„Krone“-Interview

Giamatti: „Ich ziehe diese Rollen unbewusst an“

Unterhaltung
29.01.2024 10:30

Er ist einer der gefragtesten Schauspieler in Hollywood. Im „Krone“-Talk spricht Paul Giamatti über seine neue Rolle in „The Holdovers“ als mürrischer Lehrer mit Trinkproblem, der sich widerwillig um einen Problemschüler kümmern muss...

„Krone“: Ihre Filmfigur Paul Hunman ist vom Typ her wie Ihr zum Selbstmitleid neigender Schriftsteller aus „Sideways“ - quasi 20 Jahre älter.
Paul Giamatti: Ehrlicherweise mach ich mich in „The Holdovers“ um einiges mehr. Weil ich diesmal eindeutig mehr Rückgrat zeige, taffer bin und einen guten Sinn für Humor habe.

Beide Filmfiguren verbinden, dass Sie ein Alkoholproblem haben.
Stimmt. (lacht) Grundsätzlich ist es für mich als Schauspieler eine spannende, körperliche und emotionale Herausforderung, einen Trinker zu spielen. Das trifft allgemein auf Filmfiguren zu, die anders sind, als ich es bin.

Trinken Sie selbst Alkohol?
Nur gelegentlich. Was nicht heißt, dass ich in meinem Leben nicht schon einige Male blau war. Ich bin einfach nur kein Gewohnheitstrinker.

Ihr Lehrer Paul hat seine festen Prinzipien, wegen denen er im Leben ständig den Kürzeren zu ziehen scheint. Trotzdem bleibt er immer ruhig und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Äußerlich zumindest. Ich wäre an seiner Stelle schon öfter explodiert und könnte nicht cool bleiben. Wissen Sie, was ich am meisten an ihm mag? Dass er Dinge tut, die andere am liebsten auch tun würden und sich aber nicht trauen.

Paul Giamatti (re.) als wirklich griesgrämiger Lehrer Paul Hunham. Dominic Sessa (li.) als Schüler Angus und Da’ Vine Joy Randolph als Schulköchin Mary in „The Holdovers“ (Bild: © 2023 FOCUS FEATURES LLC. ALL RIGHTS RESERVED.)
Paul Giamatti (re.) als wirklich griesgrämiger Lehrer Paul Hunham. Dominic Sessa (li.) als Schüler Angus und Da’ Vine Joy Randolph als Schulköchin Mary in „The Holdovers“
„The Holdovers“ ist ab sofort im Kino zu sehen. (Bild: © 2023 FOCUS FEATURES LLC. ALL RIGHTS RESERVED.)
„The Holdovers“ ist ab sofort im Kino zu sehen.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel, dass er diesen elitären, teilweise auch rassistischen Arschlöchern von Schülern in seinem Internat die Hölle heiß macht. Er genießt es, ein Ekel zu sein. Weil es ihm wirklich scheißegal ist, ob man ihn mag oder nicht.

Haben Sie persönliche Erfahrungen aus Ihrer Schulzeit mit in Ihre Rolle eingebaut?
Ja, ich habe scheinbar unbewusst den Schulbibliothekar von früher imitiert habe. Dazu kam, dass der Schulbibliothekar genau wie ich ein schielendes Auge hatte und ähnlich unmodische Kleidung getragen hat. Das hatte allerdings das Drehbuch so vorgeschrieben. Ein sehr merkwürdiger Zufall.

Im Film werden Sie vom Ekel zum Mentor. Gab es einen Lehrer, der Ihr Leben verändert hat?
Die Schule war ein hartes Pflaster und einige der Lehrer waren sehr schwierig. Es gab da einen Pauker in der 10. Klasse, der sehr nett zu mir war. Er hat Biologie unterrichtet und ich habe ihn als eine Art Mentor angesehen. Ich würde nicht sagen, dass er mein Leben verändert hat, doch er hat mich schon geformt. Er war zwar nach außen hin sehr sarkastisch, doch im Kern war er ein sehr guter, anständiger Mensch. Das zählt!

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Es ist wirklich schwer, mich dazu zu bringen, wütend zu werden. Meine Explosions-Schwelle ist sehr, sehr hoch.

Paul Giamatti

Waren Sie eigentlich immer gut in der Schule?
Das kam darauf an. Wenn ich an einem Fach interessiert war, war ich sehr gut. Und wenn nicht, dann weniger. In Mathe war ich hoffnungslos schlecht. Das bin ich bis heute. Ich kann gerade mal an meinen Fingern Sachen abzählen und das mehr recht als schlecht! Ich weiß noch, dass ich vorm Mathetest Alpträume hatte. 

Der Film spielt vor dem Zeitalter des Internets und Social Media. Wäre es hart für Sie, nochmal in den 70er Jahren leben zu müssen?
Dieser Gedanke klingt einfach fantastisch, wie ein Segen für mich. Ich hätte kein Problem damit, in die 70er Jahre zurücktransportiert zu werden. Ich würde es einfach nur sehr genießen.

Warum hat denn dieser Film bei Kritikern und Zuschauern so eingeschlagen?
Weil man sich mit den Darstellern identifizieren kann, es sind wirkliche Menschen. Alles ist sehr realistisch. Wie Paul errichten viele Mauern um sich herum, um nicht verletzt zu werden. Dabei sehnt er sich am meisten nach persönlichen Beziehungen. Im Laufe des Films fällt seine falsche Fassade und seine wahre Persönlichkeit kommt zum Vorschein.

Sie spielen oft die Rolle des Griesgrams, obwohl Sie persönlich genau das Gegenteil davon sind. Warum bietet man Ihnen ständig solche Parts an? Und vor allem, warum sagen Sie Ja dazu?
Vielleicht ziehe ich diese Rollen unbewusst an, ich weiß es nicht. Ich frage mich oft selbst „Habe ich vielleicht wirklich tief innen so viel Ärger und Wut in mir und weiß es nicht?“ Ich sehe mich auf jeden Fall als eine Frohnatur. Wobei es hilft wahrscheinlich, dass ich auf der Leinwand eine Seite herauskehren kann, die ich nicht besitze. Zum Abreagieren (lacht).

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