„Krone“-Interview

Manu Delago: „Ich war bei Björk die Klimapolizei“

Musik
01.02.2024 09:00

Als fixes Bandmitglied von Björk kennt man den Tiroler Manu Delago seit mehr als einem Jahrzehnt. Sein Herzblut steckt er in seine Solo-Projekte - wie in das neue Album „Snow From Yesterday“. Im ausführlichen „Krone“-Interview spricht er über Familientragödien, die Zukunft unseres Planeten und warum er im Björk-Bandcamp die Klimapolizei spielt.

(Bild: kmm)

Wenn der Tiroler Manu Delago als Hang-Spieler und Percussionist nicht gerade mit der Pop-Elfe Björk durch die Welt tourt, dann konzentriert er sich zunehmend auf seine Soloprojekte. Die letzten Jahre standen neben extensiven Konzerten mit der Isländerin vor allem im Zeichen seines neuen Albums „Snow From Yesterday“, das allumfassende Themen wie Vergänglichkeit, Tod und Familie mit der Natur vereint. Es geht nicht nur um Verlust im inneren Kreis, sondern auch um die Gletscherschmelze, versinkende Städte und wie man die Zukunft der Welt als Jungvater mit ganz neuen Augen sieht.

Während sich der 39-Jährige vornehmlich auf die Instrumentierung konzentriert, hat er sich für sein neues Werk das weibliche Tiroler Vokal-Ensemble Mad About Lemon ins Boot geholt, das seine Ideen und Gedanken textlich umsetzte und teilweise weitergesponnen hat. „Snow From Yesterday“ ist eine Reise durch unterschiedliche Klangwelten, sie sich bei mehrmaligem, konzentriertem Hören in seiner vollen Pracht offenbart. In träumerischen Soundkaskaden verbindet Delago darauf den persönlichen Mikrokosmos mit dem weltlichen Makrokosmos und macht mit naturbelassenen Bildern klar, dass unsere Zukunft noch immer den Händen von uns selbst liegt.

„Krone“: Manu, du warst 2023 mit Björk auf großer „Cornucopia“-Tour. Hast du das Jahr abseits davon so weit wie möglich deinem neuen Album „Snow From Yesterday“ gewidmet?
Manu Delago:
 Anfang 2022 habe ich mit der weiblichen Tiroler Vokalgruppe Mad About Lemon begonnen gemeinsam Musik zu machen und Ende 2022 live zu spielen. Die Zusammenarbeit machte Sinn, also haben wir dann alles aufgenommen. Es sollte ein Manu-Delago-Album sein, aber bei sieben Stücken sind Mad About Lemon so präsent, dass es nicht korrekt wäre, wenn nur ich so präsent wäre. Auf dem Vorgänger „Environ Me“ war das Konzept vorrangig und ich habe alles dort hineingepresst. Dieses Mal war die Musik vorrangig und ich wollte etwas machen, das ich gerne selbst hören würde. Ich höre gerne schöne Stimmen und deshalb auch Mad About Lemon.

Was würdest du denn gerne hören?
Sehr viel Musik, die ich höre, wirkt perfekt und muss so sein. Mad About Lemon sind super, aber im Sinne vom Sounddesign ging noch viel mehr. Mit meinem elektronischen Sounddesign und meinen Instrumenten wollte ich sie noch stärker zentrieren. Mir war wichtig, mich als Instrumentalist nicht zu weit vorne einzureihen. Ich brauche nicht das große Feature, sondern sehe mich als Komponist und Produzent. Ich muss keine virtuosen Dinge auspacken, das habe ich zur Genüge gemacht. Die tiefen und warmen Blechbläser-Sounds habe ich noch nicht oft gemacht, fand sie aber sehr schön. Live werden sie nicht dabei sein, aber im Studio habe ich sie mir gegönnt. Mittlerweile kann ich den Live-Sound sehr gut vom Album-Sound trennen.

Wie sind Mad About Lemon und du im Endeffekt so dicht zusammengewachsen?
Ich kannte sie vorher, aber als Trio gibt es sie erst seit drei Jahren. Es sind keine Lead Vocals, es ist auch chor, sondern alles ist miteinander verwoben. Wir haben uns erst getroffen, gejammt und die ersten zwei Songs gespielt. Ich habe sie dann zu meinem Konzert beim Festspielhaus in St. Pölten eingeladen und mit Bläsern, Grooves, Elektronischem und Vokalem experimentiert. Die Zusammenarbeit mit Mad About Lemon hat sich als passend herauskristallisiert und so haben wir uns auch 2023 weiter getroffen und Musik aufgenommen. Jetzt gehen wir 2024 auf Tour.

„Snow From Yesterday“ knüpft somit gar nicht an den Vorgänger „Environ Me“ an?
Nein. „Environ Me“ wurde von meiner Recycling-Tour geflankt. Das Album war der Umgebung gewidmet und die Radtour hat einen schönen Bogen ergeben. Dieses Mal habe ich alles nach der Musik gerichtet. Textlich gibt es verschiedene Themen, wobei das meiste miteinander verwandt ist. Es fällt viel von der Vergänglichkeit des Wassers in die des Lebens ein. Der rote Faden hat sich mehr oder weniger ergeben. „Environ Me“ war klar nach einem Konzept gestaltet.

Gab es für „Snow From Yesterday“ einen bestimmten Song, der als erste Vorgabe für alles Weitere diente?
2022 und in der ersten Hälfte 2023 habe ich doppelt so viele Stücke geschrieben wie am Album zu hören sind, aber die übriggebliebenen machten zusammen Sinn. „Stay Afloat“ war eine der frühesten Textideen. Ich bin kein Sänger und üblicherweise auch kein Texter, aber als ich wusste, dass es Vocals geben wird, hatte ich Ideen. Irgendwann haben sich die Themen Wasser, Schnee und Eis herauskristallisiert und ein paar persönliche Themen wie Generationen und Tod. Die Texte kommen von mir, aber wir haben sie immer zusammen ausgearbeitet. Ich hatte die initiale Idee, aber mit Mad About Lemon haben wir sie musikalischer gemacht oder andere Synonyme gefunden. Ein paar Zeilen oder einzelne Wörter kommen von den Damen, aber der Grundstock kam von mir.

In „Stay Afloat“ zählst du verschiedene Städte wie Amsterdam, Miami, Manila oder Chennai auf, die durch den Klimawandel alle sehr stark vom Untergang bedroht sind.
Da hängen mehrere Songs thematisch zusammen. „Polar Bear“, der Titeltrack oder auch „Slow-Mo Moving River“, wo es um die Fortbewegung von Gletschern geht. Zwei Drittel der Menschheit lebt an Küsten und viele Großstädte sind stark gefährdet. Ich bin sehr interessiert an Geografie und habe mich mein Leben lang mit Bergen und Ländergrenzen beschäftigt. Indonesien hat erst kürzlich seine Hauptstadt verlegt. Jakarta hat ca. 15 Millionen Einwohner, aber sie muss wegen der Gefahr verlegt war. Stell dir mal vor, wir verlegen Wien in Österreich - das ist schon ein richtig großes Thema. Die zweite Hälfte des Songs habe ich positiv und mit Hoffnung gefüllt. Ich hoffe natürlich, dass es Lösungen für das Problem gibt, die Holländer probieren das ganz gut. Auf die Welt kommen jedenfalls große Herausforderungen zu.

Gerade als klimabewusster Mensch, der sich stark für das Thema interessiert, ist es manchmal sicher schwierig, überhaupt noch Hoffnung zu finden. Wir haben schon viele Grenzbereiche überschritten und steuern zielgerichtet in schwierige Zeiten.
Ich versuche, mit Aktionen und Taten wie der Recycling-Tour positive Zeichen zu setzen, die hoffentlich Menschen inspirieren, dazu beizutragen. In „Stay Afloat“ geht es auch um technische Lösungen von weiter oben. Man kann sich nicht nur auf Wissenschafter verlassen, aber wir gewöhnlichen Menschen können die Welt alleine auch nicht retten. Es benötigt viel Aufwand von allen Seiten und Parteien.

Hast du dir eigentlich überlegt, auf dem Album auch selbst zu singen?
Ich finde keinen großen Gefallen an meiner Stimme und singe höchstens zum Komponieren bei Demos für mich. Seit zwei Jahren bin ich Vater und vielleicht kommt das Singen jetzt im Privaten stärker. Auf der Bühne muss ich das aber niemanden antun.

Ist die Vaterrolle mitverantwortlich dafür, dass du auf dem Album sehr vergangenheitsbezogen bist? Dass du vielleicht dein Leben reflektierst und auf deine neue Rolle ummünzt?
Das wäre mir nicht bewusst aufgefallen, aber gewisse Vergleiche macht man sicher. Meine Musik beeinflusst die Rolle als Vater aber nicht. Wenn du indirekt den Track „Little Heritage“ ansprichst - da hat sich vieles ergeben. Ich wollte eine Brücke bauen zwischen meinem Großvater und meiner Tochter, die sich knapp verpasst haben, weil er drei Monate vor der Geburt meiner Tochter starb. Durch Vocal-Samples habe ich die beiden zusammengebracht. Ich habe den Song als „The Heritage“ schon vor zehn Jahren geschrieben und der Name meine Tochter, Otilia, heißt übersetzt „little heritage“. Das war totaler Zufall, der sich perfekt zusammengefügt hat.

Vergänglichkeit ist auch auf „Paintings On The Wall“ ein markantes Thema.
Darin geht es um meinen Stiefvater. Die ersten Proben waren im Keller des Hauses von meiner Mutter und meinem Stiefvater. Er wollte kommen und mitmachen, aber wir haben ihm gesagt, dass wir ihm alles vorspielen, wenn die ersten Demos fertig sind. Eine Woche nach den ersten Proben verstarb er überraschend und das Stück hatten wir ohne Text geprobt. Als Reaktion auf den Tod und als eigene Verarbeitung habe ich diesen Text geschrieben. Vier Tage haben wir das Lied geübt und bei seinem Begräbnis gespielt und gesungen. Das war stimmig und schön. Es hat sich richtig angefühlt, den Song ins Programm aufzunehmen und ihn öffentlich zu machen. Später haben wir das Lied mit einem Bläsersatz größer gemacht. Er war Künstler und Maler und diese Bilder haben den Text stark inspiriert.

Hat es dich mehr Überwindung als üblich gekostet, mit so persönlichen und traurigen Themen in die Öffentlichkeit zu gehen?
Dadurch, dass ich kein klassischer Texter bin, bin ich froh, wenn ich überhaupt Inspiration dafür habe. Ich habe daher auch weniger ein Problem, diese Ideen zu teilen. Die Ideen kann ich nicht forcieren, aber wenn sie zu mir kommen, freue ich mich darüber und teile sie gern - auch wenn diese Geschichte traurig ist. Aber jeder kennt solche Erlebnisse und sie sind ein Teil des Lebens.

Wurde das Themenelement Familie in deiner Musik wichtiger als es je zuvor war?
Das hat sich eher so ergeben. Meine Tochter ist erst zwei und mein musikalischer Output hat sich mit ihrer Geburt nicht groß verändert. Ich schreibe meine Ideen als Notizen in mein Handy und manche kommen erst fünf Jahre später raus. Meine Tochter ist auf dem Album gar nicht so präsent. 2017 habe ich ein Lied veröffentlicht, in dem es um meine verstorbene Oma ging. Diese emotionalen Reize führen mich immer wieder zur Kreativität. Das war schon früher der Fall. Ich habe Familie immer wichtig gefunden, aber sie nicht besonders viel oder besonders wenig mit der Welt geteilt.

Sind Themen wie Umwelt, Klima und Zukunft jetzt noch präsenter für dich, wo du mit deiner Tochter auch einen Menschen hast, der in dieser Welt noch leben wird, wenn wir es nicht mehr tun?
Es ist nicht leicht, all das zu vereinen, weil mein eigener Job auch nicht der beste und gesündeste ist. Ich versuche alles so gut wie möglich zu machen und alles Unnötige zu vermeiden. Ich werde nicht um den einen oder anderen Flug herumkommen, aber meinen Job teile ich mit vielen Menschen und versuche einiges mit guten Werten und positiven Aspekten zu kompensieren. Das war vor meiner Vaterschaft aber genauso, jetzt denkt man vielleicht mehr darüber nach, wie es sein wird.

Es gibt auch nicht viele Künstler, die mit Rad und Solarenergie eine ganze Tour bestreiten. Du musst dich sicher am wenigsten von allen für den Job als tourender Musiker rechtfertigen.
Zum Konzert mit Björk in der Wiener Stadthalle bin ich tatsächlich grün gefahren. Zuerst von Arzl bei Innsbruck zum Bahnhof, mit dem Zug nach Wien und dann von Meidling mit einem Citybike in die Wiener Stadthalle. Es gibt aber natürlich Touren, da ist der Transport so nicht möglich oder nicht unter meiner Kontrolle. Bei Björk war ich ein bisschen die Klimapolizei. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass alle 50 Leute auf Tour nicht 500 Plastikflaschen mit Wasser bekommen, sondern jeder seine eigene Trinkflasche mitnimmt und wir Wasserspender haben. Nach der 2019er-Tour habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass wir viele Strecken mit dem Zug fahren. Auch wenn die Entscheidungen nicht immer bei mir liegen, kann ich Anregungen hervorbringen und ich habe gesehen, dass das sogar bei einer Monsterproduktion wie Björk klappen kann. Das hat mich auch dazu inspiriert, als kleiner Teil noch viel aktiver zu werden.

Björk ist ja selbst ungemein umwelt- und klimabewusst. Da treffen dann wohl zwei Klimapolizisten aufeinander …
In gewissen Bereichen der Proben ist sie gar nicht so involviert und dann fällt ihr vieles auch nicht auf. Mir fiel es in London 2019 das erste Mal deutlich auf, dass wir palettenweise stilles und prickelndes Wasser in Plastikflaschen bekamen. Man reißt eine Flasche auf, nimmt drei Schlucke und dann stehen 50 halbvolle Flaschen herum, die weggeschmissen werden, weil man sie nicht mehr unterscheiden kann. Björk war das so gar nicht bewusst, als ich es ihr herangebracht habe und wir haben es dem Produktionsleiter gesagt. Von da an brachte jeder seine Wasserflasche mit und wir haben Wasserspender aufgestellt.

Apropos Wasser - „Snow From Yesterday“ ist ein sehr vielseitiger Titel. Er kann sich um die Natur drehen, um die Vergangenheit oder auch als Redewendung angesehen werden. Was war deine Intention dahinter?
Es war ein bewusst offenes Wortspiel, das je nach Land anders interpretiert wird. Die Redewendung „Schnee von gestern“ gibt es so nur auf Deutsch. Auf Englisch heißt es „Water Under The Bridge“. Wenn der Schnee in der Natur schmilzt, ist er auch Wasser unter der Brücke, also kombinieren sich die Bedeutungen hier in der Realität. Ich fand den Kreislauf schön als Metapher für den Albumtitel, weil das Wasser dann irgendwann zu Eis wird. So habe ich die Lieder alle unter einen Hut gebracht.

Du scheinst prinzipiell schon der kühleren Klimazone zuträglich zu sein. Wenn es um Natur geht, könntest du genauso gut die Tropen als Unterbau heranziehen.
Ich bin ein großer Fan der Berge und in der Höhe ist es bekannterweise kühler als in der Stadt oder am Meer. Ich finde aber auch, dass Musik, die in der Kälte entsteht, viel wärmer wirkt. Sehr viel aus Island und Skandinavien finde ich herzerwärmend und mein Album reiht sich da gut ein. Es ist sehr ruhig gehalten. In den letzten Jahren habe ich gelernt, dass man beim Hören eines Albums eine gewisse Stimmung entfachen möchte. Bis vor etwa acht Jahren wollte ich auf meinen Alben immer alles präsentieren, was gerade in meinem Leben passiert. Von elektronischen, flotten Beats bis hin zu ruhigen Songs. Diese verschiedenen Dynamiken präsentiere ich noch immer gerne live, aber ich wollte jetzt auf Platte mal in einer Stimmung bleiben. Die lauten und brutalen Beats habe ich oft genug gemacht und sie können irgendwann auch wieder zurückkehren.

Ist es herausfordernder, wärmere und ruhige Musik zu machen, die auch Raum für Lücken lässt?
Die Herausforderung ist für mich die, dass wenn ich selbst ruhige Musik schreibe, ich im Studio immer die Angst habe, das Ergebnis könnte langweilig werden. Wenn ich das Album dann aber mit anderen Alben vergleiche, die mir gefallen, passt es gut. Es darf ruhig weniger Dynamik und Komplexität herrschen. Das Element Wiederholung finde ich sehr schön. Nicht im Sinne eines Mainstream-Pop-Refrains, aber in atmosphärischer Art und Weise. Je älter ich werde, umso mehr lerne ich, was ich gerne höre und machen möchte. Als jüngerer Komponist hatte ich immer das Gefühl, alles hineinstecken zu wollen, damit es mir inhaltlich genügt. Vielleicht habe ich meine Musik früher zu stark befüllt und zu bunt gemacht.

Findest du dich selbst in deiner älteren Musik schwer wieder?
Unterschiedlich. Es gibt viele Sachen, die ich nach zehn Jahren noch immer cool finde, bei anderen weiß ich gar nicht mehr, was ich mir dabei dachte. Ich würde die Stücke von verschiedenen Alben vielleicht anders zusammenstellen. Gerade zwischen 2013 und 2017 habe ich sehr dynamische Alben gemacht, die man anders kuratieren könnte. Es hat damals aber auch so gepasst, ich habe da keine große Reue.

Worauf spielt der Album-Opener „Modern People“ an?
Es soll ein Blick auf die jetzige Menschheit von Leuten in ungefähr 100 bis 200 Jahren sein. Ein kritischer Blick auf jene, die sich als modern und fortgeschritten sehen. Ich spiele auf Dinge an, die in der Zukunft vielleicht belächelt werden oder wie sich Menschen irgendwann auf den Kopf greifen, weil sie nicht verstehen, warum 2024 diese oder jene Schritte getätigt wurden.

Dieser Blickwinkel beinhaltet aber schon mal per se einen positiven Zugang. Es gibt dann noch Menschen und sie haben aus Fehlern gelernt.
Absolut korrekt. Es gibt in 200 Jahren noch Menschen - das habe ich mir sehr bewusst überlegt. Das ist schon einmal der allererste Optimismus, denn wir haben daher Lösungen gefunden, die wir jetzt noch nicht kennen. Es werden im Lied viele Dinge aufgezählt, die hinterfragt werden können. Es gibt eine gewisse Spekulation im Song, aber sehr vieles von heute wird es vielleicht irgendwann gar nicht mehr geben. Etwa Berufe oder diverse Hilfsmittel, Diskriminierungen oder Verhaltensweisen.

Bekämpfst du in deinen Zukunftsvisionen bewusst jede Form von Pessimismus?
Ich muss das alleine für meine eigene mentale Gesundheit so machen. Ich bin lieber positiv und für mich ist die Recycling-Tour auch deshalb etwas, worauf ich sehr stolz bin. Es ging nicht nur darum, dass wir mit dem Fahrrad fuhren, uns vegetarisch ernährten und Ökostrom bezogen, wir hatten auch gemeinsam eine großartige Zeit. Das Unterwegssein war so viel lässiger und lustiger als alle Touren in Bussen oder Flugzeugen. Wir haben das Projekt positiv gestaltet und haben auch zum Klima beigetragen. Es inspiriert Leute, bringt sie zum Lachen und jeder Auftrittsapplaus war wie eine eigene Feier. Wir sind von Innsbruck nach Amsterdam geradelt und in Rotterdam haben die Leute schon deshalb anfangs drei Minuten geklatscht. Es ging also nicht nur um Verzicht, sondern war vielmehr ein Gewinn für uns alle. Ich habe jetzt auch eine ganz andere Perspektive auf das Fahrradfahren. Ich sehe es nicht mehr als Anstrengung und das Wetter ist mir völlig egal geworden. Das ist gar nicht so schwer und das habe ich so durch die Recycling-Tour gelernt.

Du hast damit auch nach außen eine andere Vorbildwirkung. Allein schon, weil du nicht über Verbesserungen redest, sondern einfach machst und damit zeigst, was möglich ist.
Das wäre natürlich schön. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal gleich machen könnte. Es ist sehr zeitintensiv, aber aus Familiengründen will ich in näherer Zukunft nicht vier Wochen von daheim weg sein. Wir haben aber andere Aspekte mitgenommen. Meine Touren sind komplett vegetarisch. Wer Fleisch will, kann es gerne essen, aber muss es sich aber selbst besorgen. Vegane Optionen werden selbstverständlich beachtet. Das ist bei mir genauso fix wie das Mitnehmen der eigenen Wasserflaschen. Das multipliziert sich auf alle Personen und im Idealfall weiten die Veranstalter diese Umstellungen auch auf das Publikum aus. Die Recycling-Tour war ja nicht nur auf Transport ausgelegt, sondern sollte insgesamt so grün wie möglich sein.

Im Transport möchte ich mehr mit Hybrid-Tourenfahrrädern arbeiten. Ich habe das schon mal probiert und fuhr nur mit Fahrrad und Zug. Mit Thomas Gansch auf der „Alpen & Glühen“-Tour mache ich das heuer jedenfalls wieder so und vielleicht machen dann auch mehrere von der Produktion mit. Ich kann mir gut vorstellen, dieses Konzept noch weiterzuführen. Bei der „Snow From Yesterday“-Tour ist alles so ausgelegt, dass wir in ein Fahrzeug passen. Dafür verzichte ich sogar auf einen Techniker und wir sechs greifen zusammen, um das zu kompensieren. All diese Dinge versuche ich bewusst vorab einzuplanen.

Hast du mit deinen Aktionen schon Kolleginnen oder Kollegen nachhaltig zu einer gesünderen, verbesserten Version ihrer Routinen oder Tourgewohnheiten inspiriert?
Bei der „Alpen & Glühen“-Tour stand im Rider drinnen, dass man ca. 20 Flaschen stilles Wasser und 20 Flaschen Mineralwasser will. Diese Rider werden meist gedankenlos kopiert und von anderen Managements übernommen. Ich habe aber darauf gepocht, dass wir in Österreich, Deutschland und der Schweiz das Trinkwasser verwenden und uns das sparen können. Das wurde dann auch so festgesetzt und nachhaltig verändert. Es sind alle einzelnen Personen gefordert und müssen sich immer wieder bei der Nase nehmen. Es gibt immer Spielraum für Fortschritt, aber ich versuche schon, Dinge anzubringen. Deshalb auch mein Image als Klimapolizist. (lacht)

Würdest du auf lukrative Auftritte im Ausland verzichten, weil dir die jeweilige Flug- bzw. Klimasituation dorthin nicht gefällt?
Das mache ich eigentlich schon seit Jahren. 2018 war für mich ein essenzieller Turning Point. Bis dorthin habe ich die Karriere vorangestellt und als ich das erste Mal zu Konzerten flog, ging ein Jugendtraum in Erfüllung. Ich spielte in mehr als 50 Ländern, aber habe gemerkt, dass das weder für das Klima, noch für das eigene Wohlbefinden gut ist. Mittlerweile bin ich viel wählerischer geworden und schaue immer auf das große Ganze. Bei Anfragen aus Asien oder Australien sage ich nur noch zu, wenn ich Gigs wirklich gut kombinieren kann. Ich habe ohnehin genug Arbeit und versuche Anfragen so lange aufzuschieben, bis man sie aus einer Region verbinden kann. Mit Björk haben wir Japan und Australien 2023 so verbunden, dass wir nicht immer extra fliegen müssen. In Singapur wollte man mich unlängst für ein Nachhaltigkeitsevent einfliegen. Das ist lächerlich und da sage ich dann auch ab.

Gab es 2018 einen bestimmten Moment, der für diese Veränderung im Kopf ausschlaggebend war?
2018 ging sich unfassbar viel aus. Ich spielte vier Amerika-Touren und war in Australien, Asien und in Europa. Ich war gleichzeitig mit Björk, Ólafur Arnalds, Anoushka Shankar und mit meiner Band unterwegs - ich war zu viel weg von daheim und viel zu viel in anderen Zeitzonen. Diesen Karrierehunger habe ich heute nicht mehr und ich muss auch nicht alle dieser großen Städte noch zehnmal sehen. Zudem hatte ich das Gefühl, dass mir meine eigene Musik genügt. Mein musikalisches Profil war dann auch groß genug, dass ich mich darauf konzentrieren konnte. Bis auf ein paar Einzelprojekte habe ich Arnalds und Shankar gelassen. Bei Björk bin ich schon 13 Jahre dabei, aber das ist gar nicht so viel. „Environ Me“ haben wir 78 Mal live gespielt und sind dabei nie geflogen, weil ich das bewusst so gesteuert habe. Bei „Snow From Yesterday“ haben wir jetzt 50 Konzerte im Kalender, ohne das Flugzeug besteigen zu müssen. Ich spiele nicht nur mehr in Innsbruck, Salzburg und Wien, sondern in acht Ländern, aber das trotzdem so nachhaltig wie möglich.

Ist dein moralischer Kompass so ausgerichtet, dass man dich auch für keine Summe der Welt, etwa für einen Auftritt bei einer Privatparty der Glock-Dynastie oder ähnliches, buchen könnte?
Auf jeden Fall. (lacht) Ich habe schon meine Prinzipien und wenn ich bei etwas nicht dahinterstehen kann, trete ich auch nicht auf.

Große Österreich-Tour
Mit „Snow From Yesterday“ und dem Vokal-Trio Mad About Lemon ist Manu Delago schon jetzt quer durch Österreich unterwegs. Unter anderem spielt er am 3. Februar im Komma in Wörgl, am 4. Februar im Neuwirt Wattens, am 28. Februar in der ARGE Salzburg, am 29. Februar im Linzer Posthof oder am 4. März im Wiener Konzerthaus, das bereits restlos ausverkauft ist. Unter www.oeticket.com gibt es Karten und weitere Termine.

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