitsch)
Ensemble auf Showtreppe

Die Frage Neujahrskonzert
Außerdem gibt es „zwölf Tänzer, um dem Ganzen ein Art Broadway Feeling verliehen. Es muss Spaß machen. Ich bin Amerikanerin und Unterhaltung ist kein böses Wort für uns!“ Apropos Unterhaltung. Welche Meinung hat Alsop zum Thema „Frau dirigiert Neujahrskonzert“: „Die Philharmoniker sagen ja, das kann nur ein Dirigent machen, der eine lange Beziehung zum Orchester hat. Daher sollte man dazu die Verantwortlichen befragen“, bleibt sie diplomatisch. Würde sie es leiten? „Wenn ich Zeit habe, ja.“

Für „Candide“ hat sie Zeit, für ein Werk, das sie für brisanter denn je hält: „Unsere Version reflektiert die extreme Welt, in der wir leben. Als ich ,Candide‘ als Kind zum ersten Mal gesehenen habe, wirkte es lächerlich und absurd auf mich. Jetzt nicht mehr. Alle darin gezeigten Dinge passieren. Die Klimakrise, die Stürme, die vielen Kriege, sexueller Missbrauch, die Pandemie, alles ist so ungemein aktuell. Doch zum Schluss spielt das alles keine Rolle mehr. Es kommt zu einem sehr ehrlichen und einfachen Ende. Vielleicht ist es genau das, was die Welt im Moment braucht.“ 

Nikola Hillebrand (Cunegonde), Matthew Newlin (Candide) (Bild: Werner Kmetitsch)
Nikola Hillebrand (Cunegonde), Matthew Newlin (Candide)

Die Figur des Candide ist dabei ein Spiegel für uns selbst, sagt Steier: „So wie wir jedes Jahr gerade zu Jahresbeginn uns bessern wollen, uns vornehmen, weniger, gesünder zu essen, öfter ins Fitnesscenter zu gehen, nicht nur schnelle Mode aus Billiglohnländern zu kaufen. Sondern an die Möglichkeit einer besseren Welt glauben. Natürlich sind die Abenteuer von Candide extrem, dennoch gibt es eine optimistische Botschaft am Ende. 

Es gibt zu viel Liebeskummer, zu viel Chaos, zu viel Tod, zu viel Bankrott, zu viel Gewalt, bis Candide den Stop-Button drückt. Das ist auch die Botschaft an uns: Sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.“ 

Bernstein fühlte sich missverstanden
Die letzte Frage gehört Alsop, wie sie sich an ihren Mentor Leonard Bernstein erinnert, und ob sie mit ihm über Candide sprechen konnte: "Es lag nicht auf dem Tisch, als ich mit ihm gearbeitet habe. Aber wir sprachen sehr viel über ,MASS‘, ein Werk, das ähnlich wie ,Candide‘ furchtbar kritisiert wurde. Bernstein fühlte sich missverstanden - und er wurde missverstanden. Auch wenn er schon zu Lebzeiten eine Legende war, auf eine gewisse Weise können wir erst nach seinem Tod seine Musik tatsächlich schätzen. 

Es gibt ein Happy End (Bild: Werner Kmetitsch)
Es gibt ein Happy End

Er war mein Idol, seit ich neun war - und als ich ihn traf, erwies er sich als noch größer. Er war unglaublich großzügig, liebevoll, freundlich - und zugleich sehr furchteinflößend, denn er duldete keine Dummheiten. 

Wenn jemand etwas Dummes sagte, hielt er sich nicht zurück, darauf hinzuweisen. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war, Fehler im Oxford Dictionary zu finden. Wenn ich mit ihm reiste, hatte er immer zwei Koffer dabei, einen mit Dictionaries und einen mit dem kompletten Shakespeare. Er merkte sich alles und sprach über alles. Ich lernte so viel über Musik durch ihn, aber genauso viel über die Welt. Er war ein großer Humanist."

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