Gekommen, um zu bleiben. Die britische Alternative-Supergroup The Smile rund um Radiohead-Kopf Thom Yorke veröffentlicht mit „Wall Of Eyes“ ihr zweites Album und kommt damit im Sommer nach Wien. Das Trio zeigt sich auf dem neuen Werk gereift, entspannt und wesentlich nostalgischer als je zuvor.
Das letzte, natürlich gelungene Album „A Moon Shaped Pool“ datiert aus dem Jahr 2016, live trat man seit 2018 nicht mehr in Erscheinung. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Thom Yorke und Co. keine große Lust mehr auf ihr Baby Radiohead haben. Die vielleicht wichtigste Band, die in den 90er-Jahren im Alternative- und Indie-Sektor entstanden ist und Tausende von Bands und Acts quer über den Globus mit ihrer Vielseitigkeit inspiriert hat, bewegt sich konsequenterweise nicht mehr aus der „On hold“-Position heraus und lässt ihre Fans im Unklaren. Radiohead-Gitarrist und -Keyboarder Johnny Greenwood häufte in der faden Pandemiezeit dafür unzählige Riffs, Licks und Songideen zusammen, die schließlich im 2021 ins Leben gerufenen Projekt The Smile kulminierten. Beim renommierten Glastonbury feierte die Truppe mit Greenwood, Yorke und Sons Of Kemet-Drummer Tom Skinner einen ersten Streaming-Auftritt, im Jänner 2022 folgte in London das erste Konzert vor Publikum, im Mai erschien das Debütalbum „A Light For Attracting Attention“.
Raum zur kompletten Entfaltung
Kritiker und auch zahlreiche Fans waren sich schnell darüber im Klaren, dass dieses Album von all den vielen Radiohead-Nebenprojekten der einzelnen Mitglieder das konzilianteste und nachvollziehbarste sei. Nach einigen Live-Auftritten (u.a. 2022 auch im Wiener Gasometer), bei denen das Trio auch immer unveröffentlichte Songs einstreute, ging es im März 2023 ins Studio, um das nun erschienene Zweitwerk „Wall Of Eyes“ einzuspielen. Wie schon beim überschattenden Hauptprogramm legt sich das Musikergespann auch unter dem Schirm von The Smile keine Grenzen auf. Wo es bei Radiohead dann aber doch ein paar ungeschriebene Eckpfeiler gab, über die man nicht hinausstoßen, genehmigt sich das Trio im neuen Klangmantel wesentlich mehr Raum zur kompletten Entfaltung, ohne sich dabei von nachvollziehbaren Songstrukturen abzuwenden.
War das Debüt stellenweise noch mit einer gewissen Angriffslust und einem spürbaren Funk-Feeling durchzogen, schalten The Smile nun zumeist einen Gang zurück und bewegen sich in die kompositorische Vergangenheit. Sehr viel Psychedelia, unschuldiger 60s-Pop-Gestus, ein bisschen Krautrock und der steigende Mut, sich auch an die heilige Kuh Jazz heranzuwagen stehen der Band gut zu Gesicht. Ein Song wie das abschließende „You Know Me“ atmet die ungezügelte Verschrobenheit alter Captain Beefheart-Scheiben, die sich mit orchestralen Streichern und einem anschmiegsamen Piano verbinden. The Smile eröffnen gerne warme, verbindende, fast schon zärtliche Soundkaskaden, die sich zu einem gesamtmusikalischen Mosaik vereinen. Yorke und Co. haben sich mit dem Londoner Contemporary Orchestra zusammengetan und tragen stellenweise gerne dick auf, aber im zur Schau gestellten Stoizismus ist kein Gramm zu viel aufgetragen.
Erwartungen zur Seite kippen
Wer sich mit dem Oeuvre der Musiker schon länger befasst, trifft freilich auf viele alte Bekannte. Das verschroben-elektronische „Teleharmonic“ haben The Smile für eine Folge der Erfolgsserie „Peaky Blinders“ komponiert, das mit einer markanten Greenwood-Gitarrenlinie nach vorne preschende „Under Our Pillows“ war ebenso schon 2022 live zu hören wie die Single „Friend Of A Friend“, die man einst unter dem aus Yorkes-Pandemieerfahrungen inspirierten Banner „People On Balconies“ gehört hat. In diesem Song kommt die Liebe zu den Beatles markanter hervor als je zuvor, auch wenn The Smile sich den Fab Four in deren psychedelischen Spätjahren immer wieder mal annähernd, ohne sich allzu auffallend an das Liedgut der Pop-Götter anzulehnen. Wo Radiohead sich am Ende doch lieber noch an den Sicherheitsterminus „Lärm“ lehnten, kippen The Smile alle Erwartungen an einen letzten Rest Rock’n’Roll spielerisch zur Seite.
Skinner, der sich u.a. neben den Sons Of Kement auch bei Floating Points und anderen Feinschmeckerprojekten ausleben darf, ist es zu verdanken, dass man sich am zweiten Album weit stärker in den Jazz-Bereich wagt. Mit seinen dissonanten Rhythmen und den bewussten Breaks, die jede auffallende Eingängigkeit bewusst unterbrechen, gibt er dem neuen Material von The Smile das Selbstbewusstsein, das sich beim Debütalbum schon angedeutet, aber noch nicht breitflächig durchgesetzt hat. Mit The Smile erlauben sich Yorke und Greenwood, in entscheidenden Stellen bis in die völlige Unkenntlichkeit eines Songs auszufransen, fürchten sich aber auch nicht davor, wie etwa in „Read The Room“, schrägen Gitarrenpop mit einer klandestinen Vorliebe zur Klassik zu verknüpfen. Das Spielfeld der Briten ist nicht mit Linien abgegrenzt, sondern ragt in unendliche Weiten, die man sich auch als Hörer erst erarbeiten muss.
In der Touristenhochburg
Einen Wechsel wagte man auch im Hintergrund. Statt Nigel Godrich wurde „Wall Of Eyes“ von Sam Petts-Davies produziert, der sich schon um das Klangbild von Yorkes Soundtrack zum Horrorfilm „Suspiria“ (2018) kümmerte. Den satten, auch in allen Details sehr gut ausgereiften Sound hat man in Oxford und natürlich in den Abbey Road Studios eingefangen. Trotz Yorkes bittersüßer Beziehung zur Beatles-Kultstätte („es ist das beste Studio der Stadt, aber leider auch eine Touristenhochburg“) vertraute man im sonst recht sprunghaften Bandcamp dann doch der altbewährten Hochburg voller Musikgeschichte. „Wall Of Eyes“ ist ein Klangkörper, den man sich mit Ruhe und Beharrlichkeit erarbeiten muss, der sich dadurch aber umso schöner entfaltet. Die Steigerung zum Debüt ist markant und lässt auf eine rosige Zukunft hoffen. Radiohead werden schon wieder mal irgendwo auftauchen, bis dahin kann man sich an diesem feinen Projekt laben.
Live in Wien
The Smile kommen diesen Sommer auch wieder live nach Wien. Am 22. August spielen Yorke, Greenwood und Skinner mit ihrem neuen Album und wohl auch wieder ein paar unveröffentlichten Songs live am Open-Air-Gelände der Wiener Arena. Unter www.oeticket.com gibt es die Karten und weitere Informationen dazu. Allzu lange wird der Vorrat wahrscheinlich nicht reichen.
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