War Cortina d‘Ampezzo der zufällige Höhepunkt einer alpinen Seuchensaison, das Resultat mangelnder (geistiger) Frische oder ein unüblich hartes Pflaster im Ski-Weltcup der Frauen? Nach einer wahren Sturzorgie an den drei Renntagen in den italienischen Dolomiten fiel die Ursachenforschung ambivalent aus.
„Für mich ist es nach wie vor ein großes Fragezeichen, warum so viele Stürze passiert sind“, rätselte Mirjam Puchner und war damit nicht allein.
Vermutungen gab es einige. Etwa grassierende Unsicherheit, nachdem sich am Freitag nach nur einem Training zwei der Allerbesten in die zuletzt rasant gewachsene Unfall-Liste eingereiht hatten. Für Abfahrts-Olympiasiegerin Corinne Suter aus der Schweiz ist die Saison nach einem Kreuzbandriss vorzeitig vorbei. Auch Mikaela Shiffrin humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Rettungshubschrauber, kam mit einer kolportierten Innenbandblessur aber noch glimpflich davon. Entfalteten die Stürze der Ausnahmeathletinnen eine Wirkung, die tief in die Psyche ihrer Kolleginnen eindrang?
Hier der Sturz von Shiffrin im Video:
Shiffrin wollte bereits im Training „einige Schreckmomente“ erlebt haben. Die Norwegerin Kajsa Vickhoff Lie, die sich in Sachen Risiko oft nur hinter Sofia Goggia anstellen muss, sagte, Cortina sei in diesem Jahr „gefährlicher“ als sonst. Doch selbst über diesen Befund herrschte Uneinigkeit. Die Österreicherinnen etwa bemerkten von größeren Zähnen der Piste „Olimpia delle Tofane“ nichts, zumindest erzählten sie öffentlich nichts davon.
Volle Attacke mit einer gewissen Dosierung
Sehr wohl aber hatte das Betreuerteam um Chefcoach Roland Assinger früh erkannt, dass Mäßigung an diesem Wochenende über die Wellen auch Trumpf sein kann. Stephanie Venier, die aktuell in bestechender Form fährt, umriss ihre Marschroute als „volle Attacke mit einer gewissen Dosierung“. Das führte zu ihrem zweiten Weltcupsieg, Rang fünf und zwei. Puchner sagte: „Man darf nicht hirnlos drauflosfahren. Abfahrtssport heißt auch manchmal mit Köpfchen fahren.“ Selbst das Rennpferd Cornelia Hütter verordnete sich einen für sie unüblichen Plan: „Ich wollte ein paar Passagen taktisch fahren.“
Lara Gut-Behrami gestand nach ihrem Sieg am Sonntag im Super-G. „Ich wollte bloß nichts riskieren. Ich bin nicht solch enge Radien gefahren, wie ich es sonst tue.“ Skifahren sei leicht, wenn man sich nicht zu viel den Kopf zerbreche. „Das war in den letzten drei Tagen jedoch schwierig, weil das Skifahren nicht mehr wirklich im Vordergrund stand“. Sie habe nach anstrengenden Tagen gewusst, „dass ich nicht so frisch bin im Kopf“, sagte die 32-Jährige der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA. „Ich glaube, das ist auch die Erklärung für die vielen Stürze. Wenn du nicht ganz frisch bist in den Beinen und im Kopf, braucht es wenig, und du landest im Netz.“
Das passt zum Befund, den Shiffrin vor ihrem Sturz zum Besten gegeben hatte. „Der Jänner fühlt sich immer lang an, speziell in den Jahren ohne Olympische Spiele oder Weltmeisterschaft“, sagte Shiffrin zu Eurosport. Manche seien im dicht getakteten ersten Monat des Jahres non stop unterwegs. „Es kann schwierig sein, das Momentum und die Energie hochzuhalten.“
Festzuhalten ist, dass Gut-Behrami und Shiffrin zu den Vielfahrerinnen im Weltcup gehören. Schon am Dienstag wird Gut-Behrami am Kronplatz einen Riesentorlauf bestreiten. Im Kleinen hatten das Fokus-Hochhalten in Cortina vor allem Läuferinnen mit höheren Nummern zu meistern. Ersthilfemaßnahmen und Aufräumarbeiten nach Stürzen, am Samstag auch Windböen, machten die Renntage gerade für Unerfahrene und weniger Begabte sehr lange.
Sprung-Defizite mögliche weitere Erklärung
Nicht wenige Unfälle konnten auf unzureichende Körperhaltung vor größeren Wellen und Sprüngen zurückgeführt werden. Diesbezüglich brachte Felix Neureuther ein, dass das Sprung-Training allgemein zu kurz komme. Den Punkt des deutschen Ex-Skistars ließ Österreichs Cheftrainer Assinger gelten. „Da kann man sicher ansetzen und das noch vermehrt üben.“
Bleibt die Frage der praktischen Umsetzung. „Du kannst solche Sprünge nicht auf einer normalen Piste einbauen. Jeder Normalsterbliche, jeder Tourist daschlogt sich da runter“, gab Hütter zu bedenken. Sie erinnerte an das generelle Problem im Speedmetier, geeignete Trainingsorte zu finden. „Wir brauchen zwei Kilometer Piste, die ganze Breite. Wenn wir wirklich trainieren wollen, können wir nicht nur einen Teil der Piste sperren und um 9 Uhr wieder weg sein.“ Eine permanente Abfahrtstrainingsstrecke für die Profis gibt es in Österreich nicht.
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